Beim Papst und bei Cristina

Beim Papst und bei Cristina

Google allein weiß, wie viele Leser ich durch diese lange Sendepause auf meinem Blog verloren habe. Das tut mir Leid, aber bei mir war, wie gesagt, einfach Pause. Und, welch Wunder, Zwischenseminar. Die Eindrücke auf dem Zwischenseminar sind dabei derer so viele, dass ich den notwendigen Bericht an dieser Stelle leider zweiteilen muss. Deswegen folgt heute erst mal: Besuch beim Papst und bei der argentinischen noch-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. In Buenos Aires.

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Argentinien nach der Wahl: Ein Land im Umbruch

Die zehn Stunden lange Nachtbusfahrt (kulturweit zahlt ja keine Flüge) nach Villa General Belgrano, Departamento Cordoba, Argentinien, wo das Zwischenseminar stattfand, begann spätabends in Buenos Aires. Nur dass nachts eben keine Fähren fahren, weswegen mir ein ganzer Tag zur Stadtbesichtigung in der Capital Federal blieb. Das Land steht immer noch unter dem Eindruck der Präsidentschaftswahl vor einer Woche, bei der sich der konservative Herausforderer Mauricio Macri gegen den Regierungskandidaten Daniel Scioli knapp durchsetzte. Vor Ort wird das als historische Zeitenwende eingeschätzt, als Abkehr von der protektionistischen Politik der Kirchner-Regierung, als Öffnung des fast bankrotten Staates Argentinien zu den Weltmärkten und insbesondere zur verhassten USA. Was wird nun passieren? Macri hat angekündigt, den Peso-Kurs an ein realistischeres Verhältnis zum Dollar anzupassen, von 1 zu 14 ist die Rede. Die Schwarzmarktpreise fallen, einige spekulieren gar, der mercado azul würde zusammenbrechen, wenn die Regierung nun endlich den privaten Devisenmarkt öffnet (zum argentinischen Peso-Schwarzmarkt siehe hier). Dazu sollen erstmals auch Scheine im Wert von 200, 500 und 1000 Pesos ausgegeben werden.

An vielen Orten in Argentinien sah ich noch die alten Wahlplakate für den unterlegenen Scioli, hier zugegebenerweise nicht in BA, sondern schon in Villa General Belgrano. Plakate für Macri habe ich seltsamerweise keine mehr gesehen...

An vielen Orten in Argentinien sah ich noch die alten Wahlplakate für den unterlegenen Scioli, hier zugegebenerweise nicht in BA, sondern schon in Villa General Belgrano. Plakate für Macri habe ich seltsamerweise keine mehr gesehen…

Die Catedral Metropolitana

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Aber noch heißt die Präsidentin Kirchner, zumindest bis zur offiziellen Amtsübergabe am 10. Dezember, und ich mache mich deswegen auf zur Plaza de Mayo, die Casa Rosada fotografieren. Kurz vorher schaue ich noch bei Papst Franziskus vorbei. Ebenfalls an der Plaza steht nämlich die Catedral Metropolitana de Buenos Aires, der ehemalige Bischofssitz von Erzbischof Jorge Mario Kardinal Bergoglio SJ, dem heutigen Papst Franziskus. Seine Heiligkeit ist natürlich nicht anwesend, eine Gedenkplakette an das denkwürdige Ereignis der Wahl des ersten Argentiniers zum Papst muss genügen. Anwesend ist aber die Ehrenwache am Grab der argentinischen Variante zu General José Artigas, General Martín Belgrano, dessen Mausoleum in der Kathedrale zwar deutlich kleiner ist als das seines uruguayischen Kollegen in Montevideo, aber mindestens genauso protzig. Außerdem hat er dafür ein eigenes kleines ewiges Lichtlein an der Außendwand der Kathedrale bekommen, worauf Señor Artigas bestimmt sehr neidisch ist.

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Nachtrag: 2016 hat auch in des Papstes ehemaliger Kathedrale sein Außerordentliches Heiliges Jahr der Barmherzigkeit begonnen:

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Im Kunstmuseum der Freiheitskämpfer

Die Casa Rosada, den Sitz der Präsidentin, fotografierend, stelle ich fest, dass am Eingang eine kurze Schlange steht und man da offensichtlich rein kann. Hoi. Das wusste ich ja gar nicht. Was da wohl drin sein mag? Ein Kunstmuseum? Cristina Fernández de Kirchner, die ihre Koffer packt? Ich beschließe, alle meine Pläne über den Haufen zu werfen und mich anzustellen, man weiß ja nie. Nach der obligatorischen Sicherheitskontrolle entpuppt sich die Schlange als noch länger, als befürchtet. Na ja, jetzt bin ich mal drin, jetzt kann ich auch warten, denke ich. Gewartet wird tatsächlich in einer Art Kunstmuseum: an den Wänden hängt eine Porträtsammlung unterschiedlichster lateinamerikanischen Freiheitskämpfer, von Simón Bolívar über Oscar Romero, Che Guevara, Hugo Chavez, der unvermeidlichen Evita und schließlich Nestor Kirchner, Cristinas Ehemann und Amtsvorgänger persönlich. Und das waren nur die Namen, die ich kenne. José Artigas ist auch dabei. Er wird auf dem erklärenden Schild darunter bis über den grünen Klee gepriesen, aber dass er es war, der Uruguay in die Unabhängigkeit nicht von den Spaniern, sondern von (dem späteren) Argentinien führte, wird tunlichst zu erwähnen vermieden. Diese Ausstellung würde später noch eine Rolle auf dem Zwischenseminar spielen, eine Diskussion, die ich jetzt vorziehe. Beachtenswerterweise werden hier nämlich auch mehrere indigene Freiheitskämpfer geehrt, die nicht (nur) gegen die Spanier kämpften, sondern auch gegen die europäischen Siedler, die später Elitepositionen in Staat und Gesellschaft einnahmen, während die eigentlichen Einheimischen vernachlässigt und diskriminiert wurden. Im Gegensatz zu dieser vorbildlichen Behandlung hier fällt aber auf, dass es sowohl in Argentinien als auch in Uruguay zwar sehr viele Denkmäler für alte weiße Generäle, kaum aber Erinnerungen an die indigenen Ureinwohner gibt. Auch auf den Geldscheinen beider Länder werden ausschließlich Europäer oder europäischstämmige Weiße geehrt. Warum gibt es keine Geldscheinserie zur Urbevölkerung Argentiniens? Ist das Rassismus?

Historischer Ausblick

Nach einer Stunde Warterei erfahre ich nun, worauf ich eigentlich gewartet habe: auf eine kostenlose Führung durch die Casa Rosada. Leider noch mal eine Stunde warten, bitte. Ich überlege mir, ob sich das lohnt, aber wenn ich schon einmal gewartet habe, so will ich zumindest nicht umsonst gewartet haben und warte also weiter. Belohnt werde ich am Ende mit dem Ausblick aus dem berühmten Balkon, von dem aus Maradona den Fußball-WM-Pokal in die Höhe streckte und Madonna ihr „Don’t Cry for Me, Argentina“ sang:

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Es ist nun spät geworden, und ich habe Hunger. Vorher schaue ich aber noch beim Denkmal für die Gefallenen Helden des Kriegs um die Islas Malvinas vorbei. Ja, „Islas Malvinas“ und nicht Falklandinseln. Nach argentinischer Lesart, die mir auch in der Casa Rosada begegnet ist, gehören die Falklandinseln zu Argentinien und sind britisch besetzt. Die Militärdiktatur zettelte deswegen vor vielen Jahren einen militärisch von Anfang an aussichtslosen Krieg gegen das viel Stärkere Großbritannien an, als Margaret Thatcher noch Premierministerin war. Sie wollte damit von ihren eigenen innenpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten ablenken. Das ist mir nur bekannt, weil mir mein Vater dazu immer folgende Schulzeiten-Anekdote aus dem DDR-Politikunterricht erzählt hat: Die DDR hatte sich bei Kriegsbeginn offiziell auf die Seite Argentiniens gestellt. Schließlich ging es ja gegen die bösen, imperialistischen Briten, den kapitalistischen Erzfeind und was weiß ich noch alles. Da müsse man den guten, antiimperialistischen Argentiniern moralisch beiseitestehen, meinte der Lehrer. Schließlich sei Großbritannien eine kapitalistische Diktatur im Gegensatz zur Deutschen Demokratischen Republik. Mein Vater wies dann darauf hin, dass Argentinien zu dem Zeitpunkt aber ebenfalls eine Diktatur war, eine rechtsgerichtete, kapitalistisch orientierte sogar. Wie man sich denn da auf die Seite des Feindes stellen könne? Nun, in der DDR hatte die Partei eben immer Recht, weswegen sich seine Eltern eine freundliche Einladung zum Schuldirektor einhandelten, dessen antiimperialistische Verteidigungsrede des Sozialismus sie schweigsam über sich ergehen ließen, da sie an den Propagandaquatsch der SED genauso wenig glaubten wie ihr Sohn.

Fortsetzung folgt

Wie auch immer, vor Argentiniens Küste sitzen immer noch die Briten, und in meinem Magen sitzt immer noch der Hunger. Und im Bus gibt es ja nichts zu essen. Ich löse das Problem mit einer schönen, guten 500-Gramm-Portion des argentinischen Rindfleisches. Das war ein Fehler, wie sich später noch herausstellen sollte. Nach zwei Monaten hatte ich ja geglaubt, dass mich als Uruguayo und Porteño nun gar nichts mehr überraschen könnte. Weit gefehlt. Ich beende gerade meinen Nachtisch aus zwei sündhaft teuren Havanna-Keksen[1] und will mich schlafen legen, da kommt der Busschaffner vorbei und teil doch tatsächlich eine komplette Mahlzeit aus! Wie im Flugzeug. Wobei Flugzeugessen tatsächlich besser ist als das Pappschnitzel, das sie mir serviert haben. Eine Schande für die argentinischen Fleischproduzenten. Seltsam nur, dass im Busticket von Essen nie die Rede war. Ich kann mich aus BNE-Gründen nicht dazu bewegen, das Essen wegzuschmeißen, und schlafe mit völlig überfülltem Magen ein. Völlerei ist eine Todsünde, ich weiß, aber auf dem Zwischenseminar ging es genauso in gleicher Weise weiter. Fortsetzung folgt.

[1] Havanna hat in Argentinien gar nichts mit Zigaretten zu tun, sondern mit Dulce-de-Leche gefüllten Keksen. Diese sind so süß, dass ich keinesfalls mehr als zwei davon essen kann. Vergessen Sie Dulce de Leche, vergessen Sie Baklava, wenn Sie das kennen: Havanna-Kekse toppen alles.

2 Kommentare

  1. Norbert · 8. Dezember 2015

    Also die Havanna Kekse muss ich auch auf jeden Fall probieren. Und wenn sie wirklich so lecker sind, steht einem Import/Export nach Deutschland ja nix mehr im Wege. Lebensmittel importieren/exportieren wir ja eh immer von unseren Reisen auf der ganzen Welt. Das wird ja dann eine weitere kulinarische Bereicherung.

    Die Geschichte aus dem DDR Geschichtsunterricht stimmt. Leider „vergißt“ die heutige offizielle Geschichtsschreibung viele Dinge über die Irrideologie der DDR Ideologen/Demagogen.

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