Tapetenwechsel

Es ist der 01.01.22 00:01 Uhr, die Feuerwerke knallen. Ich stehe am Fenster und schaue den wenigen Feuerwerkskörpern zu, die in der Luft explodieren. Sind es Träume, die zerplatzen oder welche, die neu geboren werden?

Auf jeden Fall ist es Zeit für einen Jahresrückblick.

Es ist Januar, der Lockdown hält uns alle zuhause, keine Friseurbesuche (ich gleiche inzwischen einem halben Yeti), keine Besuche von Freunden, keine Präsenz-Uni. Lediglich die vertraute Familieneinsamkeit dominiert unser Dasein. Mein Vater liegt zum Jahresbeginn im Krankenhaus, die Situation liegt wie Blei auf uns. Er wird schnell wieder entlassen, Erleichterung.

In den USA stürmen Verrückte das Kapitol, zum Glück wird später Joe Biden als 46. Präsident vereidigt.

Außerdem befinde ich mich mitten im Landtagswahlkampf. Mein Chef Nicolas Fink möchte wiedergewählt werden. Der normale Wahlkampf mit klassischen Ständen, Begegnungen, Veranstaltungen ist natürlich nicht möglich. Daher müssen wir ganz auf die digitalen Formate zurückgreifen, ein Informationsstand, bei dem sich interessierte Passanten virtuell mit dem Landtagsabgeordneten unterhalten können, viele Online-Podiumsgespräche und so weiter. Natürlich werden aber Plakate geklebt und tonnenschwere Bauzäune mit Wahlkampfwerbung im gesamten Wahlkreis aufgestellt – eine sehr willkommene körperliche Ertüchtigung inmitten der einsamen Stunden vor dem PC, bei dem das Sitzfleisch gefestigt wird.

Ich lasse mir einen langen zotteligen Bart wachsen, bastle an meiner Language Academy weiter, erstelle Posts und ein paar Videos. Auch bei den Jusos treffen wir uns digital, was trotzdem großen Spaß macht. Alle zwei Wochen ein neues Quiz, eine neue Diskussion, es ist ein Format, bei dem man ganz unverbindlich Leute trifft und „quatscht“, was wiederum in der Fülle an virtuellen Sitzungen zu kurz kommt. Für Smalltalk oder chitchat ist am Bildschirm schlicht keine Zeit.

Das Projekt Führerschein muss ich Anfang Januar auf Eis legen, auch Fahrschulen werden geschlossen.

im Februar wächst der Bart wächst weiter, die Klausurenphase schleicht sich still an. Ich durchlebe ein Abitur 2.0, insgesamt fünf Klausuren (drei digital, zwei in Präsenz) schreibe ich im Zeitraum Februar – März. Zugegeben: Die Online-Prüfungen bringen gewisse Vorteile mit sich, trotzdem ist das Lernpensum nicht mit Schulzeiten vergleichbar: Wenn Du vor der Klausur konstatierst, dass Du 13 Sitzungen mit jeweils 40 Power-Point-Folien samt 50-seitiger Lektüre nacharbeiten musst, ist das eine andere Dimension. Witzigerweise treffe ich wenige Stunden vor meiner Klausur der Bildungswissenschaften – es ist ja Wahlkampf – bei einer Veranstaltung den Spitzenkandidaten der SPD Baden-Württemberg und ehemaligen Kultusminister, Andreas Stoch. Ob das wohl Glück bringt? Trotzdem „wurstle“ ich mich irgendwie durch, der Befreiungsschlag, als ich die letzte Prüfung abgebe. Erstmal die Kommilitonen kennenlernen! Auf zu Subway und auf die Neckarwiese. Endlich sehe ich die Gesichter zu den Namenskacheln auf Zoom. Wirklich merkwürdig, seine Kommiliton:innen nach drei Monaten Online-Studium zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. „Deine Stimme klingt in echt aber ganz anders!“, „Dich hatte ich mir in echt aber viel größer vorgestellt!“, „Endlich mal keine technischen Probleme bei dir, man versteht dich ja ganz flüssig“ – Coronazeiten eben.

Ich merke, wie sehr ich den Austausch, die Diskussion (ja, auch den Tratsch) etwas vermisst habe. Es ist ja etwas zutifest Menschliches. Wenn man täglich nach mehreren Stunden digitaler Lehre, seinen Bildschirm müde zuklappt und auch keine Möglichkeit hatte, sich mit anderen über das Studium, die Erfahrungen, die Lernerfolge, Ängste oder auch einfach nur über Belangloses auszutauschen, dann fehlt etwas. Dafür gibt es ja jetzt die App Clubhouse, drei Tage hält sich der Trend, dann redet kaum jemand mehr darüber.

Wir sitzen über vier Stunden bei sich anbahnenden Frühlinsgwetter in Tübingen, einer Stadt, die ich kaum kenne, und unterhalten uns über die Dozenten, erinnern uns an verrückte Situationen aus den Online-Sitzungen („Weißt Du noch, als ich mal kurz mein Mikrofon angelassen habe, und alle mein Telefonat mitgehört habe?“) und lachen. Wie schön. Schnell sind jedoch die Ordnungshüter vor Ort, die uns vom Platz verjagen, weil wir gegen die aktuelle Coronabestimmungen vertoßen und schlicht zuviele Menschen auf einem Haufen sind.

Trotz Pandemie hatte ich das Glück, wenige Menschen im Studium kennenzulernen, zu denen ich ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen konnte. Es sind Menschen, denen ich vieles anvertrauen kann. Das tut gut.

Währenddessen nähert sich auch der Wahltag, wir entwerfen Produkte für Erstwähler:innen, meine Haare nehmen gespenstische Ausmaße an, brav schließe ich das Semester ab und verabschiede mich auch von meinem Wohnheimzimmer, das ich leider kaum nutzen konnte. In der Klausurenphase habe ich auch mehrere Tage dort verbracht, das war ein großer Segen, ungestört zu arbeiten. Aber sonst ist es karg und leer im Studentendorf WHO. Es sind nur die internationalen Studierende da, die es aber allesamt bevorzugen, ihre Mahlzeiten alleine im Zimmer zu sich zu nehmen, anstatt sich mit mir in der Küche zu unterhalten. Naja.

Bei den überparteilichen Jungen Europäern läuft währenddessen eine digitale Kampagne zur Landtagswahl, die ich als Landespressesprecher betreue: ich führe mehrere Gespräche mit Landtagsabgeordneten über „Instagram Live“, moderiere eine digitale Podiumsdiskussion (mit kleiner technischer Panne, auf jeden Fall lerne ich, gelassen zu reagieren!) und wühle mich durch die Wahlprogramme.

Am 14. März kann ich aufatmen: Nicolas Fink erringt ein Zweitmandat und zieht erneut in den Landtag ein. Das Ergebnis von 14% im Wahlkreis kann sich durchaus sehen lassen – landesweit erhält die SPD 11%. Dass wir Sozialdemokraten im September den Kanzler stellen werden, halte ich für völlig ausgeschlossen, ich habe mich leider daran gewöhnt, Wahlen zu verlieren und in einer zerstrittenen Partei zu sein. Dazu aber später mehr.

Der Jubel ist groß – digital feiern wir den Erfolg einige Tage lang, bis uns eine Nachricht ereilt: Unser SPD-Oberbürgermeister möchte sein Amt zur Verfügung stellen – planmäßig sollte er 2022 aufhören, doch er möchte sich bereits im September 2021 verabschieden. Schnell merken wir: Das werden drei Wahlkämpfe dieses Jahr. Und es muss ein Nachfolger her!

Zu diesem Zeitpunkt habe ich andere Sorgen: Ich habe über eine Freundin ein Angebot für eine Einzimmerwohnung in der Nähe von Tübingen bekommen. Kirchentellinsfurt heißt der sagenumwobene Wort, liegt 7 km von Tübingen entfernt. Sofort sage ich zu und fahre zur Besichtigung. Die Freude strahlt mir über das ganze Gesicht, als ich erfahre, dass ich die Wohnung bekomme. Eine bessere Lage kann es kaum geben: Direkt am Bahnhof gelegen, Supermarkt in 100m Entfernung, flacher Radweg nach Tübingen in 15 min. 22 Quadratmeter, mit Bad, Balkon, alles da. Am gleichen Tag räume ich das Wohnheimzimmer und fahre mit einer Freundin nach Böblingen zum Feiern ;-).

Wenige Tage später steht das nächste große Projekt an: Ich habe die Fahrstunden wieder aufgenommen und habe meine praktische Prüfung. Ich bin eigentlich sehr ruhig, als ich durchfalle. Eine unübersichtliche Ampelsituation und blöder Bus haben mir das Genick gebrochen. Dieser Misserfolg soll mich einige Wochen beschäftigen, ich bin es nicht gewohnt, Prüfungen nicht zu bestehen, daher werden die kommenden Wochen bis zum erneuten Versuch die viel härtere Prüfung sein. Ja, ich weiß es ist nur eine blöde Fahrprüfung, trotzdem kann ich lange nicht schlafen, denke an nichts anderes mehr, bin unkonzentriert, schlecht gelaunt, genieße nichts richtig. Am Tag nach der Niederlage fahren wir zu meinen Großeltern. Gedanken und Gefühle, die mir während dieser Zeit durch den Kopf gingen, habe ich in folgendem Text verarbeitet.

Ja, ich weiß, ich sollte leise heulen. Dass mein größter Rückschlag dieses Jahr die misslungene Führerscheinprüfung war, ist eigentlich etwas, wofür ich dankbar sein sollte. Und in den vier Wochen lerne ich, mit der Niederlage umzugehen. Dafür ist die Freude umso größer, als es beim zweiten Mal klappt und ich die kleine Plastikkarte in den Händen halte.

Ich fahre wieder zu den Großeltern, Fabian hat einige wichtige Vorstellungstermine in Berlin, wo er ein duales Studium beginnen möchte, ich freue mich auf die Tage der Entspannung, die ich nun endlich genießen kann, jetzt, da der Führerschein geschafft ist.

Die Tage sind schön, ich fange mit dem Sommersemester Uni an, fahre nach Berlin mit meinem Bruder. Zwischendurch erhalte ich einen Anruf: Der Vorsitzende der SPD Esslingen fragt mich, ob ich Kapazitäten für einen dreimonatigen Nebenjob hätte. Es geht um die Unterstützung im Oberbürgermeisterwahlkampf, inzwischen konnte der Schorndorfer Oberbürgermeister Matthias Klopfer für eine Kandidatur in Esslingen gewonnen werden. Als kooptiertes Mitglied im Parteivorstand konnte ich ihn wenige Tage zuvor in einem Vorstellungsmeeting kennenlernen. Ich frage, was meine Aufgaben sind: „Ein paar Kabelbinder kaufen und die Termine verwalten“. Jedenfalls schlafe ich eine Nacht darüber und sage doch zu. 20 Stunden die Woche sind ja auch noch nicht so viel …

Direkt zuhause angekommen findet die Nominierungsveranstaltung für die Bundestagskandidatur im Wahlkreis Esslingen, auf die sich mein Kumpel Daniel Krusic bewirbt. Leider klappt das Projekt nicht – am nächsten Tag hole ich auch schon mein Auto ab. Mein Vater hat dankenswerterweise über einen Freund einen sehr schönen, alten Peugeot organisieren können, in den ich mich sofort verliebe. Preis-Leistung stimmt und ich cruise schon durch die Innenstadt! Dieses Auto ist definitiv eines meiner Highlights dieses Jahr.

Die warmen Monate sind im Kommen, das Semester läuft digital weiter, viele Kurse machen mir großen Spaß. Ich bewerbe mich bereits im Februar auf ein Ganzjahrespraktikum in einer Schule, das ab September beginnen würde. Dank einer tollen Initiative an der Uni Tübingen haben Lehramtsstudierende die Möglichkeit, ein ganzes Jahr an einer Schule zu schnuppern, Unterricht mitzuerleben, ja auch zu unterrichten. Dabei bekommen sie einen Mentor an ihre Seite gestellt, den sie ein ganzes Jahr begleiten. Ich freue mich sehr, dass ich angenommen werde. Ich lerne „meinen Lehrer“ virtuell kennen, es scheint alles zu passen, Deutsch und Spanisch sind seine Fächer. Als kleines Sahnehäubchen serviert mir das Leben eine Portion Extra-Ironie: Die Schule ist sich keine 200 Meter von meinem ehemaligen Wohnheim, das ich im März verlassen hatte, entfernt.

Kleines Zwischenereignis: Nachdem ich vor wenigen Jahren als pickliger Zehntklässler an einem Planspiel der Vereinten Nationen teilgenommen hatte, bewarb ich mich im Jahr davor als Teammitglied. Im Mai war es dann soweit – gemeinsam mit weiteren Politikenthusiasten leitete ich den Sicherheitsrat und führt vier Tage lang durch die Debatte. Mit dem Vorbereitungscamp verbringe ich ingesamt sieben Tage vor dem Rechner, unterbrochen durch kurze Essens- und Schlafpausen. Alles sehr intensiv, ich frage mich fast, in welchem halbrealen-halbfiktiven Universum ich gelebt habe, als die Tage um sind. Diskutiert und erarbeitet wird übrigens eine Resolution zur sexulaisierten Kriegswalt im Yemen-Konflikt.

Ach ja, der Bart und der kurzzeitige Mexikaner-Schnurrbart sind abrasiert und auch einen Friseurbesuch habe ich mir nicht ersparen können. Langsam öffnet das Land wieder Geschäfte und Lokale, Deutschland blamiert sich beim ESC, ich bereite mich mental auf den Oberbürgermeisterwahlkampf vor. Ein Impftermin ist jedoch noch nicht in Aussicht.

Kandidat Klopfer hat sich inzwischen in Esslingen vorgestellt, meine Arbeit beginnt. Ich merke schnell: Aus den 20 Stunden wird schnell das Dreifache. Ich verwalte den Wahlkampfkalender, organisiere Plakatierungsaktionen, Straßenwahlkämpfe, fahre mit meinem Cabrio durch die Gegend, hänge Plakate nach, begleite meinen neuen „Chef“ zu Terminen, führe gefühlte 10 000 Telefonate. Ich erlebe ein hohes Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, wofür ich sehr dankbar bin. Ich erlebe den Sommer wie in Trance. Jeden Tag (ja auch am Sonntag) arbeite ich. Das Wahlkampffieber packt und infiziert mich. Ich möchte ja, dass es klappt und der nächste Oberbürgermeister meiner Heimatstadt Matthias Klopfer und nicht anders heißt. Das bedeutet auch, dass ich von Mai bis Juli meine Stadt neu kennenlerne, einen Überblick über die Vereine, Einrichtungen, Personen und kommunalpolitischen Themen erhalte. Wahlkampf macht Spaß und je lokaler, desto besser.

Meine Eindrücke kann ich an der Stelle aber nicht wiedergeben, hierzu bedarf es eines weiteren Beitrags. Angefangen habe ich bereits mit Wahlkrimi in Esslingen , bald folgt die Fortsetzung.

Um es vorwegzunehmen: Wir gewinnen die Wahl. Die intensivsten Monate meines Lebens nehmen ein Ende, in der Sekunde, in der das Ergebnis bekannt wird, bin ich in einer Stunde um drei Jahre gealtert. Es ist der Wahnsinn. Die nächsten 8 Jahre werden gute Jahre für die Stadt sein.

Trotz aller Wahlkampfeuphorie musste ich im Studium auch Abstriche machen: Durch den kräftezehrenden Job habe ich nur einen Bruchteil an Universitätsveranstaltungen belegt, weil schlicht und ergreifend die Zeit fehlte. Ich bin dieses Risiko eingegangen und bereue es auch nicht – das, was ich ich in den drei Monaten gelernt habe, kann mir keine Uni der Welt lehren.

Der Job ist vorbei, das Sommersemester auch, er hat sichtlich auch an mir genagt. Ich brauche erstmal Urlaub. Mit meiner Mama geht es in die Türkei, eine Woche Entspannung pur, Wellen, Massagen, sandige Füße und Abendessen bei Sonnenuntergang. Es tut mir sehr gut, mit meiner Mama Zeit zu verbringen – wir haben endlich Zeit zum Reden. Für mich ist es mittlerweile die schönste Zeit des „Sohn Seins“: die Erziehung ist abgeschlossen, man kann offen als „Freunde“ miteinander reden und sich aufeinander verlassen. Ich schätze dies sehr.

Frisch aus dem Urlaub zurück, beginnt der dritte Wahlkampf in diesem Jahr: Es ist ja noch Bundestagswahlkampf. Da wir in Esslingen mit dem OB-Wahlkampf genug zu tun hatten, läuten wir erst ab Anfang September die heiße Phase des Wahlkampfs ein. Die Umfragewerte für die SPD und für Olaf Scholz sind soweit sehr gut, im Juni/Juli glich das noch einem politischen Wunder. Ein Bekannter sagte mir noch im April nach der Nominierung Baerbocks und vor dem offenen Gockelkampf zwischen Söder und Laschet: „Lass die Leute im Sommer aus ihrem Urlaub zurückkommen – dann werden sie merken, dass Merkel nicht mehr antritt. Und nun stell dir die anderen Kandidaten neben Biden, Putin und Erdogan vor. Da werden sie schnell merken, wer am besten geeignet ist.“
Recht sollte er behalten. Im Wahlkampf helfe ich hauptsächlich ehrenamtlich mit, organisiere die Verteilung der Wahlprospekte. Scholz kommt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion doch noch nach Esslingen – trotz Untersuchungsausschuss. Ich treffe ihn für wenige Sekunden, irgendetwas in mir sagt, dass er Kanzler wird.

Auf jeden Fall bin ich froh, als die Wahl (und somit der vierte Wahlgang für uns in Esslingen) endlich rum sind. Auch ein kleines Jahreshighlight: Mein Einsatz als Wahlhelfer. Mehr dazu im Beitrag Wahlkrimi in Esslingen

Anfang September wurde ich außerdem als Landespressesprecher wiedergewählt, ich freue mich auf die neue Arbeit im Landesvorstand. Der kleine Tiefpunkt des Septembers stellt den Auszug meines Bruders dar: Er möchte in Berlin sein Studium aufnehmen. Natürlich freue ich mich über seine Entscheidung und seinen neu eingeschlagenen Lebensweg, wenn man aber 19 Jahre Seite an Seite aufwächst, ist das leere Zimmer eine Zumutung. Es fehlt sein breites Grinsen, seine Proteinshakes, seine Schuhe und Jacken, die überall im Haus liegen. Für ein paar Tage muss ich ganz stark sein.

Im Oktober halte ich einen Workshop zu Europa und Klimaschutz, werde als Juso-Vorsitzender in Esslingen wiedergewählt und das Semester beginnt. Sogar in Präsenz! Für ein Wochenende geht es nach Wittenberg, der Bundeskongress der JEF findet dort statt. Wie sehr ich Tagungen und Seminare vermisst habe …

Wohltuend sind auch meine paar Tage in der Schweiz, Kanton Uri. Ich besuche meine Tante und meine Cousine, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Selten habe ich so schöne Berglandschaften gesehen! Kühe, Wiese, Käsefondue und Heidi-Stimmung.

Inzwischen habe ich außerdem einen neuen Job bei einem Dozenten des Deutschen Seminars an der Universität, ich gebe ein Tutorium und unterstütze bei seiner Arbeit. Hiwi-Job eben.

Der goldene Herbst bricht mit seinem goldgelbraunen Gewand – und leider gehen die Inzidenzen hoch. Ich bin sehr dankbar, das durch das Einhalten von strengen Regularien der Universitätsbesuch möglich ist. Ich pendle zwischen Online-Seminar und Präsenzveranstaltung, lerne mit Maske in der Bibliothek, bereite Referate vor und starte erfolgreich das Tutorium. Alles ist wieder möglich und ich bin dankbar. Da lüfte ich gerne alle zwanzig Minuten für fünf Minuten, reiße sperrangelweit die Fenster auf und trainiere mich im Oberflächenreinigen.

Da kullert mir fast schon eine Träne über die Wange, als ich der offiziellen Amtseinsetzung von Matthias Klopfer beiwohne.

Die Wochen vergehen – zwischen Esslingen, Uni, Kirchentellinsfurt und meiner Praktikumsschule spielt sich mein Leben ab. Mein neues Wohnzimmer ist die B27. An der Schule werde ich mit den Schülern langsam warm und darf gegen Ende des Jahres auch erste Stunde halten. Ich merke einmal mehr: Das ist der Job, den ich machen möchte. Es gibt nichts, das mir größeren Spaß macht als das Unterrichten von jungen Menschen.  Auch meine zwei Sprachkurse an der Volkshochschule Esslingen verlaufen erfolgreich – jeden Montag und Mittwoch stehe im Klassenraum und versuche höchst motivierten Teilnehmerinnen (ja, es sind nur Frauen zwischen 23 und 60) Italienisch beizubringen (außerdem gibt es noch ein kleines Französisch-Intermezzo in den Herbstferien) Die Stimmung ist ausgelassen, die Chemie stimmt, wir lachen sehr viel zusammen. Von Verbkonjugation, Dialogen im Restaurant bis hin zur italienischen Weihnachtsfeier mit Panettone & Scendi dalle Stelle ist alles dabei. Umso mehr freue ich mich, dass die Rückmeldungen so positiv ausfallen (der kleine Präsentkorb ehrlicherweise auch!).

Jetzt ist das Jahr fast rum, die Werbung und alles um mich herum will mir ihre „Weihnachtsstimmung“ aufzwingen. Dafür läutet ein sehr schöner Besuch eines Chanukka-Festes im Landtag die Weihnachtszeit fast bilderbuchhaft ein. Doch ich will nicht so richtig in eine solche kommen. Zum einen beschäftigt mich die Pandemie sowie die gesellschaftliche Stimmung sehr: Es wird nur noch aneinander vorbeigeredet, ohne aufeinander einzugehen, wir senden nur noch, empfangen aber nicht – reden, hören aber nicht zu. Von Solidarität ist an vielen Stellen nicht viel zu spüren. Die Lauten dominieren die Diskussion, die Leisen, die sich seit langem an die Regeln halten, werden außen vorgelassen. Omikron zieht die Schlinge stärker um den deutschen Hals. Immerhin: Kurz vor Jahreschluss erhalte ich den dritten Pieks, in meinem rechten Oberarm reifen drei Biontech-Babys.

Mit dieser Botschaft möchte ich das Jahr 2021 jedoch nicht enden lassen.

Jetzt brauche ich erstmal eine längere Ruhepause, Ausschlafen, einfach mal Nichts tun. Vor allem die letzten Semesterwochen hatten es in sich, die ständige Autofahrerei, die Staus, der Wechsel zwischen hybrid und Präsenz sind auf Dauer sehr anstrengend. Nicht zu vergessen die ehrenamtlichen Termine, die mein Leben schön garnieren.

Ich bin sehr dankbar für  dieses 2021 und jede Erfahrung, die ich machen durfte – die positiven wie die negativen. Ich bin dankbar, dass ich das ganze Jahr gesund war, mir und meinen Lieben nichts größeres zugestoßen ist. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen. Trotzdem bete und hoffe ich, dass wir schnellstmöglich aus der Pandemie herauskommen. Ich freue mich auf den Moment, wenn ich wieder Gesichter sehen kann, wenn eine Umarmung wieder die Normalität wird, wenn wir wieder ausgelassen ein Bierchen in größerer Runde trinken und uns auf die Schulter klopfen: „Das waren zwei verrückte Jahre, 2020-2021. Aber haben wir alles irgendwie ganz gut hingekriegt“.

Erstmal heißt es weiterhin: Rücksicht nehmen, impfen, Abstand halten, Hygienehinweise befolgen. In Anlehnung an eine im Jahr 2021 augeschiedene Kanzlerin, der ich auch etwas nachtrauere, sage ich: „Wir schaffen das“.

Und ohne viele Schnörkel verabschiede ich mich und wünsche euch von Herzen einen guten (und vor allem gesunden) Start ins neue Jahr!

Möge es für uns alle ein gutes werden.