Was ist Alltag?

Hätte man mir vor 10 Jahren gesagt, dass ich meinen 20. Geburtstag in der Mongolei erleben würde, hätte mich die Vorstellung völlig überfordert (genauso wie die Vorstellung zwanzig zu sein). Jetzt bin ich hier in UB und kann es mir trotzdem immernoch nicht richtig vorstellen. Einerseits, weil Deutschland so unbegreiflich weit weg liegt, aber durch das Internet trotzdem so nah ist. Andererseits, weil es mir nach 2 Monaten hier schon so alltäglich vorkommt, an Jurten, Straßenhunden, kyrillischen Schildern und offenenen Gullideckeln vorbeizulaufen.

Die Normalität hat mich gepackt. In meinen bevorzugten Supermärkten kenne ich mich gut aus und ich weiß welche Busse mich zur Schule bringen. Ich habe mich an die ständig verstopften Straßen gewöhnt, an Menschen in Deels (traditionelle Kleidung) und ab und an herumliegende Schnapsleichen. Außerdem muss ich mich öfters daran erinnern, dass ich ja anders aussehe, blaue Augen und helle Haut habe und meistens in Turnschuhen und Funktionsjacke herumlaufe und nicht wie die meisten Mongolinnen schick gemacht in Absatzschuhen, Kostüm und Mantel.

Kann ich trotzdem bei Normalität von Alltag sprechen? Eigentlich sollte bei 2 Monaten hier die Antwort ja heißen. Dennoch stellt sich gleich die nächste Frage: Was ist Alltag?
Oder wie die Deutschlehrerinnen an der AvH fragen, „Was ist Zahnschmerzen?“ oder „Was ist Volleyball spielen?“ um darauf die mongolische Übersetzung von den Schülern hören, versuche ich eine Antwort auf „Was ist Alltag?“ zu finden.

Tägliches betreten - mein typisch türkises Treppenhaus
Täglich – mein typisch türkises Treppenhaus

 

Was ist Alltag? Wann kann ich von Alltag sprechen? Kann es einen Alltag geben, der jeden Tag anders aussieht? Ist es typisch deutsch zu erwarten, dass ein Tag dem anderen gleichen muss, um alltäglich zu sein? Jeden Tag passiert so viel und jede Woche ist neu und anders, dass nichts alltäglich ist. Aber vielleicht ist das mein Alltag, von einem Ereignis ins nächste zu rasen.
Letzte Woche hatte ich mir gefühlt gerade erst meinen Stundenplan zusammengebastelt, dabei sind mittlerweile die Herbstferien schon längst vorbei und es geht schnurstracks auf Weihnachten zu. Vor einer Woche bin ich aus dem Urlaub in der Gobi (irgendwann mehr dazu) zurückgekommen und in 5 Tagen geht es schon zum Zwischenseminar nach China. Das fühlt sich noch ewig weit weg an. Moment mal, nur noch 3 Tage Schule??! Wo ist denn die Zeit geblieben? Und wieder wird der Alltag unterbrochen. Ganz normal und wohl auch alltäglich in meinem Leben hier 6000km weit weg.

 


Zu meinem Alltag gehört auch, dass in unregelmäßigen Abständen Ereignisse in der Schule geschehen, die mit mir bekanntem deutschen Schulalltag eher wenig zutun haben. So versammelte sich an einem Tag fast die gesamte Schülerschaft in der Pausenhalle um zu singen bzw. zuzuhören. Anscheinend hatte ein Chor aus 50 Schülern in einem stadtbezirkweiten Wettbewerb Platz 8 von über 30 belegt. Folglich wurden die Schulhymne und noch ein weiteres Lied in der Pause auch der Schule vorgesungen. Es war wirklich großartig, die aufgereihten Kinder in ihren Schuluniformen und natürlich auch ihre Vorführung. Ich war sehr begeistert und ein bisschen berührt.

Schulchor II
Schulchor (leider nur mit dem Handy)

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