Das ist nicht Buenos Aires

Das ist nicht Buenos Aires

Ich bekomme Luft. Nachdem ich beim Landeanflug die Smogglocke, die aufgrund der Inversionswetterlage über der chilenischen Hauptstadt hängt, gesehen hatte, stellte ich mir das Atmen in dieser Stadt etwas schwer vor. Doch ich hatte Glück: die Stadt begrüßte mich mit dem hellsten und strahlendsten Sommerwetter. Auf die Erfahrung, zum ersten Mal im Leben eine Atemmaske tragen zu müssen, konnte ich also verzichten. Beste Voraussetzungen, um die Tour durch Santiago de Chile zu beginnen.

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Die schönste Plaza Mayor Lateinamerikas (bis jetzt)

Eine Stadttour beginnt, wie ich schon einmal erläutert habe, in Lateinamerika immer am zentralen quadratischen Hauptplatz der Stadt, von dem aus sich alle Straßen schachbrettmusterartig ausbreiten. In diesem Fall befand sich an der Plaza de Armas sogar mein Hostel. Es sollte das beste Hostel der gesamten Reise werden, mit zentralster Lage, einer unschlagbaren Aussicht vom Balkon und das ganze zum unglaublichen Preis von nur 12 Euro pro Nacht, inklusive Frühstück (und W-LAN, natürlich). Die Taxifahrer wollten mir erst gar nicht glauben, dass sich an dieser Stelle wirklich ein Hostel befindet. Ich musste tatsächlich eine Weile suchen, denn das Hostel ist im Apartment eines Mietshauses untergebracht, mit anschließender Fressmeile unten drunter. Ich frage mich jedoch, wie die Besitzer des Ladens diese Aussicht bezahlen konnten:

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Die Plaza de Armas von Santiago de Chile ist, glaube ich, mit ihrem vielen Grün, ihren Palmen und ihren Schatten spendenden Bäumen die schönste Plaza, die ich bisher in Lateinamerika gesehen habe. Und auch hier gibt es etwas zu entdecken, was ich bereits in der Schule über Santiago gelernt habe: das Zusammenspiel von modernen Glasfassaden und historischen Kirchengebäuden. Santiago wurde im Laufe seiner Geschichte leider mehrmals Opfer von Erdbeben und Zerstörungen, weswegen für eine so reiche Geschichte nur vergleichsweise sehr wenige historische Bauten übrig geblieben sind. Dafür gibt es aber unzählige Museen zu besichtigen, die ich noch in einem eigenen Beitrag behandeln werde. Santiago besteht nur aus Museen, behauptet der Reiseführer.

Ein Gefühl des Fremdseins

Obwohl ich eigentlich ein großer Museumsfan bin, fühlte ich mich in dieser Stadt zum ersten Mal, seit ich in Südamerika bin, wieder etwas fremd. Das liegt daran, dass ich an Uruguay und auch Buenos Aires mittlerweile so sehr gewöhnt bin, dass mir viele Dinge gar nicht mehr auffallen – die aber meinen Eltern aufgefallen sind, als sie zu Besuch kamen. In Uruguay habe ich mittlerweile ein Gespür dafür, wie viel etwas wert ist, wenn mir jemand sagt, es kostet 100 Pesos, ohne das groß in Euro umrechnen zu müssen (es sind drei). Auch in Argentinien geht mir das so, denn da ist es schlicht das Doppelte: sechs Euro. Es fühlt sich, während ich dies schreibe, sogar komisch an, das Wort „Euro“ nicht im Plural zu schreiben, wie es auf Spanisch immer heißt: tres euros. séis euros. In Chile jedoch sind 100 Pesos gerade einmal 13,33 Cent wert, ein Kurs von 1:750, was einiges an Kopfrechenakrobatik nach sich zieht. Und natürlich sehen die Scheine und Münzen auch ganz anders aus. Und die Menschen sind zwar alles Europäer oder deren Nachkommen, wie in Uruguay, aber sie sprechen nicht mein heißgeliebtes Uruguayo, meinen Ríoplatense-Dialekt, den ja schon seit langem auch ich spreche. Kein Voseo, kein sch statt ll, kein nix. Stattdessen eine Menge neuer Wörter, die man nur in Chile verwendet, und von denen ich mir kein einziges merken konnte, da sie oft indianischen Ursprungs sind.
Noch dazu fühlte ich, dass die Zeit diesmal beschränkt war. An Großstädten hatte ich bisher nur Buenos Aires besucht (Montevideo zählt nicht, das ist ein großes Dorf), und nach dort konnte ich jederzeit leichtestens zurückkehren, weswegen ich auch so oft dort war. In Santiago war die Zeit knapp, und eine baldige Rückkehr ausgeschlossen. Ich rannte, ich hetzte mehr oder weniger durch die Altstadt, an folgenden Sehenswürdigkeiten vorbei,

Allende, die Vereinigten Staaten und die CIA

bis ich am Präsidentenpalast La Moneda ankam. Auch hier begegnete mir eine alte Geschichte aus dem Spanischunterricht, nämlich folgender Herr hier:

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Aus der Generation der kulturweit-Freiwilligen werden sich nur wenige erinnern, aber bis vor wenigen Jahren galt der 11. September in Europa gar nichts und in Lateinamerika als Tag des Militärputsches in Chile. 1970 kam dort, zum ersten Mal weltweit, ein Sozialist durch demokratische Wahlen an die Macht: Salvador Allende. Chile stand damals vor einer sozialen Frage ähnlich wie Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts. Die Lösung war aus Sicht Allendes ebenfalls die Gleiche wie die eines gewissen Karl Marx: Sozialprogramme, Verstaatlichungen und ein neuer, demokratischer Weg zum Sozialismus. Doch wir sprechen hier von der Ära des Kalten Kriegs, und diese Pläne standen sowohl aus geostrategischen als auch aus ökonomischen Gründen (denn schließlich wurden auch US-amerikanische Firmen enteignet) den Interessen der damals und heute mächtigsten Macht dieses Planeten entgegen: dem selbsternannten Weltpolizisten, der sich „Vereinigte Staaten“ nennt. Mit US-amerikanischer Militär“hilfe“ und CIA-Geheimagenten wurde eine Putschbewegung angeschoben, die schließlich am 11. September unter der Führung des chilenischen Generals Augusto Pinochet einen Militärputsch anzettelte und den Präsidentenpalast bombardierte. Allende leistete nur schwachen Widerstand und beging Selbstmord – manche Altlinke und Verschwörungstheoretiker behaupten bis heute, er sei von eindringenden CIA-Agenten erschossen worden. Pinochet begann dann eine von den USA unterstütze Militärdiktatur, in deren Verlauf, wie in so vielen anderen lateinamerikanischen Ländern auch, zahlreiche Menschen als desaparecidos ihr Leben lassen mussten (Wer mehr zu den „Verschwundenen“ wissen möchte, möge hier über die Verbrechen der uruguayischen Militärdiktatoren nachlesen). Die Geschichte der US-lateinamerikanischen Beziehungen, so ist das Fazit, war und ist eine einzige Blutspur aus Menschenrechtsverletzungen, unberechtigter Einflussnahme, Militärinventionen, Putschen und US-amerikanischem neoimperialistischem Expansionsstreben. Jetzt stamd ich hier an diesem Gebäude, dass auftragsgemäß vom chilenischen Militär bombardiert wurde, und fragte mich: gibt es dazu kein Museum? Keine Ausstellung? Oder habe ich die bloß nicht gefunden? Kann mir jemand von den Chile-Freiwilligen da vielleicht mal helfen?

Santiagos Subte

Statt Museum begeben wir uns jetzt eben, virtuell gesehen, in die Metro von Santiago de Chile. Mir war ja bisher nur die Subte von Buenos Aires bekannt, die mit einer elektronischen Chipkarte namens SUBE funktioniert. Das ist die Abkürzung für sistema único de boleto electrónico (einziges System für elektronische Fahrkarten) und gleichzeitig ein Wortspiel, denn ¡sube! heißt auf Spanisch nichts weiter als: Steig ein!
In Santiago also heißt diese Karte Bip!, und ein entsprechendes Geräusch macht sie auch, wenn man sie verwendet: Bip!, Bip!, Bip!, und zwar laut. Zu dem meiner Meinung nach bescheuertem Namen kommt also auch noch ein nie endendes Gebipse in den Hallen der Metro. Noch dazu ist eine Fahrt mit 650 chilenischen Pesos ungefähr 2,5-mal so teuer wie in Buenos Aires, wo sie nur 5 argentinische Pesos kostet. Naa… mal nachrechnen… wie viel ist das in Euro? – Eine Sache gefällt mir aber wirklich besser an der Metro von Santiago: es gibt fast keine Bettler.

Cable Car in Chile

Die Metro führt uns schließlich zu einem weiteren öffentlichen Verkehrsmittel: dem Cable Car von Santiago. Eigentlich heißen diese Aufzüge ja funicular und sind bekannter für Valparaíso, aber auch in Santiago gibt es einen solchen, der auf den Gipfel des Cerro San Cristobal führt. Dort steht eine Marienstatue, die den unglaublichen Ausblick auf die Stadt und den Talkessel genießt. Erst bei diesem Ausblick wurde mir so richtig bewusst, wie riesig Santiago als Großstadt eigentlich ist:

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Auf dem Rückblick lief ich noch an einer Art Open-Air-Veranstaltung vorbei. Mir wollte zuerst gar nicht einfallen, was das schon wieder ist, alle Menschen hatten Palmzweige in der Hand und sangen Lieder. Vielleicht eine politische Demonstration, wollen die Chilenen ihre Regierung stürzen??! Das kommt in Lateinamerika ja öfters mal vor… Dann sah ich den Altar und den Pfarrer, und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Palmsonntag. War schon lange nicht mehr in der Kirche…

London calling

Schließen wir diesen sowieso schon viel zu langen Beitrag über Chiles Hauptstadt mit dem Blick in das Barrio Paris-Londres. In diesem Stadtviertel Santiagos soll es angeblich so aussehen wie in London bzw. Paris. Da ich zugeben muss, bisher noch nie in London und auch nur als Kind in Paris gewesen zu sein, kann ich nicht wirklich beurteilen, ob das stimmt, aber die Häuser schauen auf jeden Fall anders aus.

Wie man ebenfalls unschwer auf den Bildern erkennen kann, sind die Straßen in diesem Stadtviertel nicht ganz geradlinig und schachbrettmusterartig, sondern auch mal quer und kurvig. So ähnlich, wie sie auch in meinem nächsten chilenischem Reiseziel sind: in Valparaíso.

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