…muss die Freiheit wohl grenzenlos sein… Nachdem es offensichtlich in letzter Zeit zur Mode unter den kulturweit-Freiwilligen wurde, ihre Blogbeiträge mit einem Liedtitel zu „unterlegen“, mache ich das jetzt einfach auch mal. Ob der Titel passt, sei dahingestellt, aber Fakt ist: es geht über die Anden. Nach Chile, auf eine zehntägige Reise während der uruguayischen Osterferien. Nach Santiago, der Hauptstadt, Valparaiso, der heimlichen Hauptstadt, Viña del Mar, dem Küstenort und Schauplatz des Salpeterkrieges Antofagasta und zum Abschluss in die trockenste Wüste der Welt, die Atacama, und auf die Höhen der Anden nach San Pedro. Zehn Tage für ein ganzes Land ist vielleicht etwas ambitioniert, aber ich muss sagen: ich hab’s (zur Hälfte, denn im Süden war ich nicht) geschafft. Es war eine Reise der ersten Male: zum ersten Mal am Pazifik, zum ersten Mal in den Anden, zum ersten Mal in Chile – und noch viele erste Male mehr. Ich kam zurück von dieser Reise mit knapp 1500 Fotos auf der Kamera, vier Videos und insgesamt fast 8,5 Gigabyte Material – Gott sei Dank hatte ich meine 16-GB-Karte mitgenommen, ich hätte also ruhig noch mal zehn Tage bleiben können! Dieses Material alles zu sichten, in Blogbeiträge zu fassen und online zu stellen, dauert leider seine Zeit, neben allen anderen Verpflichtungen, die ich sonst noch habe. Ich will zumindest versuchen, die kommende Woche jeden Tag einen Beitrag online zu stellen, sodass es am Ende ganze sieben sein werden. Zur besseren Übersicht sei hier außerdem noch eine Karte Chiles angefügt:
Streik – eine lateinamerikanische Tradition
Beinahe allerdings wäre aus Chile rein gar nichts geworden. Lateinamerika ist ja für häufige, spontane und lang anhaltende Streiks bekannt. Ich konnte mich glücklich schätzen, davon bisher verschont geblieben zu sein. Bis zu dem Tag, als ich um 6:05 Uhr morgens mit dem Bus zum Flughafen nach Montevideo fahren wollte. Das war der erste Tag vor unseren Osterferien. Ein Tag, an dem sich das halbe Land („Brückentag“…) aufmachte, um in den Urlaub zu reisen. Und ausgerechnet an jenem Tag entschlossen sich sämtliche für Überlandbusse, Stadtbusse und Taxis zuständigen Gewerkschaften, el paísito mit einem Generalstreik lahmzulegen. Man muss wissen, dass die Busse quasi die Lebensader Uruguays darstellen, denn viele Einwohner (so wie ich) haben immer noch kein Auto, und die Entfernungen sind weit. Ungefähr 65.000 Passagiere hätten an diesem Tag im Hauptbusterminal Tres Cruces von Montevideo ankommen sollen, so wurde geschätzt. Klingt nach wenig, ist aber bei einem Land mit nur drei Millionen Einwohnern sehr viel – das höchste Passagieraufkommen im ganzen Jahr. Dabei kann ich den Anlass des Streiks sogar verstehen: tags zuvor wurde ein Taxifahrer bei einem Raubmordversuch in Montevideo ermordet, zum zweiten Mal innerhalb von zwanzig Tagen. Die Taxifahrer streiken für mehr Sicherheit, die Busfahrer einfach nur, weil’s Spaß macht, die Regierung schlägt vor, auf bargeldloses Bezahlen umzusteigen, von dem Vorschlag will die Gewerkschaft aber gar nie erfahren haben und so geht das dann immer weiter…
Ich muss sagen, ohne meine Gastmutter, die mich dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (es war tatsächlich sehr neblig, denn zu allem Unglück regnete es auch noch) nach Montevideo fuhr und mir dafür auftrug, ihr ein Souvenir aus Chile mitzubringen, wäre an dieser Stelle schon Schluss gewesen.
War es aber offensichtlich nicht. Ich kam pünktlich am Flughafen in Montevideo an, von dem ich vorher noch nie geflogen war. Montevideo hat, das muss man sagen, einen kleinen, aber feinen Flughafen. Wirklich sehr schön und modern, das einzige Problem: es gibt weniger Flugverbindungen als ab Buenos Aires, und die, die es gibt, sind teurer. Nachdem aber der Preisunterschied zwischen einem Flug ab Buenos Aires und einem Flug ab Montevideo ziemlich genau dem Preis entspricht, den die Fähre über den Río de la Plata gekostet hätte, hatte ich mich dann eben doch für Uruguays Hauptstadt entschieden – um direkt in den Streik hineinzurennen.
Wie ist’s denn nun über den Anden?
Gott sei Dank streikte nicht auch noch LAN, die größte lateinamerikanische Fluggesellschaft, sodass ich endlich Richtung Anden losfliegen konnte. Neben mir saß ein kleines Kind, das bereits vor Abflug allen Menschen in seiner Umgebung lautstark mitteilte, dass es noch nie in seinem Leben Schnee gesehen hätte und unbedingt die weißen Gipfel der Anden sehen wolle! Kaum tauchten dann die ersten weißen Wolken auf, fragte das Mädchen schon voller Überzeugung: „Sind das die Anden? Ist das Schnee?“ Ich brachte es nicht übers Herz, das Kind zu enttäuschen. Als dann, gut zwei Flugstunden und eine Längsüberquerung der argentinischen Pampa später endlich die Anden und der Schnee kam, rutschte sie nach hinten auf den Schoß ihrer Mutter, die am Fenster saß:
Mama, ich seh Schnee!
Ob ein einzelnes Bild der Anden jetzt von der argentinischen oder von der chilenischen Seite der Anden stammt, erkennt man übrigens daran, ob der Himmel den gleichen Blauton wie in der argentinischen oder der chilenischen Flagge aufweist, sowie daran, ob der Schnee so weiß ist wie der Stern der chilenischen oder der weiße Balken der argentinischen Flagge.
Scherz beiseite. Den Landeanflug auf Santiago stelle ich mir recht kompliziert für einen Piloten vor, denn Santiago liegt in einer klimatisch sehr ungünstigen Kessellage zwischen den Anden im Osten und dem Küstengebirge im Westen. Diese beiden Gebirgszüge blockieren den Luftaustausch über der Stadt. Das nennt man „Inversionswetterlage“ und das wiederum bedeutet: Smog. Ich kann die dicke Smogschicht beim Landen sogar sehen, wie wir in sie eintauchen und unter der dicken Staubglocke verschwinden. All das habe ich einmal vor (nicht allzu) langer Zeit im Geo-Unterricht gelernt. Die Reise nach Chile war nicht nur eine Reise der ersten Male, sondern auch eine Reise an Orte, über die ich in der Schule gelernt habe – sei es in Geographie oder in Spanisch. Die sogar Teil meiner Abiturprüfung waren. Eine Reise zurück in die Vergangenheit also, aber gleichzeitig in die Zukunft, in neue Gefilde. Kommen Sie und reisen Sie mit.