20.04.2018/ 20°C

I don’t know where I am going from here, but I promise it won’t be boring. -David Bowie-

Fast zwei Monate, sprich ein knappes Drittel meiner Zeit mit Kulturweit sind nun schon um. Ich fühle mich, als hätte ich das Flugzeug am 12. März nie verlassen, anders kann ich mir kaum erklären, wie die Zeit so schnell verfliegen konnte. Ein bisschen fühlt es sich so an als befände ich mich im luftleeren, schwerelosen Raum. Woher kommt dieses Gefühl zu schweben?

Seit ich hier bin, versuche ich es zu analysieren. Die Antwort, die mir bisher am wahrscheinlichsten erscheint, ist, dass es durch das Zusammenspiel von grenzenloser Freiheit und fast gänzlich fehlender Routine hervorgerufen wird. Jeder Tag ist anders und fast nichts geplant, da dies die entspannte In-den-Tag-lebe-Mentalität  der mich umgebenden Letten und Erasmusstudenten gar nicht zulässt. Stresste mich dies am Anfang noch, so habe ich angefangen diesen Lebensstil unheimlich zu genießen und offen in jeden Tag zu starten. Ein wichtiger Schritt für diese Akzeptanz war glaube ich auch, mir meine eigenen kleinen Routinen zu schaffen, wie den zwei mal wöchentlichen Russisch- und Lettischunterricht, Jazzklavierstunden, Sport oder einfach das morgendliche Frühstück mit guten Café. (Das Anschaffen einer Macchinetta hat mein Leben hier definitiv verändert!) Das alles hilft mir, die Freiheit zu genießen, ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich kann gerade nicht sagen, wohin mich dieser Aufenthalt hier in Riga führen wird oder was mich in den kommenden vier Monaten noch erwartet – ich weiß nur, dass jede Minute genossen werden will und es nicht langweilig wird, um es mit David Bowies Worten zu sagen. (Die nebenbei an einer Wand in meiner Lieblingsbar/ -konzerthalle hier stehen)

Zwar nur ein schnödes Handyfoto, doch irgendwie eines was die beschriebene Grenzenlosigkeit schön widerspiegelt

Dennoch lässt es sich nicht leugnen, dass meine verbleibende Zeit hier begrenzt ist. Allein jeder Blick hoch in die Äste, aus denen seit ein paar Tagen zarte, grüne Blättchen sprießen, beweist mir täglich, dass sich schon ganz schön etwas getan hat, seit ich am ersten Tag an der zugefrorenen Daugava zum Zentralmarkt gelaufen bin. Rückblickend ist dann doch auch schon einiges passiert – viel zu viel um auf alles in diesem Blogeintrag einzugehen, schließlich habe ich mir ja fest vorgenommen bei meinen Lesern keine Langeweile durch langatmige Texte aufkommen zu lassen. Deswegen werde ich versuchen, mich auf die größten Highlights und schönsten Fotos zu beschränken.

Highlight N°1 Hiking-Trips

Knapp die Hälfte aller Letten leben in Riga. Doch die Verbundenheit zum umliegenden Land ist ein fester Bestandteil in der Identität fast jeden Städters, mit dem ich mich bis jetzt unterhalten habe. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass Wandern hier eine große Rolle spielt. In den sozialen Netzwerken finden sich einige Gruppen, die spannende Ausflüge anbieten. Zu nennen sind hier besondern „Spontanious Movements“ und „ESN“, eine Studentenorganisation der Universität. Mit ersteren war ich auf einem wunderschönen Sunrise-Hike entlang der Küste und mit ESN durfte ich an einer Fackelwanderung durch alte Katakomben und Bunkeranlagen aus dem ersten Weltkrieg teilnehmen.

Sunrise Hike in Saulkrasti
Fackelwanderung in den Nachtstunden

Auf dem Rückweg ist dann nicht nur der Kopf mit wunderschönen Impressionen gefüllt, sondern auch der Telefonspeicher mit neuen, unternehmungslustigen Kontakten.

Gerade bei den Essenpausen lernt man sich sehr gut kennen, wenn man sich einen Stein und mitgebrachte Brote teilen muss

Auch die Zukunft hält hier schöne Sachen bereit – nächstes Wochenende geht es mit ESN nach Latgale, in die östlichste Region Lettlands, anschließend direkt nach Tallin und ein Wochenende später mit Spontanious Movement auf eine Nachtwanderung zu einem Baumhauskonzert.

Highlight n°2 Strände und Wälder

Etwa 30 Minuten außerhalb des Zentrums befindet sich in diesem Wald neben einem riesigen See das Ethnographische Museum Lettlands – schöne Möglichkeit draußen zu sein und gleichzeitig ein bisschen mehr übers Land zu erfahren

Auch wenn die 20°C in der Überschrift exzeptionell waren, so wird es grundsätzlich wärmer und wärmer, was bedeutet, dass sich Frischluftaufenthalte nicht länger auf zwei Stunden beschränken müssen, sondern auf ganze Tage ausgedehnt werden können. Da ich Riga, trotz aller Schönheit als relativ laute Stadt empfinde, lasse ich deshalb keinen freien Tag aus, aus dem Stadtzentrum raus, ins umliegende Land zu fahren. An den lichtdurchfluteten Wäldern, breiten Sandstränden und Seen kann ich mich einfach nicht satt sehen, zumal die Fahrtzeiten, anders als in Deutschland, fast immer unter einer Stunde bleiben und man auch viele Orte mit dem Fahrrad erreichen kann.

Allein schon für das Bahnhofsgebäude hätte sich der Ausflug in den Nationalpark Kemeri gelohnt – man sollte nur aufpassen das man den eigentlichen Park vor lauter Bäumen nicht verfehlt, Verlaufgefahr ist groß! 
Strände gibt es in Riga wie Sand am Meer – zum Beispiel Jurmala, Vecaki, Saulkrasti oder sämtliche Küstenstreifen zwischen diesen Orten

 

Highlight n°3 Hipsterviertel „Centrs“

Wer aus der Altstadt raus in Richtung Norden läuft, wird nicht nur mit wunderschöner Jugendstil-Architektur belohnt, sondern kommt auch in die Gegend der süßen kleinen Cafés, coolen Vintage-Läden, alternativen Bars und preiswerten, szenigen Restaurants. Besonders angetan hat es mir persönlich die „Gertrudes Iela“, in der sich ein liebevoll dekorierter Humana Vintage befindet (in dem zum Ende eines jeden Monats jedes Teil nur 1€ kostet) und zur Stärkung nach dem anstrengenden Shopping-Trip auch eines meiner Lieblingsrestaurants „Stockpot“, sowie eine süße Kuchenbäckerei, die die gesamte Straße mit wundervoll duftenden Schwaden füllt, sodass man hier fast nur in glückselige, verträumte Gesichter guckt. „Centrs“ ist jedoch grundsätzlich ein Stadtviertel, in dem es sich lohnt, einfach ohne Plan auf Entdeckungsreise zu gehen und vorher genug Geld abzuheben…