Energiezentrum

Ovoo
Ovoo

Als Kathrin von einem Energiezentrum in der Mongolei erzählte, das man mal besuchen sollte, dachte ich zuerst, es handelt sich um ein für Besucher zugängliches Kraftwerk, in dem Energie umgewandelt* wird. Weit gefehlt!Dabei ist das nur naheliegend,  da im Steppenboden riesige Vorkommen an Kohle und anderen Rohstoffen wie Kupfer, Uran und Gold lagern, die in den letzten Jahren vermehrt abgebaut wurden (leider nicht immer im Einklang mit der Natur oder allen nötigen Genehmigungen). Diese Rohstoffvorkommen könnten die Mongolei ähnlich reich machen wie das Öl Katar, sofern das Geld nicht von ausländischen Investoren oder einer kleinen mongolischen Oberschicht abgeschöpft wird. Vorwurf Korruption. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zum Energiezentrum (bleiben wir bei den einfachen, bequemen Dingen).

Das Energiezentrum liegt in der Gobi in der Nähe von Sainschand/ Сайншанд, 450km südöstlich von UB. Es ist ein buddhistisches Kloster (hätte ich ja auch drauf kommen können) mit einer Tempelanlage und mehreren „Stationen“, bei denen der Energiefindende verschiedene Gaben opfern oder andere Aufgaben bewältigen muss.

Bon Iver – Lump Sum

Los ging es an einem Freitagnachmittag Mitte Januar. Wir wollten mit dem Zug fahren. Wir, das waren 2 Mongolen und 4 Deutsche. Der Zug würde für die Strecke regulär etwa 10h brauchen. Gute Frage warum. Ich glaube, er ist einfach etwas langsam. Genauso sind die anderen Züge auf den wenigen mongolischen Strecken. So viele Zwischenhaltestellen -sprich Orte mit Bahnhof- gibt es hier ja nicht.

Am nächsten Morgen ging es dann ganz früh los. Mal wieder war es sehr praktisch, dass scheinbar jeder irgendwo irgendwen kennt und sich zu helfen bereit ist. Eine mitreisende mongolische Freundin hatte über entfernte Bekannte in Sainschand zwei Autos plus Fahrer organisiert. Das war super, da sie sich gut auskannten und uns zu den verschiedenen Stationen noch etwas erklären konnten (bzw. den Mongolen erklärt haben, die dann übersetzen mussten).
Morgendämmerung
Morgendämmerung
 Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ich wusste nicht genau, was mich erwartete. Sainschand lag hinter uns und die leere, endlose Gobi um uns herum. Allmählich färbte sich der Horizont bunt. Eine Klosteranlage tauchte auf. Doch zuerst ging es an ihr vorbei und eine Anhöhe hinauf. Oben zwei Busen. Erste Haltestation. Die Steinbusen sollen dreimal umrundet werden, während man immer wieder Milch auf sie schüttet und sich viele Kinder und gute Dinge für seine Familie wünscht. Zuletzt knotete man ein blaues Tuch, Khadag, zwischen den beiden Hügeln fest.  Diese Station war besonders für die Frauen gedacht. Wir meisterten sie nacheinander und bemühten uns positiv zu denken und gleichzeitig nicht zu sehr über die Kälte zu fluchen.
Erste Opferung
Milchopferung an den Busenhügeln
Es war eisigkalt. Bestimmt mehr als -20°C. Ich verschüttete ein paar Milchstropfen auf meine Jacke. Bevor ich sie wegwischen konnte, waren sie schon gefroren. Ebenso die Milch auf den Busen, die schon ganz weiß waren. Ich wunderte mich, ob sie im Sommer wohl stinken mochten. Und dann kam die Sonne. Alle anwesenden Menschen stellten sich ihr entgegen und hoben die Handflächen zum Sonnengruß. Dadurch sollte man ganz viel Energie aufnehmen. Wir stellten uns dazu. Der Sonnenaufgang war wunderschön, genau wie alle Sonnenaufgänge, die ich in der Gobi schon erleben durfte. Leider war es aber immernoch kalt. Schnell zurück ins Auto.
Nächste Station: Eine Glocke. Dreimaliges Läuten sollte die schlechte Vergangenheit vertreiben. Ich läutete so laut ich konnte und genoss die Sonnenstrahlen.
Glockenturm und Sonnenaufgang
Glockenturm und Sonnenaufgang
Energieglocke
Energieglocke
Danach fuhren wir weiter zum Zentrum der Energie. Es war ein von weißen Stupas umgebener Platz. Er lag zwischen rotbraunen, steinigen Hügeln und einer weiten Ebene. Darüber der stahlblaue Himmel. Rot und blau und die weißen Stupas als einziger Kontrast vor dem endlosen Horizont. Es war schon sehr skurril und voll seltsamer Schönheit. Allmählich vergesse ich, wie ein norddeutscher Mischwald aussieht.
Jetzt gab es auf dem Platz verschiedene Aufgaben zu bewältigen. Durch ein Eingangsgebäude betreten wurde wieder die schlechte Vergangenheit zurückgelassen. Wir opferten Vodka und Reis, beluden Bonbons mit Energie, sangen mehr schlecht als recht ein mongolisches Lied, pusteten schlechte Gedanken weg, legten uns auf den Boden und verbrannten Räucherpulver.
Nach kurzer Zeit hatte ich schon die Erkenntnis, dass Energie tanken zwar gut und schön sei, leider aber nichts gegen kalte Füße tun kann. Und meine waren halb erfroren. Trotz mehrerer Socken, Stiefel und Stulpen. Ebenso meine Finger in einem Paar dünneren Wollhandschuhen und einem Paar dicken Fellfäustlingen. Dabei konnte man doch eine Energie-SMS an daheimgebliebene verschicken. Irgendwie schaffte ich es mit meinen klammen Fingern. Ja, selbst die Energie geht mit der Zeit. Wenn sie doch nur weniger spirituell und mehr praktisch wärmen würde.
Energiezentrum I
Energiezentrum I
Energiezentrum
Energiezentrum II
Räucherpulver
Räucherpulveropferung
Reisopferung
Reisopferung
 Station 4: Eine Felsenschlucht. Es gab Höhlen, Steintreppen und -mauern, wie sie Tolkien nicht besser hätte gestalten können. Zum Glück hatte die Orkwache gerade Pause, wir und alle anderen Energiefindenden konnten ungestört einer guten Zukunft entgegenarbeiten. Inklusive Felsendurchkletterung. Das Eingansloch war so klein, dass man besser ohne Jacke hindurchgekrochen ist. Innen war es dann erstaunlich geräumig, bevor man sich wieder durch ein kleines Loch „neugeboren“ herausgearbeitet hat.
Felsenschlucht
Felsenschlucht
Wiedergeburt
Wiedergeburt

So frisch und neu fuhren wir dann zurück zu der Klosteranlage, an der wir schon früh morgens vorbeigekommen sind. Es stellte sich heraus, dass die Gebäude noch genauso frisch und neu waren wie wir. Das ganze Energiezentrum wurde erst 2013 eröffnet (wenn meine Erinnerung stimmt). Ich fand besonders schön zu sehen, dass Tradition und Moderne so gut miteinander gingen, die Kerzen waren fast alle elektrisch.

In einem der Tempel konnte man eine Form des mongolischen Knöchelchenspiels spielen. Je mehr „Pferde“ man in einer festgelegten Anzahl Würfe schafft, desto besser das Glück im nächsten Jahr. Ich weiß leider nicht mehr die genauen Zahlen, nur noch, dass ich besonders viele Pferde geworfen habe. Es kann also nichts mehr schiefgehen!

Tempel I
Tempel I
Räucherstäbchen und Lichterkette
Räucherstäbchen und Lichterkette
Mag ich besonders gerne: Türklopfer
Mag ich immer wieder gerne: Türklopfer
Tempel II
Tempel II
Buddhas und Wandschnitzereien
Buddhas und Wandschnitzereien
Tempel III
Tempel III
Tempel III
Tempel III

Mittlerweile war es Mittag geworden. Wir machten Halt bei einer Jurte inmitten einer Gruppe von Jurten etwas außerhalb von Sainshand. Ich weiß nicht, ob unsere Gastgeber die Familie eines der Fahrer waren oder Bekannte von ihm oder nur der Automechaniker. So oder so, wir wurden zu einer Nudelfleischsuppe und Milchtee eingeladen. Das Essen und die gut geheizte Jurte wärmten so richtig schön auf. Ein ansehnlicher Haufen von abgelegten Jacken, Pullis, Schals, Mützen und Handschuhen entstand. Es war immer dasselbe: anziehen – ausziehen – anziehen – ausziehen.

Mittagessen
Mittagessen

Draußen stand die Sonne inzwischen hoch am Himmel und es war angenehm „warm“ geworden. Die letzte Station stand an. Wir fuhren auf einer Asphalt(!)straße durch den Sonnenschein, bogen ab auf eine staubige Piste und vor uns tauchte eine Hügelkette am Rande der Ebene auf. Der höchste Berg davon war unser Ziel. Ein heiliger Berg. So heilig, dass nur Männer den Gipfel betreten durften. Frauen mussten auf halber Strecke kehrt machen. Positiv gesehen habe ich mir so wenigstens die letzten Stufen sparen können. Wer weiß, was auf der anderen Seite des Berges gewartet hätte? Der Ausblick von der erlaubten Seite aus war schon beeindruckend genug.

Wir drehten fleißig an Gebetsmühlen, umrundeten die weißen Stupas, opferten weitere Bonbons  und naschten im Gegenzug bereits von anderen geopferte Süßigkeiten (natürlich nur zur Energiegewinnung). Wir zündeten Kerzen an, verbrannten Wunschzettel und Räucherpulver, banden blaue Khadag-Tücher fest und umrundeten dreimal einen Ovoo, wobei wir bei jeder Umrundung einen Stein auf ihn warfen. Nebenbei genossen wir den unendlich blauen Himmel und die helle Sonne. Gobi. Mongolei. Die Männer durften wieder Vodka in den Himmel schütten, die Frauen diesmal nicht.

Energieberg
Energieberg
Räucherpulveropferung
Räucherpulveropferung
geopferte Süßigkeiten
geopferte Süßigkeiten
Gebetsmühlen
Gebetsmühlen
Khadags (sprich: chradag)
Khadags (sprich: chradag)
Natur pur
Natur pur
Gruppenfoto
Gruppenfoto

 

Ich hoffe, die Flut an Fotos hat euch nicht erschlagen und ihr könnt energiegeladen in die neue Woche starten! Falls es euch noch nicht gereicht hat, eine sehr schöne Zusammenfassung des Ausflugs hat auch Kathrin schon geschrieben.

 

*Wenn ich etwas aus dem Physikunterricht gelernt habe, dann dass Energie in einem geschlossenen System nicht erzeugt werden kann.

3 Gedanken zu „Energiezentrum“

  1. Liebe Svenja!
    Toller Bericht und tolle Fotos. Es ist immer wieder schön Deinen Blog zu lesen, der Zeitaufwand für diesen Beitrag hat sich mal wieder gelohnt – Danke!
    Mama

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