Schülerportraits

Auf dieser Seite stelle ich mein Projekt vor, an dem ich seit Anfang des Jahres arbeite. Ich führe Interviews mit Schülern aus dem College, mit denen ich mehr zu tun habe, und schreibe Kurzportraits über sie. Mein Ziel ist es, sie auf eine interessante Art vorzustellen und zu zeigen, mit was für Menschen ich während meines FSJs arbeite. Auch wenn es keineswegs ein repräsentatives Bild abgeben kann, erhoffe ich mir doch, dadurch Einblicke in das Leben, die Gedanken, Meinungen, Ziele, Hoffnungen, Ängste, usw. junger Menschen in Armenien geben zu können.

Ich werde hier nach und nach neue Portraits veröffentlichen

Viel Spaß beim Lesen der Interviews!

 

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Syuzanna Tonoyan

Ich bin in Jerewan geboren und lebe hier zusammen mit meinen Eltern und meinem Bruder. Wir leben in einer kleinen Wohnung in einem äußeren Stadtteil, doch wir möchten bald umziehen, weil die Wohnung zu klein für uns ist. Mein Vater ist Manager in einer Bank und meine Mutter ist Schneiderin. Uns gehört ein großer Garten mit vielen Apfelbäumen außerhalb von Jerewan. Es ist ein Hobby und gleichzeitig der Nebenjob meines Vaters. Ich gehe dort aber nicht hin, denn es gibt Wölfe und Schlangen, vor denen ich Angst habe.

Jeden Morgen stehe ich um sechs Uhr auf und mache Yoga und Fitnessübungen, bevor ich in die Schule gehe. Ich bin Schülerin am geisteswissenschaftlichen College und studiere dort Tourismus, weil ich Reiseführerin werden möchte. Ich habe schon seit längerem den Traum, meine Ausbildung in Deutschland weiterzuführen. Meine Eltern haben es mir zuerst verboten, aber dann ihre Meinung geändert. Jetzt plane ich fest damit, nach dem College in Deutschland zu studieren.

Ich mag an Deutschland, dass es im Vergleich zu Armenien so geordnet ist. Ich weiß nicht wieso, aber ich brauche diese Ordnung im Alltag. Und die Menschen sind sehr fröhlich. Nicht wie in Armenien, wo viele ernst und unfreundlich sind. Sie akzeptieren Menschen nicht, die anders sind. Wenn du einen anderen Stil oder andere Gedanken als sie hast, bist du in ihren Augen kein guter Mensch. Das hasse ich an der armenischen Gesellschaft. Doch andererseits mag ich an Armenien, dass es so sehr an seiner Kultur und der Religion festhält. Ich finde das wichtig.

Mein großes Hobby ist das Singen. Ich singe seit ich vier Jahre alt bin. Meine Eltern wollten, dass ich singen lerne. Heute kann ich mir mein Leben ohne das Singen nicht vorstellen. Ich habe zwei Mal bei einem russischen Gesangswettbewerb den zweiten Platz gewonnen – so wie jetzt vor kurzem bei der 1. Deutschen Hitparade in Jerewan.

Ich habe meinen Eltern nicht nur das Singen zu verdanken, sondern vor allem ihre große Unterstützung und die Werte, die sie mir mitgegeben haben. Sie haben mir beigebracht, vor nichts zurückzuschrecken, und den Mut zu haben, Risiken einzugehen. Das möchte ich auch anderen mit auf den Weg geben, denn viele junge Menschen in Armenien trauen sich zu wenig zu. Ich schreibe einen eigenen Blog, mit dem ich versuche sie dazu zu motivieren, große Träume zu haben und hart dafür für ihre Ziele zu arbeiten.

Ob ich Ängste bezüglich meiner Zukunft habe? Ehrlich gesagt habe ich Angst davor, Single zu bleiben. Wenn ich jemanden liebe, dann liebe ich ihn mit meinem ganzen Herzen und ich weiß nicht, ob diese Person mich genauso sehr lieben kann.

Eine Sache, die ich tun würde, wenn ich alles Mögliche tun könnte: Ich würde die Gedanken lesen, die andere Menschen über mich haben. Nicht, dass es mir wirklich wichtig ist, was andere über mich denken, aber ich fände es sehr interessant.

 

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JuliA Abrahamian

Ich habe mich damals entschieden, am staatlichen geisteswissenschaftlichen College in Jerewan zu studieren, weil ich die Fremdsprachen für meine berufliche Zukunft brauchte. Ich wollte Politikerin und Journalistin werden. Letzteres bin ich bereits. Ich schreibe als Freelancerin für verschiedene Websites, doch dafür bekomme ich keine Anerkennung, weil meine Artikel nicht unter meinem Namen publiziert werden. Deswegen möchte ich in Zukunft meinen eigenen Blog schreiben.

Politikerin möchte ich schon seit längerem werden. 2016 habe ich in Jerewan gegen zu hohe Strompreise demonstriert, und letztes Jahr während der Revolution war ich auch auf der Straße. Politik interessiert mich sehr und ich finde, dass Armenien dringend Veränderungen braucht.

Das fängt bei der Mentalität der Menschen an. Für viele sind rassistische Gedanken im Alltag nichts Schlimmes, zum Beispiel ist es völlig okay, einen dunkelfarbigen Menschen als N***r zu bezeichnen. Menschen, die nicht Christen sind oder in anderer Hinsicht nicht wie die Mehrheit, werden nicht wirklich akzeptiert. Außerdem hat Russland einen zu hohen Einfluss auf unser Land. Die älteren Generationen orientieren sich zu sehr an Russland und wollen Dinge hier in Armenien genauso machen wie dort. Aber ich finde das falsch. Das vierte und für mich wichtigste ist Feminismus, weil viele Menschen hier sexistisch sind. Sie denken, dass ihnen die Welt gehört, nur weil sie Männer sind. In einigen Familien dürfen z.B. verheiratete Frauen nicht ausgehen und Spaß haben. Das ist so traurig.

In meiner Familie ist es zum Glück nicht so. Meine Eltern sind sehr aufgeschlossen und setzen mir wenig Regeln. Mein Vater ist Ingenieur und war viele Jahre lang im Ausland, in Europa und Asien. Meine Mutter ist Psychologin von Beruf, aber arbeitet jetzt als Webdesignerin. Ich wohne zusammen mit ihnen in einer Wohnung ganz im Westen Jerewans.

Musik inspiriert mich sehr, besonders alternativer Rock. Sie bewegt mich dazu, Gutes und Verrücktes zu tun. Ich habe mal eigene Songs geschrieben, aber die gefallen mir nicht. Jetzt spiele ich viel Gitarre und singe – letzteres aber nur, wenn ich allein zu Hause bin. Dann auf dem Tisch. Und ich rede viel mit mir selbst, stelle mir ständig Fragen. Es hilft mir sehr dabei, mich besser zu verstehen und es verbessert auch mein Sprechen. Ansonsten schaue ich viele Filme und Serien, oder treffe mich mit meinen Freunden.

Wovor ich Angst habe? Dass mich Menschen verlassen könnten, die ich liebe. Deswegen möchte ich alles richtig machen, um sie nicht zu verlieren. Ich möchte auch nicht zu abhängig von irgendjemandem sein, weil er oder sie mich dann verlassen könnte. Außerdem habe ich Angst, dass Gefühle oder Beziehungen oder Freundschaften nur temporär sein könnten.

Eine Sache, die ich tun würde, wenn ich alles Mögliche tun könnte: Ich würde für immer jung bleiben wollen, um miterleben zu können, wie sich die Menschen, die Technologie und die Welt allgemein verändern. Welche Länder in der Zukunft noch existieren werden…

 

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Diana Galstyan

Meine Familie besteht aus vier Personen – meiner Mutter, meinem Vater, meinem Bruder und mir. Sie arbeiten alle beim Militär. Mein Vater arbeitet auf einem Stützpunkt in der Provinz Lori und ist nur selten zu Hause. Mein Bruder lernt zurzeit an einer Militärakademie in Russland. Deswegen wohne ich nur mit meiner Mutter zusammen, im Stadtteil Nor Nork. Das liegt ganz im Osten von Jerewan.

Dieses Jahr mache ich meinen Abschluss am staatlichen geisteswissenschaftlichen College in Jerewan. Ich denke darüber nach, nach meiner Ausbildung in Glendale in den USA zu leben und mein eigenes Business aufzubauen, vielleicht etwas im Bereich Marketing. Dort gibt es eine sehr große armenische Gemeinde, was für mich sehr wichtig ist, denn ich hätte dort Menschen um mich herum, die mich und meine Mentalität verstehen. Ich fühle mich mit den Armeniern sehr verbunden, sie sind sehr herzlich und haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Ich möchte aber nicht in Armenien bleiben, denn es gibt viele Nachteile hier. In der Regierung sitzen schlechte Menschen und es gibt viel Korruption. Der Verdienst ist sehr schlecht und dafür sind die Kosten zu hoch. Ich denke auch, dass im Beruf meine Arbeit nicht genug wertgeschätzt würde.

Letztes Jahr war ich als Austauschschülerin für zwei Wochen in Deutschland. Es hat mir dort gut gefallen. Ich mag an Deutschland, dass es ein sehr entwickeltes Land ist und sich seiner Verantwortung in der Welt bewusst ist, besonders nach den Kriegen. Mich nervt aber an den Deutschen, dass sie immer in Hektik sind und schnell von A nach B laufen. Ich mag ein entspanntes Leben. Mich hat auch genervt, dass junge Leute in Deutschland viel trinken, rauchen, und freizügige Kleidung tragen. Das ist mir eigentlich egal, aber mir wurde beigebracht, all das nicht zu tun, und meine Freundinnen machen es auch nicht. Als meine Austauschschülerin in meiner Gegenwart geraucht hat, hat es mich deswegen sehr gestört, aber ich konnte nichts sagen. Ich war ja zu Gast dort.

In meiner Freizeit sitze ich oft mit etwas zu essen und schaue Filme. Ich liebe Essen. Mit meinen Freundinnen treffe ich mich häufig zum Spazieren gehen, oder wir gehen zu Ponchikanots [Anm. der Red.: beliebtes Café in Jerewan, wo Ponchiks verkauft werden]. Manchmal male ich auch, hauptsächlich Landschaften und den Kosmos.

Was mich im Leben inspiriert? Mein Vater. Er gibt mir viele hilfreiche Ratschläge und hat mir beigebracht, immer positiv zu denken. Er ist ein sehr kluger und ehrlicher Mensch und er versteht mich gut. Er ist ein Vorbild für mich. Meine Freunde motivieren mich auch, ein guter Mensch zu sein.

Meine größte Sorge für die Zukunft ist, dass ich auf der Arbeit oder irgendwo anders einen Fehler mache und die Leute mich nicht verstehen, weil ich anders als sie denke.

Eine Sache, die ich tun würde, wenn ich alles Mögliche tun könnte: Ich würde den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan beenden, denn er ärgert mich sehr.

 

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Tatyana Asatryan

Ich wohne mit meinen Eltern, meinem Bruder und meinen Großeltern in einer großen Wohnung im Süden Jerewans. Meine Mutter ist Chemielehrerin, mein Vater Manager einer Saftproduktion und mein Bruder geht zur Schule. Wir wohnen seit meiner Geburt zusammen und es kommt oft zu kleinen Konflikten zwischen uns, z.B. kann ich wegen meiner Großeltern nicht laut Musik hören oder die Filme schauen, die ich möchte.

Ich studiere Sachbearbeitung am Jerewaner staatlichen geisteswissenschaftlichen College, aber eigentlich würde ich gerne Tourismus studieren. Es interessiert mich mehr, aber mein Vater erlaubt es mir nicht, weil die Tourismus-Studenten auf verschiedene Ausflüge in Armenien fahren. Das möchte er nicht. Nach dem College will ich Übersetzung studieren und nebenbei in einem Übersetzungsbüro arbeiten.

In der Zukunft möchte ich mal für ein paar Monate nach England reisen und dort viele interessante Orte besuchen. Ich mag die Sprache sehr. Ich könnte aber nicht im Ausland leben, weil ich meine Familie und meine Freunde brauche. Meine Familie ist mir sehr wichtig und ich versuche alles, um sie stolz zu machen. Meine Eltern sind gute Leute, aber mein Vater ist sehr streng. Er hat eine starke armenische Mentalität. Meine Mutter ist ganz anders. Ihr kann ich alles erzählen. Ich habe aber in der Vergangenheit gelernt, dass ich anderen Menschen nicht zu sehr vertrauen kann. Ich habe gute Freunde verloren, die viele schlechte Dinge über mich erzählt haben.

Das ist grundsätzlich ein Problem mit den Menschen hier. Wenn du z.B. viel Geld oder ein gutes Leben hast, wird es immer Menschen geben, die neidisch auf dich sind und versuchen werden, dir zu schaden. Sie sind dir gegenüber freundlich, aber reden hinter deinem Rücken schlecht über dich. Das muss sich ändern. Es gibt aber auch Dinge, die ich an Armeniern sehr schätze, z.B. dass sie so gastfreundlich und herzlich sind.

Was mache ich meiner Freizeit? Ich spiele seit zehn Jahren Klavier. Als Kind wollte ich nicht zum Klavierunterricht gehen, aber heute bin ich dankbar dafür, dass mich meine Eltern dort hingeschickt haben. Ansonsten schaue ich meiner Freizeit Filme und lese Bücher. Meine Lieblingsbuch ist Harry Potter. Ich lese jeden Sommer alle Teile und finde jedes Mal etwas Neues für mich.

Mich inspirieren andere Menschen dazu, besser zu werden. Wenn ich z.B. sehe, dass jemand in der Schule besser ist als ich, versuche ich, genauso gut zu werden. In der Musikschule gab es ein Mädchen, dass besser Klavier gespielt hat, als ich. Sie hat mich motiviert und ich habe so lange geübt, bis ich besser war als sie.  Wirkliche Ziele habe ich aber nicht, denn ich liebe es nicht, Dinge im Voraus zu planen. Ich möchte nur eine gute Mutter für meine Kinder sein.

Eine Sache, die ich tun würde, wenn ich alles Mögliche tun könnte: Ich würde gerne ohne Ticket um die Welt reisen können.

 

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Nrane Nahakatyan

Ich studiere am Jerewaner geisteswissenschaftlichen College Sachbearbeitung und Übersetzung, aber ich möchte weder Sachbearbeiterin noch Übersetzerin werden. Nach dem College möchte ich interkulturelle Kommunikation lernen. Mir gefällt es sehr, mit anderen Menschen – vor allem aus dem Ausland – über Armenien, seine Geschichte, Kultur und Literatur zu sprechen.

In Zukunft möchte ich auf jeden Fall in Armenien bleiben und etwas Gutes für mein Land tun. Ich weiß noch nicht genau, als was ich arbeiten möchte, aber ich denke daran, zuerst als Reiseführerin oder Übersetzerin zu arbeiten und später eine Türkei-Expertin zu werden. Ich möchte so viel wie möglich über ihre Geschichte, Kultur, Politik, usw. lernen.

Ich lebe zusammen mit meinen Eltern in einem Haus. Meine Mutter ist Englischlehrerin und mein Vater ist von Beruf Philologe, aber auch ein guter Historiker. Von ihm lerne ich immer neue interessante Dinge. Meine Eltern haben mir wichtige Werte vermittelt, wie Gerechtigkeit, Patriotismus und Glaube. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Obwohl ich schon 18 Jahre alt bin, kümmern sie sich immer noch sehr um mich und behandeln mich fast genauso wie früher. Das mag ich an Armeniern sehr. In anderen Ländern lassen die Eltern ihre Kinder mit 14, 15 Jahren machen, was sie wollen. Hier kümmern sich Eltern noch bis ins hohe Alter um ihre Kinder.

Was mir hier in Armenien nicht gefällt? Zum Beispiel, dass sich die Menschen noch zu sehr an die traurige Vergangenheit Armeniens erinnern und sich über die schlechten Dinge beklagen. Ja, der Genozid war sehr schlimm, aber es ist über 100 Jahre her und jetzt sind Armenier sehr stark. Unser Volk ist sehr alt und lebt trotz der schwierigen Vergangenheit immer noch. Wir haben viele Kriege gewonnen, wir haben eine gute Armee und eine reiche Kultur. Darauf sollten wir stolz sein.

Früher habe ich mir gewünscht, mehr Freizeit zu haben. Jetzt habe ich mehr Freizeit, doch ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Ich habe viele Bücher gelesen, Klavier gespielt und Spaziergänge mit meinen Freunden gemacht. Doch zurzeit habe ich keine Stimmung für irgendetwas anderes außer für Prüfungen und Hausaufgaben. Ich kann einfach auf meinem Bett liegen, Videos schauen und darüber nachdenken, was auf der Welt passiert.

Ich habe das Ziel, viel Geld zu verdienen und damit so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Besonders Kindern, denn sie sind die Zukunft. Ich habe auch einen kleinen Traum: ich möchte irgendwann ein großes Haus kaufen und viele Tiere aufnehmen.

Eine Sache, die ich tun würde, wenn ich alles Mögliche tun könnte: Ich würde mit den Eliten, die die Welt regieren – z.B. aus der Finanz-, Pharma- und Waffenindustrie – sprechen und fragen, warum sie solche Dinge mit den Menschen machen. Ich würde dann versuchen, ihre Meinung zu verändern.

 

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