h1

Zwischen Ahnenkult, Christentum und Glücksspiel

20. Mai 2012

 

Wie bereits angekündigt habe ich letztes Wochenende einen Trip ins nahegelegene Macau (澳門 Aomen) gemacht. Mit dem Bus sind es nur 2 Stunden in die Stadt Zhuhai (珠海), die sich direkt an der Grenze zu Macau befindet. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an einen meiner ersten Beiträge (Anfang Oktober), in dem ich den gemeinsamen Trip mit Franzi und Clara nach Zhuhai schildere. Damals standen wir schon vor dem Grenzgebäude, konnten nach Macau hinüberschauen, durften aber nicht (außer Franzi) nach Macau. Damals hatten Clara und ich nur ein Visum für eine einmalige Einreise.

Dies hat sich glücklicherweise geändert und so begab ich mich voller Vorfreude in die riesige Warteschlange vor dem Gebäude. Dabei dachte ich mir: „Diesmal kann mich diese doofe Linie nicht aufhalten!“ Bis ich aber dahin kam dauerte es eine ganz schöne Zeit. Es war Samstag Morgen, die Zeit in der viele Festlandchinesen einen Tages- oder Wochenendausflug rüber in die ehemalige portugiesische Kolonie unternehmen. Nach über einer Stunde anstehen, sowohl auf der chinesischen als auch auf der macanesischen Seite, betrat ich die letzte Kolonie Portugals.
1516 landeten die Portugiesen zum ersten Mal in Macau. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Gebiet Schritt für Schritt zu einem Handelsstützpunkt, dann zu einem chinesischen Gebiet unter portugiesischer Verwaltung und schließlich zu einer portugiesischen Kolonie ausgebaut, bis sie 1999 an China zurückgegeben wurde. Wie HK darf Macau seinen Sonderstatus noch 50 Jahre beibehalten, sprich 2049 wird es vollkommen an China übergehen (HK schon 2047). Ähnlich wie in HK vermischten sich die portugiesische und chinesische Kultur zu einer neuen Kultur, der Macanesischen. Sie ist geprägt von der Koexistenz des Buddhismus und Christentums (Katholisch), der Portugiesischen und Chinesischen Küche und Sprache, sowie deren Mischformen. So ist Macau, neben dem Glücksspiel, in China vor allem für seine Backwaren bekannt. Für die Chinesen sind sie der Inbegriff der europäischen (westlichen) Küche. Kommt man aus Europa nach Macau, so kommen uns Blätterteigröllchen in Seetang eingewickelt oder mit Schweineschmalz gefüllt und Kekse mit Sojabohnenpastenfüllung eher weniger europäisch vor. Jedoch würde man diese Art von Gebäck (Gebäck überhaupt) vermutlich nicht in China finden – ein schönes Beispiel also, für die Vermischung der verschiedenen Küchen.
Macau ist im Gegensatz zu den anderen chinesischen Städten klein, wirklich klein. Es passt locker in den Stadtteil Haizhu (海珠), in dem ich wohne. Dennoch, es ist zwar klein aber fein. Die Altstadt hat wirklich noch sehr viel von ihrem portugiesisch-mediterranen Flair beibehalten. So kommt man sich  in der Innenstadt vor auf weiten Strecken, wie in einem südfranzösischen oder spanischen Dorf. Auch gibt es überall kleine Restaurants, von denen viele portugiesische Speisen anbieten.
Das Wetter ist aber noch eine Spur härter. Schwül war an diesen Tagen gar kein Ausdruck. Da ich ja in GZ mehr oder weniger die gleichen Witterungsverhältnisse habe, kenne ich mich ja schon ein bisschen aus. Das heißt, ich weiß, dass ich, vor allem für eine Stadtbesichtigung, lieber ein lockeres, luftiges Hemd anziehe als ein dickes, schwarzes Baumwoll-T-Shirt. Trotzdem, nach 50 Metern laufen ist man einfach nur noch nass. Geht man noch einen kleinen Hügel hinauf fühlt man sich danach, als ob man samt Klamotten in einen Swimmingpool gesprungen wäre. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich es der Abkühlung wegen wahrscheinlich wirklich gemacht, hätte sich die Gelegenheit dazu ergeben.
So besichtigt man also die alten, süßen Plätze, die unzähligen Kirchen oder deren Ruinen, an denen man zwangsläufig vorbeikommt, besteigt die Festung und nascht an einen der unzähligen Backshops Kekse und co., die man dort kostenlos probieren kann. Ich habe mir dann noch das Museum der Geschichte Macaus angesehen. Was ich sehr interessant fand, war die Erklärung der Herkunft des Wortes „Tee“ in verschiedenen Sprachen. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, jedoch ist es mir einmal aufgefallen, dass die meisten Sprachen der Welt ein sehr ähnliches Wort für Tee haben. Dabei gibt es zwei Fraktionen: In manchen Sprachen ähnelt das Wort dem deutschen „Tee“ (Englisch: tea, Französisch: thé, Spanisch: té, Italienisch: tè, Holländisch: thee,…), in anderen dem Hochchinesischen „茶 chá“ (sprich: tscha; Portugiesisch: chá (scha), Russisch: tschaj, Arabisch: tschai, Griechisch: tsai,…). Wie sich im Museum herausstellte, hängt das Wort mit den Handelsbeziehungen und -standorten der ehemaligen europäischen Kolonialmächte zusammen. Der Tee stammt aus China und ging durch den Handel von dort um die Welt. Während die Portugiesen in Macau vertreten waren und demnach mit der Kantonesischen Aussprache (tshá) in Kontakt gekommen waren, hatten die Niederländer, Briten und Franzosen im Gebiet um Xiamen ihre Stützpunkte. Im dortigen Dialekt wird Tee „tey“ ausgesprochen.
Nach einem unglaublich heißen Tag, einem langen Fußmarsch und dieser gehörigen Portion Bildung habe ich mir dann auch ein portugiesisches Abendessen gegönnt. Interessant, in Deutschland würde ich niemals auf die Idee kommen portugiesisches Essen mit Heimat zu verbinden. Doch 9000 km von der Heimat ist annähernd alles Europäische ein Stück Heimat. Dabei ist das, was ich gegessen habe ursprünglich brasilianisch. Aber wie das so ist, haben die Portugiesen natürlich nicht nur ihre Speisen von zu Hause aus Portugal, sondern auch aus den anderen Kolonien mitgebracht. So aß ich also Feijoada (Bohneneintopf), der unter anderem sehr viel Schweinefleisch und Blutwurst enthielt. Als Beilage gab es natürlich Reis (und zwar den chinesischen Klebereis), alles andere wäre mir bestimmt seltsam vorgekommen – tja, so chinesisch sind das Essen und ich dann doch noch/schon 😉
Auch wenn ich am Abend natürlich ziemlich kaputt war, musste ich natürlich einmal in eine der zahlreichen Casinos, die die Stadt nachts an manchen Ecken zu einem glitzernden Boulevard machen. Nicht umsonst wird Macau auch das „Las Vegas des Fernen Ostens“ genannt. In der Tat hat Macau Las Vegas vor einem oder zwei Jahren in Sachen Gewinn bereits überholt. Dementsprechend verwundert es nicht, dass man Zweitausgaben der gleichen Hotelpaläste wie in Las Vegas vorfindet (z.B. MGM, The Wynn, The Venetian, Hard Rock Hotel,…). Die sind aber z.T. noch um einiges größer als ihre Vorgängermodelle in LV. Da Glücksspiel in Macau ab 18 ist, nutzte ich die einmalige Gelgenheit um mal hineinzuschauen. Schon beeindruckend, wie riesig die Hallen sind. Und das Krasse/Schlimme dabei: Überall sitzen die Menschen und verlieren freiwillig Geld. Ich musste mir wirklich ein paar mal an den Kopf fassen, als ich gesehen habe, wie ein sehr reich aussehender Mann innerhalb von 2 Minuten kurz 5000 HK$ (500€) verzockt hat. Irgendwie könnte man das Geld auch sinnvoller verwenden…
Bevor ich wieder zurück nach GZ aufgebrochen bin, wollte ich noch einmal in das berühmte Venetian. Wie es der Name schon verrät, ist das Thema des Hotels an Venedig angelehnt. Das bedeutet prunkvolle Eingangshallen im Stil der Renaissance, ein Nachbau des Campanile am Markusplatz in Originalgröße, ein Nachbau eines fiktiven Kanals in Venedig – im zweiten Stock. Man kann natürlich auch eine Gondelfahrt auf ihm buchen, die Gondolieri singen dabei romantisch italienische und chinesische Lieder – alles wie im „echten“ Venedig. Umgeben ist dieser Kanal natürlich von einer Einkaufspassage, in der auch McDonald’s nicht fehlen darf.

Bei schlechtem Wetter ging es gegen Nachmittag wieder Richtung Grenze, diesmal ging es sehr schnell und ich brauchte nur etwa 40 Minuten. Vermutlich war ich noch vor dem Hauptrückreiseverkehr da. Auch das Kaufen des Bustickets ging ziemlich flott, denn zufällig fuhr in den nächsten Minuten ein Bus los. 15 Minuten später war ich deshalb auch schon in Richtung GZ unterwegs. Am Abend konnte ich mich dann noch an meinen Mandel-Keksen in Mondkuchen-Form erfreuen – tatsächlich wirklich gut .

Zur Werkzeugleiste springen