100 Dinge über Uruguay, die in keinem Reiseführer stehen

Meine Zeit in Uruguay ist vorbei, weshalb ich hier ein paar kleine Eindrücke festhalten möchte, die meinen Alltag prägten, die ich aber wohl bald wieder vergessen habe, ohne die stetigen Erinnerungen. Ob es wirklich 100 Dinge werden, wage ich zu bezweifeln. 

 

Land und Leute

1. Leute, die bei der Landung eines Flugzeugs klatschen, kannte ich schon vor meiner Zeit in Uruguay zur Genüge, hier habe ich aber zum ersten Mal miterlebt, wie Leute am Ende eines Kinofilm klatschten.

2. Der typische männliche Uruguayo ist an drei Dingen zu erkennen: einem Vokuhila, fragwürdigen Tattoos und natürlich seinem Mate.

3. Das ganze Land ist voller Esoteriker. Überall kann man Räucherstäbchen, Halbedelsteine und Bienenwachskerzen kaufen. Letztere soll man am 11. und 22. eines jeden Monats anzünden – das bringt Glück oder so ähnlich. 

4. Fischen ist ein Nationalsport oder eher eine nationale Betätigung. Sieht man morgens nur vereinzelt Leute mit Angeln an der Rambla, muss man sich abends hüten, dass man nicht selbst beim Hakenauswurf aufgespießt wird. Alter und Geschlecht spielen bei diesem Hobby keine Rolle: Die ganze Familie sitzt über dem Wasser und zieht Fische heraus. 

5. Die Rambla: Ort des sozialen Leben. Die Rambla ist die Uferpromenade, wo man entweder joggt, angelt, liest oder mit Freunden Mate trinkt. An der Rambla Mate zu trinken, ist hier eine offizielle Aktivität, bei der man zumindest in Fray Bentos nicht auf den träge vorbei fließenden Río Uruguay blickt, sondern auf die vorbeifahrenden Autos. In Montevideo gibt es keine Lehnen an den Bänken, da hat man also die Wahl, ob man auf den Río (de la Plata) schauen möchte oder nicht. 

6. Wenn wir schon an der Rambla sind: Einige junge Leute haben Lautsprecher im Kofferraum ihrer Autos verbaut, mit denen sie dann die 20 m Rambla um sie herum beschallen, bis das nächste Auto mit eingebauten Boxen kommt und um die Musikhoheit konkurriert. Die Musik ist aber überall die gleiche – allgemein erscheint es, als gäbe es nur vier Lieder (oder alle hören sich gleich an).

7. In jeder Stadt gibt es mehr oder weniger die gleichen Straßennamen. Die meisten Straßen sind nach berühmten Männern benannt, nach Ländern oder nach Orten. Spannend sind dann natürlich alle Namen, die von dieser Norm abweichen (in Nueva Helvecia finden sich z. B. Guillermo Tell oder die Straße Frau Vogel).

8. Artigas, Artigas, Artigas – Chef der Orientalen, Beschützer der freien Völker, Gründervater der Nation, der im paraguayischen Exil starb, ohne die uruguayische Unabhängigkeit zu erleben, für die er gekämpft hatte. Es herrscht ein Kult um José Gervasio Artigas. Wahrscheinlich stellt man in uruguayischen Städten erst die Artigas-Statue auf, bevor man anfängt Häuser zu bauen. Ob hoch zu Pferde wie in Montevideo oder mit feschem Hut und Degen in der Hand wie in Fray Bentos: Artigas ist in Uruguay nie fern. Die in Deutschland verteilten Bismarck-Büsten haben leider nicht den gleichen Flair . 

9. Um beim Artigas-Kult zu bleiben: Die uruguayische Bus-Webseite Urubus nutzt als Platzhalternamen José Gervasio Artigas, einschließlich der Platzhalter-Mail jose_gervasio@artigas.com.uy

 

Kulinarisches Uruguay

10. In Keksen wird Rinderfett verwendet, weil es das günstigste Fett ist. Als Vegetarier empfehle ich, brasilianische Kekese zu kaufen, da ist man meistens auf der sicheren Seite. 

11. In Uruguay werden Milchalternativen in Gold bemessen, die günstigsten gibt es mit Glück ab 4€ pro Liter, für gewöhnlich sind es eher 6€. Entsprechend hoch ist auch der Aufpreis im Café, den man auf Sojamilch und Co. zahlt (>1€). Wenn man aber zu besonders ökigen Läden geht, gibt es sie aber auch umsonst (La Molienda <3). 

12. Torta Frita, ein frittierter Teigfladen, der von Straßenständen überall verkauft wird, ist der perfekte Snack für Zwischendurch und mit einem Preis von weniger als 90 Cent auch sehr erschwinglich. Torta Frita werde ich in Deutschland auf alle Fälle vermissen. 

13. Ich liebe Tequeños und die Venezolaner:innen, die sie verkaufen (Pasapalo Venezuela ist wärmstens zu empfehlen, besonders ihr Stand auf der Feria de Tristán Narvaja).

14. Pizza hier sollte nicht am Maßstab italienischer (neapolitanischer) Pizza gemessen werden, denn sie ist anders, der Boden ist dicker und der Käse mehr eine zusammenhängende Scheibe über allem. Wenn man darauf vorbereitet ist, ist die hiesige Pizza aber schon lecker.

15. Ich weiß, dass Trinkpäckchen eine ökologische Vollkatastrophe sind, aber in diesem Jahr habe ich doch häufiger nach einem gegriffen. Ein Trinkpäckchen aus dem Kühlfach ist fantastisch für unterwegs. Neben Schokomilch und normalen Säften gibt es hier auch Sojamilch-Saft-Mischungen, was sich vielleicht seltsam anhören mag, aber der Saft ist dadurch cremiger und absolut fantastisch. Alpro sollte dahingehend expandieren.

 

Kunst und Kultur

16. Wandgemälde und Straßenkunst haben einen hohen Stellenwert und sind Orte des politischen Diskurs. Ich kenne einige Wände, die innerhalb von wenigen Tagen neue politische Slogans trugen (als Antwort auf das Vormotiv) und auch die Wahlen sind Thema der Kunst. Es gibt aber auch unpolitisch(er)e Wandgemälde: Dann zieren Dschungellandschaften, Tiere oder auch Portraits ganze Häuserfassaden und die Kunstwerke sind sogar signiert, oft mit dem Symbol einer Brigada, also einem Zusammenschluss aus Wandmaler:innen.

17. Die Museen sind sehr günstig oder sogar kostenlos und gerade die Kunstmuseen meistens auch sehr gut. In anderen Museen hingegen ist die didaktische Reduktion noch nicht angekommen, weshalb die Wände mit Romanen zugepflastert sind. 

18. Uruguay hat einige sehr interessante Künstler:innen, v. a. moderne, aber seit Joaquín Torres-García ist alles sehr Torres-García-esk (oder bewusst nicht!). Das liegt u. a. daran, dass Künstler wie Gurvich in der Werkstatt Torres-García ihre Anfänge hatten. Torres-García hat ein Kunstverständnis und damit einhergehend eine Formensprache gelehrt, den Universalismo Constructivo, der die uruguayische Kunst prägt. 

 

Montevideo

19. Montevideo tropft. Wenn man die Straße entlang geht, muss man aufpassen, dass einem nicht das Wasser der Klimaanlagen auf den Kopf tropft. 

20. Alle Fassaden lügen euch an. Man glaubt, vor einem gewöhnlichen, zweistöckigen Haus zu stehen, aber meistens öffnet die erste Tür in einen langen Gang oder in einen Innenhof, von wo aus weitere Wohneinheiten abzweigen. Manchmal ist hinter einer Häuserfassade aber auch einfach ein Parkhaus, ein Sportplatz oder gar nichts mehr. 

21. Tagsüber ist der Palacio Salvo ein schöner Bau, aber sobald es dunkel wird und auf seiner Spitze die seltsame, nippelförmige Beleuchtung angemacht wird (die eigentlich eine Lichtbrücke mit dem Schwestergebäude in Buenos Aires hätte bilden sollen, nur hat der Architekt die Erdkrümmung nicht bedacht), kann ich ihn nicht mehr ernst nehmen. 

22. Ich werde die Ferias vermissen. Einkaufen auf Märkten macht einfach mehr Spaß als im Supermarkt, und auch wenn immer das Gleiche angeboten wird, schaue ich mir doch gerne die Stände an.

23. Montevideo ist eine furchtbar leere Stadt. Man sieht außerhalb der 18 de Julio und den Ferias kaum eine Menschenseele, besonders am Wochenende. 

24. Wer auch immer die Gehsteige in Montevideo errichtet hat, möge verflucht sein. Gerade um die Plaza Independencia sind die Steine so rutschig, dass selbst jemand mit mehr Profil an den Sohlen als ich aufpassen muss, nicht rücklings aufs Pflaster zu fallen. 

25. Wenn man in Montevideo die große Hauptstraße 18 de Julio entlang geht, findet man an jeder Straßenecke mindestens eines der folgenden Fast Food-Lokale, oftmals auch mehrere: Subway, Starbucks, Burger King, McDonald’s oder Mostaza (eine argentinische Burgerkette). Nimmt man noch die uruguayische Kette La Pasiva hinzu, hat man wirklich jede Kreuzung abgedeckt. 

26. Es gibt wunderschöne Häuserfassaden in Montevideo (wie z. B. die des Palacio Brasil oder des Hauses der Sala Zitarrosa), aber oft erkennt man sie erst von der anderen Straßenseite aus (oder gar nicht, denn die Verzierungen verschwinden unter dem Staub der Jahrzehnte).

27. Montevideo ist eigentlich zur Hälfte Hundewiese, zur anderen Hälfte Hundeklo. Dass ich nicht täglich meine Schuhe habe reinigen müssen, grenzt an ein Wunder. Immerhin haben die meisten Hunde hier lustige Outfits an: Manchmal gewöhnliche Hoodies, manchmal hundegerechtere Capes mit Cartoon-Knochen-Muster.

28. Der Straßenverkehr wird ab und zu zur Lärmbelästigung, wenn irgendwelche Uruguayos meinen, ihre Klapperkisten auf Höchstgeschwindigkeit bringen zu müssen und dann mit einer Milliarde Dezibel an einem vorbei knattern. Besonders schlimm sind die Mopedfahrer, die einen Krach machen,als würden sie die Schallmauer durchbrechen, während sie gemächlich vorbeigurken. 

 

Das also sind meine 100 (28) Dinge über Uruguay, die in keinem Reiseführer stehen, aber das Land zu dem machen, was es ist. Ich durfte viele schöne Erfahrungen in (und um) Uruguay machen – aber ich bin auch froh, wieder zurück zu sein, auch wenn ich die Bohnendosenauswahl in deutschen Supermärkten jetzt schon zu beklagen habe. 

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