Die erste Eingewöhnungsphase in meiner Einsatzstelle ist nun vorbei. Mittlerweile kann ich mir eigene Aufgaben suchen und bereitete schon erste Deutschlernspiele vor. Dabei ist mir klar geworden, wie schwer es für Muttersprachler ist, die Regeln der eigenen Sprache zu erklären.
Eigentlich ist in den letzten Wochen noch viel mehr passiert und wahrscheinlich sollte ich zum Beispiel noch einen Eintrag über das PASCHrockt Festival oder unsere Reise nach Tigre schreiben. Schließlich las ich in einem „how to Blog-Tutorial“ von der Kulturweit-Blog-Plattform, wie wichtig es ist, sich immer nur das Einzigartigste herauszupicken, um die Einträge wirklich interessant zu machen. Allerdings liegen diese Ereignisse jetzt schon ziemlich weit zurück. Außerdem erhält niemand ein Bild von meinem Alltag, wenn ich immer nur von besonders spannenden Sachen berichte. Daher verschiebe ich die PASCHrockt und Tigre-Einträge bis auf weiteres und konzentriere mich nun auf eine Schulalltags-Episode. Denn dieser hat sich in der letzten Woche ein bisschen gewandelt.
Ich bin jetzt quasi aus der Eingewöhnungsphase herausgewachsen. Zum einen kann ich mir jetzt selbst einen Plan erstellen, d. h. entscheiden, in welchen Unterricht ich wann gehe. Zum anderen entwerfe ich nun kleine Spiele und Übungen, die ich dann zusammen mit den Lehrern ausprobieren kann. Dabei muss ich jedoch noch einschätzen lernen, wie viel Zeit ich für welche Vorbereitung benötige. Denn mein Plan ist jetzt kein reiner Stundenplan mehr. Ich muss auch Bürozeit einkalkulieren, um alles zu durchdenken, aufzuschreiben, auszudrucken und mitunter zusammen zu basteln. Gerade am Anfang, wenn die Überlegungen und Handgriffe noch nicht so sitzen, dauert alles ziemlich lange. Aber das ist Übungssache, bald schon wird es sicherlich einfacher laufen.
Mein erstes Spiel hatte ich eigentlich für die siebte Klasse vorbereitet. Es sollte um die Bildung des Perfekts gehen. Ich wollte die Gruppe in zwei Teams einteilen und sie dann, wie in einem Wettbewerb, Satzbausteine in die richtige Reihenfolge bringen lassen. Da habe ich dann bei der Umsetzung gleich gemerkt, wie schwierig es ist, die Realisierbarkeit richtig einzuschätzen. Denn die Bildung des Perfekts ist für Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner ziemlich kompliziert. Es gibt so viele Ausnahmen, die ich als Muttersprachlerin gar nicht gleich erklären könnte.
Bevor ich meinen Freiwilligendienst antrat, war mir überhaupt nicht klar, wie wenig mir die deutschen Grammatikregeln bewusst sind. Da werde ich in einem Jahr also ganz schön viel dazu gelernt haben!
Parallel dazu lerne ich selbst eine neue Sprache und bekomme all die Wirrungen mit, die auch meine Schüler (klingt witzig, „meine Schüler“) durchlaufen. Dabei muss ich natürlich sagen, dass Deutsch als Fremdsprache schon sehr schwierig ist. Das Perfekt zum Beispiel wird im Spanischen mit „haben“ ( „haber“) gebildet werden. Im Deutschen auch, allerdings nicht mit allen Verben. Bewegungsverben werden nämlich mit „sein“ gebildet. „Ich habe mir die Sterne angeguckt“ geht. „Ich habe Einrad gefahren“ geht nicht. Im Französischen ist das glaube ich genauso. Das passé composé wird ebenfalls mit „avoir“ gebildet, die „Häuschenverben“ allerdings mit „être“. Es ist schon sehr aufregend, sich der Sprache so bewusst zu werden! Dabei habe ich erst gaaaaaanz wenig reingeschnuppert, in die Linguistik (uiuiui, so ein großes Wort. Xenolinguistik ist aber immer noch cooler ; ) ). Im Deutschen bleibt die Kompliziertheit aber nicht bei „sein“ und „haben“. Denn dem Hilfsverb folgt das Partizip Perfekt. Um dieses zu bilden, müssen selbst bei den schwachen Verben Ausnahmen beachtet werden. „Schwache Verben“ klingt auch sehr komisch. Neuerdings weiß ich, dass dies einfach nur regelmäßige Verben sind. Manchmal muss man z.B. für die Bildung des Partizips ein „ge-“ vorne anfügen, manchmal nicht. Und dann gibt es auch noch wirklich extrem viele starke Verben (ein Euphemismus für unregelmäßige Verben).
Die richtige Satzstruktur zu finden, ist für die Schüler auch sehr kompliziert. Also, wann man im Satz das Subjekt, die Verben, den Ort, die Zeit usw. einsetzen muss. Bei meinen Sätzen zum Sortieren für die siebte Klasse hatte ich zum Beispiel ausversehen Inversionen eingebaut. Das heißt, man kann die eigentliche Grundstruktur auf ganz bestimmte Weise auch noch durcheinanderbringen. Fälle gibt‘s dann ja auch noch. Die muss ich mir ebenfalls nochmal angucken.
Das sind glaube ich Probleme, die beim Erlernen jeder Fremdsprache auftreten. Trotzdem waren mir diese kaum bewusst.
Ja ja, viel zu lernen ich noch hab.
Das Perfekt-Spiel war eigentlich für Dienstag geplant. Wir haben es verschoben, ich schrieb einfach nur ein paar Satzbausteine an die Tafel, die die Schüler dann ordnen mussten. Da ist der Spaß leider ausgefallen. Mein Spiel war unrealistisch, weil die Kinder das Perfekt noch nicht verstanden hatten. Die Satzstruktur bereitete ihnen auch noch Probleme. Ich habe mir am Freitag Sätze aus weniger Satzbausteinen überlegt und das Konzept überarbeitet. Wir werden die Schüler nun wahrscheinlich in 4er Gruppen einteilen. Jeder in den Gruppen bekommt einen Satzbaustein und dann müssen sie diese Zettel in die richtige Reihenfolge bringen. Mal sehen, ob es so nächste Woche besser funktioniert.
Am Mittwochmorgen danach hatte ich einen richtigen Spielerfolg! Diesmal bei den Kleinen in der 2. Klasse. Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob ich ihnen mein gebasteltes Domino mit Wortschatz zu Essen und Trinken verständlich machen können würde. Ich hatte so um die 30 Wörter und nach der Hälfte der Domio-Karten-Reihe eine optionale Stopp-Karte eingebaut, um das Spiel beenden zu können, falls es zu viel wird. Meine Sorgen waren aber total unbegründet! Die Lehrerin (übrigens duzen die Schüler die Lehrer hier und sprechen sie mit dem Vornamen an, auch in der Secundaria) gab alles, um den Kindern das Spiel zu erklären. Meine Exit-Karte haben wir gar nicht gebraucht! Wir spielten es dann auch ein bisschen anders als ich es geplant hatte. Die Lehrerin wusste da natürlich gleich, wie man‘s am besten umsetzt. Ich habe die Karten mit Klebeband an die Tafel geklebt, denn die Tafeln hier sind leider nicht magnetisch. Dann überlegten alle zusammen, was das nächste spanische Wort mit Bild auf Deutsch bedeuten könnte. Als die Gruppe es heraushatte, durfte ein Kind nach vorne kommen, um die richtige Karte unter den vielen herauszusuchen, diese habe ich dann an die Reihe geklebt. Überraschender Weise sind die Kinder sehr gern nach vorne gekommen. Es hat ihnen richtig Spaß gemacht! Das war toll. Ich darf jetzt das Spiel verkleinern, 17-mal ausdrucken, auf Pappe kleben und ausschneiden. Da können die Kinder es auch mal allein spielen.
Für Donnerstag hatte ich gleich das nächste Spiel vorbereitet. Dieses Mal für die Schüler der 6. Klasse. Diese müssen für die nächste Prüfung Texte üben, in denen sie ihre Familie beschreiben. Dafür überlegte ich mir ein Familien-Bingo. Ich erstellte ein Paar Listen mit Wörtern wie Schwester, Mutter, Hund, Katze, Haus, Klettern, tanzen, braune Augen, 45 Jahre usw. Aus zwei von diesen sollte immer ein Schüler einen Satz bilden. Die anderen Kinder konnten auf ihren Bingo-Tafeln die Wörter suchen und ankreuzen. Wer vier in einer Reihe hatte, bekam einen Punkt. Natürlich musste ich es wieder nicht allein erklären. Das Spiel hat ganz gut funktioniert. Am Ende haben die Lehrerin und ich uns noch Verbesserungsmöglichkeiten überlegt. Naja, eigentlich hat sie mir eher die Tipps gegeben. Das war sehr hilfreich. Zum Beispiel werde ich für die nächsten Bingos (wieder) Zettelstapel vorbereiten, aus denen die Schüler ihre Satzbausteine dann ziehen. Zettel sind sehr praktisch, das übertrug ich dann am Freitag in der Vorbereitung auch auf das Perfekt-Spiel.
Letzte Woche hatte ich also ziemlich viel zu tun. Da ich wie gesagt die Zeit noch nicht so richtig einschätzen konnte und im Spiele-Erfinden noch keine Übung habe, saß ich sehr lange an der Vorbereitung. Deshalb habe ich im Moment auch überhaupt keine Langeweile. Denn außer der Arbeit an der Schule gibt es da ja auch noch eine andere große Aufgabe: Spanisch lernen. Dafür könnte ich quasi unendlich viel Zeit aufbringen. Zum Glück sind wir Freiwillige direkt von kultuweit aus verpflichtet, für mindestens 30 Stunden einen Sprachkurs zu belegen. Der wird uns sogar bezahlt. Ich nehme Spanischunterricht bei einer Lehrerin aus der Schule. Sie war schon mal in Spanien und kann mir deshalb die ganzen Unterschiede erklären. Diese sind durchaus sehr wichtig zu kennen, denn wenn ich mir im Internet spanische Grammatikregeln und Vokabeln heraussuche, gelten die in erster Linie nur für das spanische Spanisch. Zum Beispiel wollte ich mir als Erstes unbedingt eine Vergangenheitsform anschauen, weil ich so etwas einfach für Gespräche brauche. Da war ich ein bisschen vorschnell, und lernte das spanische Perfekt. Nur um am nächsten Tag im Spanischunterricht zu lernen, dass in Argentinien in der mündlichen Sprache hauptsächlich das Indefinido verwendet wird. Schade eigentlich, denn das in Spanien gebräuchliche Perfecto ist einfacher, weil es weniger unregelmäßige Participio Pasado-Formen gibt als es im Indefinido unregelmäßige Verben gibt.
Außer Spanisch lerne ich in meiner Freizeit neuerdings auch reiten. Dass ich hier in der Nähe so etwas machen kann, ist definitiv ein Vorteil vom Dorfleben. Denn in Córdoba oder Buenos Aires gibt es bestimmt keine Reitställe. Und wenn doch, müsste man sicherlich weit raus fahren. Der Reitunterricht ist hier nicht so teuer wie in Deutschland. Allerdings stellt diese Sportart im Moment noch keine Möglichkeit für mich dar, Leute in meinem Alter kennenzulernen, denn ich bin einfach noch nicht gut genug, um mit „den Großen“ reiten zu können. Da muss ich mir vielleicht noch etwas anderes überlegen.
Außer reiten kann man hier auch sehr gut wandern. Denn Villa General Belgrano liegt zwischen zwei Bergketten: den Sierras Grandes und den Sierras Chicas. Die Sierras Chicas sind quasi direkt vor meiner Haustür. Am letzten Montag bin ich auf unseren „Hausberg“, den „Pico Aleman“ gelaufen. Hoch und runter schafft man in zwei Stunden. Von dort oben hat man einen super Blick auf unser Dörfchen. Der Weg geht dann eigentlich noch weiter, wer nur den Pico aleman (ca. 1020 m) besteigen will, muss also umkehren, um wieder runter zu laufen. Morgen werde ich den Weg weitergehen, mal sehen, wo er mich noch hinführt.
Vielen Dank für diesen interessanten Bloggbeitrag! Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut. Mach weiter so!
Besonders gut ist dir dieses Mal der Titel gelungen! Ich liebe deine Zweideutigkeit!