Das Große Nichts

[WARNUNG: Das wird ein seeeeehr laaaaanger Beitrag. Eigentlich zu lang. Ich habe ihn ein bisschen als Tagebucheintrag missbraucht. Ihr müsst nicht alles lesen und könnt euch einfach an den Bildern erfreuen.]
Jurtencamp bei Kharkhorin
Jurtencamp bei Kharkhorin

Langweilig, steif, dröge, geschäftlich. So stelle ich mir einen Betriebsausflug in Deutschland vor. (Wahrscheinlich leicht übertrieben, ich war selbst noch nie dabei.) Der Lehrerausflug der AvH sah jedenfalls anders aus und das lag nicht nur an zwei 6-stündigen Busfahrten über Pistenstraßen.

Am Freitag den 3. Oktober ging es morgens los Richtung Kharkhorin, etwa 360 km von UB entfernt. Dort sollte das gesamte Lehrerkollegium, ca 60 Leute und fast alles Frauen, eine Nacht in einem Jurtencamp verbringen. Kharkhorin liegt in etwa da, wo die alte Hauptstadt Kharkhorum des Mongolischen Reiches von Chinggis und seinen Nachfolgern einmal war. Mittlerweile gibt es nur noch ein paar sehr vertreute Überbleibsel.

Die Fahrt führte durch die wunderschöne, weite mongolische Steppe. Am Horizont tauchten immer wieder Hügel und Berge auf. Links und rechts des Weges standen ein paar verstreute Jurten und Tierherden zogen vorbei oder versperrten gleich den Weg.  Es ist jedes Mal wieder unglaublich zu sehen, dass die Mongolei aus zwei Welten besteht: dem städtische UB und dem ursprünglichen Rest.

Bläulich schimmernde Berge am Horizont
Bläulich schimmernde Berge am Horizont
Blick aus dem Bus
Blick aus dem Bus
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Viehherden an einem Wasserloch

 

Der erste Zwischenstopp erfolgte am kleinen Hugnu-khan Kloster. Es liegt wunderschön am Ende eines fast schon medditeran aussehenden Tals. Bis heute bin ich beeindruckt, mit was für einer Selbstverständlichkeit der Busfahrer über Stock und Stein und auf und ab durch die staubige Erde gefahren ist. Eine festgelegte, breite Piste geschweige denn eine Straße gab es nicht. Leider sind die wenigen Gebäude nur im Sommer geöffnet, angesichts der wahnsinnigen Aussicht war das aber nicht weiter schlimm. Einer der Tempel liegt auf halber Höhe an einem Berg. Man hat einen wunderschönen Blick auf das Tal, die Ruine des ehemaligen Klosters und die anderen Klosterbauten.

Blick vom Tempel ins Tal
Blick vom Tempel ins Tal
Wahrscheinlich das zentrale Gebetshaus des Hugnu-khan Klosters
Wahrscheinlich das zentrale Gebetshaus des Hugnu-khan Klosters
Gebetsmühlen vor einer Stupa
Gebetsmühlen vor einer Stupa
Ruinenfenster
Ruinenfenster
Ein Gebäude vom Hugnu-khan Kloster
Ein Gebäude vom Hugnu-khan Kloster
Gebetsfahnen
Gebetsfahnen

 

Nach diesem kurzen schönen Aufenthalt ging es zurück in den Bus, raus aus dem Tal und weiter gen Kharkhorin. Die Stimmung hatte ihren ersten Höhepunkt schon längst erreicht, denn das eigentliche Hauptziel des Ausfluges war das gesellige Beisammensein. Ehm ja, ich weiß nicht, wie viele Vodkaflaschen nicht mehr mit zurück nach UB gebracht wurden. Es ist mir immernoch ein Rätsel, wie manche der Mongolen so viel trinken konnten. Erstens weil es noch immer vormittags war und zweitens, weil der Bus ganz schön schaukelte. Selbst wenn ich versucht hätte mitzuhalten, wäre der meiste Vodka auf meiner Hose gelandet und das hätte wirklich keiner gewollt.

Eine weitere Beschäftigung während der Fahrt bestand im Singen. Zum Teil haben alle Lehrer gemeinsam gesungen  – und das gar nicht mal schlecht. Zum Teil haben einzelne Lehrerinnen Ständchen gebracht. Besonders die beiden Musiklehrerinnen hätten auch Eintritt verlangen können. Nach und nach hat der Schullleiter Namen aufgerufen. Die oder der Betroffene hat sich dann nach vorne gehangelt, eine Flasche Vodka (was sonst?) und eine große Schachtel Pralinen überreicht, sich das Mikro geschnappt (ja es gab ein Mikro und ja es hatte sogar Echo) und etwas vorgetragen. Je nach Liedart haben dann alle eingestimmt oder sich lieber mit dem Nachbarn unterhalten. Ich konnte leider nur staunen, da die Lieder allesamt mongolisch waren. Währenddessen gingen andere Lehrer/innen herum und haben Pralinen verteilt und ausgeschenkt. Es ist Tradition und Höflichkeit, dass man in der Mongolei das einem Angebotene zumindest probiert. Bei der Schokolade hat mich das nicht weiter gestört, nur beim Vodka war ich froh, dass fast alle damit zufrieden waren, wenn ich nur dran genippt habe.
Als Stefan Klaißle, Deutschlehrer aus Berlin und seit einem Jahr an der AvH, aufgerufen wurde, war ich schon gewarnt. Direkt im Anschluss durfte ich dann auch vorsingen: „If you’re happy and you know it clap your hands“, von dem ich wusste, dass es auch eine mongolische Version gibt und hoffentlich schnell mitgesungen wurde. Der Plan hat sogar funktioniert. Wenn das mal keine Interkulturalität ist.

Der nächste und vorerst letzte Zwischenstopp (zumindest auf der Hinfahrt) war bei den nomadischen Eltern einer Lehrerin. Sie hatten ihre beiden Jurten in der Nähe von mehreren Sanddünen aufgebaut. Für uns waren sogar mehrere Kamele und ein Muli organisiert worden. Mein erstes Mal auf einem Kamel war ein wenig merkwürdig. Das lag weniger am Kamel als daran, dass die Führleine einer der Schulmanagerinnen in die Hand gedrückt wurde und ich mehr oder weniger hinter ihrem Kamel hergezogen wurde.
Nach einem Lehrerfoto der anderen Art wurde die versammelte Mannschaft in die Jurte eingeladen. Es gab Khorkhog, die Verwandschaft hatte extra für uns ein Schaf geschlachtet. Es sollte nicht das letzte an diesem Wochenende bleiben.

Nomadenlager
Nomadenlager
Jurte vor den Sanddünen
Jurte vor den Sanddünen
ein etwas anderes Lehrerfoto
ein etwas anderes Lehrerfoto

 

Am sehr späten Nachmittag kamen wir dann in unserem Camp in der Nähe von Kharkhorin an. Es lag mitten im Nichts, einem wunderschönen Nichts. Etwa 20 Jurten gruppierten sich um eine riesengroße Jurte. Da es schon Oktober war, waren wir die einzigen Gäste und das Sanitärgebäude war schon für den Winter vorbereitet. So ist das nun mal, wenn es dann stattdessen nur ein Loch in einem windschiefen Häuschen gibt. (Nein, das sind jetzt nicht zu viele Details sondern ein entscheidener Eindruck in die Kultur.)
Nach kurzer Jurtenverteilung, ich teilte mir meine mit Birgit der deutschen Theaterpädagogin, wurde der Festtagsdeel (traditionelles mongolisches Gewand, gibt es in allen Ausführungen von schick über dick gefüttert bis einfach und arbeitstauglich) ausgepackt und die Feierei zu Ehren des Lehrertums begann.
Es wurde gegessen, geredet, noch mehr gesungen und irgendwann einfach getanzt. Zwischendrin bekam so ziemlich jeder eine Urkunde verliehen. Ich auch, anscheinend für „besondere Verdienste als Lehrerin“, und das bei knapp 4 Wochen in denen ich die meiste Zeit nur hospizierte. Egal, sie schindet jetzt mächtig Eindruck an meiner Wand.

komfortabel eingerichtete Jurte
Komfortabel eingerichtete Jurte
Kronleuchter in der Riesenjurte
Kronleuchter in der Riesenjurte

Noch mehr Eindruck auf mich machte allerdings der Sternenhimmel. Er war einfach unglaublich! So konnte ich es mir nicht nehmen lassen bei leichten Minusgraden mitten in der Nacht alle meine Klamotten anzuziehen und mich vor die Jurtentür zu setzen. Belohnt wurde ich mit einer Sternschnuppe und dem bis jetzt wahrscheinlich schönstem Firmament meines Lebens. Einfach mal Zeit nehmen zahlt sich aus und bleibt in den Erinnerungen.
Danach war ich dennoch froh, dass es in der Jurte einen schönen warmen Ofen gab.

Der nächste Morgen begann mit Frühstück und einigem Lehrlauf. Ich nutzte die Zeit um Fotos zu schießen und mich wiederum einfach mal hinzusetzen. Dieses Mal jedoch in die Steppe. Vor mir lag nur ein großes Nichts. Kein Baum, kein Busch, kein Strauch, nur am Horizont gab es in einen dünnen Streifen Berge. Dazu ein strahlend blauer Himmel. Ich versuchte, das alles ganz genau abzuspeichern. Es hätte schlimmer sein können.

Nichts - nur wunderschöne Steppe
Nichts – nur wunderschöne Steppe

Halt Stop! Vonwegen nur Nichts. Das stimmt so gar nicht. Abgesehen von der atemberaubenden Schönheit, die das Nichts füllte, piepste es von allen Seiten. Es stellte sich heraus, dass die Ebene von Zieseln, mausähnlichen Nagern mit kurzem Schwanz, geradezu durchlöchert war. Ziesel graben Tunnelsysteme in den Boden und fiepen in einer Tour, ähnlich wie Murmeltiere. Da zwischen den einzelnen Löchern reger Verkehr herrscht, gab es richtige „Autobahnen“ von Loch zu Loch. Es dauerte nicht lange, da hatten sich die kleinen Tierchen an meine Gegenwart gewöhnt und flitzen munter umher oder beobachteten vom Tunneleingang aus das Geschehen. Es hatte etwas sehr meditatives ihnen zuzuschauen.
Außerdem gab es in der Steppe verschiedene Vögel und eine Gang aus jungen Rindern.

Zieselstraßen
Zieselstraßen
Ziesel
Ziesel
Jungvieh
Jungvieh
Schatten und Licht formen das Land
Schatten und Licht formen das Land

Irgendwann zur Mittagszeit wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Eltern einer Lehrerin zu Besuch waren und wie nicht anders zu erwarten, hatten sie Schaf bzw. Ziege in Form von Khorkhog dabei. Folglich quetschen sich nach kurzer Zeit alle, die fit genug waren, in die Jurte. Die Steine, mit denen das Tier gegart wurde, wurden herumgereicht und jeder bekam einen fettigen Knochen mit Fleisch dran in die Hand gedrückt. Gegessen wird meist mit den bloßen Händen und so gut wie das gesamte Tier. Die großen Fetttropfen an meinen Händen waren in der Jurte flüssig, doch kaum war ich draußen, erstarrten sie in der kalten Luft. Ich hatte plötzlich viele weiße Punkte auf meiner Haut.

Eine Mahlzeit folgte der nächsten. In der Hauptjurte wurde das eigentliche Mittagessen aufgetischt, während die meisten Lehrer/innen noch bei der Familie saßen.
Danach sollte es nach Kharkhorin gehen, doch der Schulleiter feierte noch eine ganz schöne Weile mit den Besuchern. Wahrscheinlich wollte er nicht gehen, bevor nicht alle Flaschen leer waren.

Svenja und sonst Nichts
Ich und sonst Nichts
Kühe im Schatten
Kühe im Schatten

Irgendwann verließen wir dann aber doch das Camp und erreichten nach knapp 10-minüter Fahrt Kharkhorin. Hier hatten wir Zeit entweder das Museum über die alte Hauptstadt Kharkhorum oder das Kloster Erdene Zuu zu besichtigen. Da in der Wintersaison aber leider das Museum an den Wochenenden schließt, stand letztendlich nur das Kloster zur Auswahl. (Welche Tagestouristen kommen bitte unter der Woche?!)

Das Kloster Erdene Zuu war einst Heimat von 1 000 Mönchen, wurde jedoch 1937 fast vollständig zerstört. Mittlerweile gibt es wieder einen kleinen Klosterbetrieb.
Kennzeichnend für Erdene Zuu ist neben seiner Geschichte vorallem die Mauer. In ihr sind 102 Stupas eingefügt. (Es wird gerne behauptet 108, weil das eine bedeutende buddhistische Zahl ist, das stimmt aber nicht.) Tatsächlich habe ich mehrere Mongolen gesehen, die den gesamten Tempelbezirk umrundeten und an jeder Stupa beteten.

Stupamauer von Erdene Zuu
Stupamauer von Erdene Zuu
Tempel des Dalai Lama
Tempel des Dalai Lama in Erdene Zuu
Der Lack ist ab - Restaurierung benötigt
Der Lack ist ab – Restaurierung benötigt

Wer glaubte, danach würde es zurück nach UB gehen (schließlich war es schon fast 5 und die Fahrt würde nochmal 6 Stunden dauern), der irrte sich. Stattdessen hielt der Bus weiterdrin in Kharkhorin vor einem Haus an (Häuschen für deutsche Verhältnisse, wenn überhaupt). Wie sich herausstellte wohnten hier die Eltern eines Lehrers der AvH mit weiteren Familienmitgliedern. Und wieder einmal hat sich die unkomplizierte Gastfreundschaft der Mongolen gezeigt.

Das Haus bestand aus einem kleinen Eingangsbereich mit Kochstelle und einem einzigen Raum – tagsüber Wohnzimmer, nachts Schlafzimmer. In letzterem ließ sich das gesamte Kollegium nieder, auf dem Sofa, auf kleinen Schemeln oder einfach auf dem Boden. Keiner machte ein großes Traraa draus, sondern suchte sich einfach eine Lücke und passte sich an die Verhältnisse an. Mir hat es sehr gut gefallen, wie entspannt beiderseits Gastgeber und Gäste wirkten.
Als alle irgendwo untergekommen waren, wurden Khorkhog, Airag und Vodka serviert. Für die Getränke gab es eine Schüssel bzw. ein Glas, welche einer der Anwesenden nach und nach jedem anbot. (Vorsicht, niemals nur mit der linken Hand annehmen!) Es wurden ein paar Schlucke genommen, das Gefäß zurückgereicht und nachgefüllt. Dann begann das Prozedere von Neuem, so wie ich es bei allen möglichen Gelegenheiten schon tausendmal erlebt habe und noch tausendmal erleben werde.

Gastgeschenke wurden auch ausgetauscht und der Vater des Lehrers hat eine berührende Rede für seinen Sohn gehalten. (Ich konnte leider nichts verstehen, aber viele Lehrerinnen haben sich die Augen gewischt.)  Der Lehrer bekam nochmals eine Urkunde übergeben, weil er anscheinend die AvH verlässt. Dann gab es nichts mehr zum Überreichen und stattdessen wurde wieder vorgesungen. Und gemeinsam gesungen und überhaupt gesungen. Es ist echt schade, dass ich nicht mitsingen kann. So macht es nur halb soviel Spaß und kann so traurig das ist, auf Dauer auch etwas nervig sein.

Haus und Hof
Haus und Hof
Überreichung von Gastgeschenken, v.l.n.r.: die Sozialarbeiterin, die Schulmanagerin Klasse 6-12, der Schulleiter, Vater, Mutter, Lehrersohn
Überreichung von Gastgeschenken, v.l.n.r.: die Sozialarbeiterin, die Schulmanagerin Klasse 6-12, der Schulleiter, Vater, Mutter, Lehrersohn
Stadtrand von Kharkhorin - immerhin um 10 000 Einwohner
Stadtrand von Kharkhorin – immerhin um die 10 000 Einwohner

Nach und nach haben sich immer mehr Lehrer/innen nach draußen verdrückt. Es gab einiges hin und her, wer schon früher losfahren wollte und wer noch bleiben wollte. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, war es wieder der Schulleiter, der am liebsten für immer geblieben wäre. Und so fuhren wir erst bei Eindruck der Dunkelheit los und kamen mitten in der Nacht zuhause an.

Es war ein toller Ausflug und eine wunderbare Gelegenheit nach Kharkhorin zu kommen. Teilweise war es entspannend und wunderschön, teilweise anstrengend und nervig. Doch langsam merke ich immer häufiger, wie wenig ich mich noch über Wartezeiten und unklare Absprachen ärgere. Ich habe einige echt glückliche Erinnerungen sammeln können und bin sehr dankbar für die Einblicke in mongolische Lebensweisen.
(Herzlichen Glückwunsch, Du hast es geschafft! Der Eintrag ist endlich vorbei. Respekt, falls Du alles gelesen hast. Falls nicht: Respekt, falls Du das hier jetzt liest.)

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4 Gedanken zu „Das Große Nichts“

  1. Liebe Svenja,
    Dein Eintrag ist kein bisschen langweilig, sondern gut und lebendig geschrieben. Wir haben ihn mit Begeisterung und einem Schmunzeln gelesen.
    Wie schön, dass Du wieder die Gelegenheit hattest außerhalb von UB etwas von der Mongolei zu sehen – Land und Leute zu erleben.
    Wir freuen uns schon auf den Bericht über Deine Woche in der Gobi!
    Mama

    1. Jåhaa! Der Bericht über die Gobi muss leider noch warten.. ich habe noch ein paar andere Themen in der Warteschleife. Außerdem müssen wir ja auch erstmal losfahren. :D
      Wahrscheinlich wird er aber „Das große Frieren“ heißen. Der Wintermantel ist goldwert! (an dieser Stelle Grüße an Papa!!) Es soll richtig kalt werden.
      <3

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