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3400 km in 15 Tagen (Teil I)

18. Dezember 2011

Nach gut zweieinhalb Monaten war es soweit: Das Zwischenseminar in Hangzhou vom 05.12. bis zum 09.12. stand an. Hinzu kam direkt im Anschluss ein „Vorbereitungs“-Seminar des Goethe-Instituts in Shanghai zum Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache (DaF). Ich werde in folgendem Blogeintrag versuchen zum Einen so viel und facettenreich wie möglich, zum Anderen aber auch so kompakt wie möglich von den vergangenen Tagen und Erlebnissen zu berichten. Wie euch vielleicht aufgefallen ist, steht in der Überschrift der Zusatz „Teil I“. Ich habe mich nämlich entschlossen das Erlebte in zwei Teile aufzuteilen, um den jeweils unterschiedlichen Seminaren (damit auch unterschiedlichen Teilnehmern und Lokalitäten) genügend Raum in meinen Erzählungen zu gewähren. Sonst würde meiner Meinung nach die Gefahr bestehen alles in einem Atemzug runterzuschreiben und dabei wesentliche Dinge auszulassen. Das wollen weder ihr noch ich. Daher müsst ihr euch also vorerst mit dem Seminar in Hangzhou begnügen. Der zweite Teil sollte bald folgen (sehr bald, ich versprech’s!).

Nun gut, fangen wir an. Wie schon erwähnt stand zunächst einmal das Zwischenseminar (ZWS) von kulturweit in Hangzhou an. Für alle Nicht-Kulturweitler: Das ZWS ist ein Seminar von kulturweit, das nach ungefähr 2,5-3 Monaten im Gastland/in der Gastregion abgehalten wird. Es spielt dabei keine Rolle ob man 6 oder 12 Monate bleibt. Bei unserem ZWS waren alle Freiwilligen aus China (18) und der Mongolei (2), die im September 2011 ausgereist sind. Hinzu kam noch Phillip, ebenfalls Freiwilliger in China, der im März 2011 ausgereist ist. Er war bei uns mit dabei, weil er bei „seinem“ ZWS damals nicht teilnehmen konnte. Hangzhou ist eine in China sehr bekannte, alte Stadt gut 200 km südwestlich von Shanghai entfernt. Doch dazu später noch mehr.
Wie gelangt man also nach Hangzhou? Richtig! Mit dem 19 h Nachtzug von Guangzhou. Wobei, wir – das sind Nuri, Clara, Franzi und ich – sind nach Shanghai gefahren. Das hatte damit etwas zu tun, dass das andere Seminar erst ziemlich kurzfristig bekanntgegeben wurde und wir nicht wussten, dass wir nach Hangzhou so oder nach Shanghai kommen würden – zumindest Nuri, Clara und ich. Deshalb hatten wir schon lange davor geplant, dass wir jeweils das Wochenende vor und nach dem ZWS im nahegelegenen Shanghai verbringen würden.
So hieß es also am Freitag, den 02. Dezember: Auf zum Bahnhof, rein in den Zug und ab nach Shanghai! Das war wirklich ein Erlebnis. Drei Betten übereinander, 6 Betten in einem „Abteil“. Die Anführungszeichen deshalb, weil es keine Türen, Vorhänge oder Ähnliches gab. Es läuft also jeder an den Betten vorbei und kann hineingucken. Das hört sich aber alles viel schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist. Niemand schaut blöd rein, man liegt ja nachher selber so in seinem Bett und außerdem sind die Leute es gewöhnt auf diese Art zu reisen. Das Einzige, was für mich gewöhnungsbedürftig war, war der Platz in den Betten. Das bezieht sich sowohl auf die Länge und Breite, als auch auf die Höhe des Bettes. Ich hätte, ohne mir einen Wirbel zu verrenken oder mein Genick zu brechen, nicht aufrecht sitzen können. Man muss es sich dann eben in seiner Koje kuschelig machen und einfach die Fahrt vorbei an sehr schönen Landschaften genießen. Man hört Musik, spielt Karten, redet miteinander und in China natürlich besonders wichtig: Isst. So gehen dann auch schnell ein paar Stunden um, bis es Schlafenszeit ist. Von einer Sekunde auf die andere wird das Licht ausgemacht, ohne Vorankündigung. Persönliche Leselampen gibt es natürlich nicht. Wer so einen Luxus braucht kann in die Erste Klasse gehen, zu den Soft Sleepern. Dort gibt es neben den Lampen nur vier Betten und eine Tür pro Abteil. Wir finden unser Hard-Sleeper-Abteil aber völlig ausreichend und sind glücklich dort schlafen zu können. Am nächsten Morgen wacht man anderthalb Stunden vor Shanghai auf. Während man also süße Träume – bzw. Schlafschwierigkeiten aufgrund der engen, harten Betten – hatte, rollte der Zug weiter die insgesamt 1800 km Srecke entlang Richtung Ziel. Das nenne ich effizientes Reisen! Bei all meiner Euphorie über das Zugfahren habe ich eine Sache aber fast vergessen. Uns hat nämlich seit unserer Abreise in Guangzhou eine ungewöhnliche Gruppe von Männern begleitet. Einer von ihnen hatte Handschellen und Fußfesseln um. Wir vermuten, dass er ein Häftling war und die anderen drei seine Begleiter/Aufpasser. Auch im Zug wurden die Ketten nicht abgenommen, es hielten alle drei abwechselnd Wache. Dennoch kam es für uns so rüber, dass die Begleiter ein lockeres, manchmal sogar fast freundschaftliches Verhältnis pflegten. Das äußerte sich in gemeinsamen Reden und Lachen. Ich muss sagen, es war schon ein mulmiges Gefühl, einen Häftling in Handschellen in seinem Abteil zu haben. Zum Einen, weil man natürlich nicht weiß, was er getan hat. Ich meine, theoretisch könnte er auch ein Mörder sein. Aber wirklich Angst hatte ich nicht, er wurde ja bewacht. Zum Anderen aber auch, weil mir es total unangenehm war, wie der Mann zur Schau gestellt wurde… Aber zurück zum Zugfahren.
Beim Aussteigen dann der Schock: Kälte! Bei unserer Abfahrt in Guangzhou war uns schon klar, dass wir in den „hohen“ Norden fahren würden und es dort auch kälter sein würde. Dafür hatten wir ja extra davor noch wärmere Sachen eingekauft. Und außerdem war es ja auch in Guangzhou kälter geworden. Am Tag vor unserer Abreise war ich abends bei 26°C in kurzen Hosen einkaufen gewesen. Aber das was uns in SH erwartet hat, war nicht abzusehen und einfach eine pure Qual für uns wärmeverwöhnte „Südchinesen“. Noch im Bahnhof habe ich meinen Koffer aufgemacht, um mir Schal und Handschuhe herauszuholen. Dann gleich das erste Taxi genommen, in dem es Gott sei Dank warm war, um ins Hostel zu gelangen. An dieser Stelle möchte ich den Bericht über das erste SH-Wochenende vorerst zurückstellen und mit der Reise nach Hangzhou fortfahren. Aber keine Sorge, ich werde SH nicht vergessen 😉

Nach zwei Tagen SH machten wir uns auf den Weg nach Hangzhou zum ZWS. Was gäbe es da Schöneres als mit dem CRH3 (fast baugleich mit dem ICE 3) mit 300 km/h in der komfortablen Kabine durch die chinesischen Lande zu düsen. Nach nicht einmal ganz einer Stunde ist man auch schon am Ziel angelangt. In den Bus eingesteigen und die letzte Etappe nehmen. Doch da steht man erst einmal eine Weile. Der chinesische Verkehr/Stau schlägt wieder einmal zu…Letztendlich waren wir fast genauso lang im Bus für 5 km unterwegs, wie im Zug für 200 km. Trotzdem. Irgendwann sind auch wir angekommen, auch wenn mit leichter Verspätung.
Es war echt cool in den Raum rein zu kommen und alle Gesichter aus China und der Mongolei auf einen Schlag zu sehen. Ich muss sagen, das war insgesamt das Tollste an den zwei Wochen, nämlich die ganzen Leute vom Vorbereitungsseminar (VBS) wieder zu treffen, sich mit ihnen auszutauschen und ihre Erfahrungen und lustige Geschichten zu hören. Beim Seminar ging es nicht primär um die individuelle Arbeit an den Einsatzstellen eines jedes Einzelnen, sondern eher um unsere Rolle als Freiwilliger im Gastland und der Situation von zu Hause weg zu sein. Es gab viel Zeit zum Austausch, zur Selbstreflexion, zum Planen unserer Langzeitprojekte und natürlich zum Erkunden der Stadt.
Ich hatte vorhin bereits erwähnt, dass Hangzhou (杭州 – immer wieder die Schriftzeichen für die Liebhaber der Chinesischen Sprache ;)) in China sehr bekannt ist. Die Stadt ist dehalb bekannt, weil sie, vor allem wegen des Westsees, als Schönheitsideal für eine jede alte chinesische (japanische, koreanische) Stadt galt. Der besagte See ist sogar auf der Rückseite des 1 Yuan Scheins abgebildet. Es gibt in China, Japan und Korea heutzutage immer noch 36 Kopien des Sees. Manche davon in etwas abgewandelter Form, manche kleiner als das Original, aber alle am Vorbild von Hangzhou. Zudem kommt noch eine schöne Altstadt und hübsche renovierte Fußgängerzonen und Flaniermeilen rund um den See. Man kann das Ambiente vielleicht entfernt mit Konstanz und dem Bodensee oder Zürich und dem Zürichsee vergleichen, nur eben chinesischer. Abends gab es natürlich auch Einiges zu erleben. Johanna, eine Mitfreiwillige, deren Einsatzstelle in Hangzhou ist und sie sich dort deshalb natürlich bestens auskennt, hat uns gleich am ersten Abend ins Coco geführt. Die Disco sollte für die nächsten vier Tage unser „Stammlokal“ werden – wir hatten eine Menge Spaß. Hier ein Gruß zurück an Sebastian, ein Freiwilliger in Ulaanbaatar (Hauptstadt der Mongolei), in dessen Blog ich auch einen Platz bekommen habe 😉 Auch in der gemütlichen Burton Bar in der Nähe vom Coco war gute Stimmung, spätestens wenn wir gekommen sind. Die Zeit verging wie im Fluge, plötzlich war es Freitag. Das Positive aber war, ich musste mich nur von einer Person endgültig verabschieden, nämlich Mila, die in Kunming wohnt und leider nicht am zweiten Seminar in Shanghai teilnehmen konnte. Alle anderen habe ich wieder in Shanghai getroffen. Dennoch, bevor uns wieder zurück in die Big City machten, nutzte eine kleine Gruppe noch das wunderschöne Wetter aus, um noch einmal zum Westsee zu fahren und die wunderschöne Landschaft zu bestaunen. Wie ihr auf den Bildern seht, hat es sich gelohnt.

An dieser Stelle haben wir das Ende von Teil I erreicht. Nach dem wunderschönen Seespaziergang sind wir auf direktem Wege zum Hotel, Sachen geholt, dann zum Bahnhof und wieder zurück nach Shanghai. Um auf meinen Titel zurückzukommen: Mittlerweile haben wir 2200km geschafft (1800 GZ-SH, 200 SH-HZ und 200 HZ-SH). Wie es weitergeht erfahrt ihr im nächsten Teil. Fortsetzung folgt.

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