Casa de los Talentos – Talentförderung in Chorrillos

Wenn auch verspätet, möchte ich nicht die Chance verpassen, über ein tolles Event Ende April zu berichten, dem Lina, Meike und ich zusammen beiwohnten. Vermittelt über Insa Wegener, eine ehemalige kulturweit-Freiwillige in Lima, statteten wir im Stadtteil Chorrillos dem „Casa de los Talentos“ einen Besuch ab. In diesem Jugendzentrum, so erzählte uns der Hausherr Oscar nach dem ersten Kennenlernen, soll den Kindern und Jugendlichen von San Genaro ein geschützter Rahmen bereitgestellt werden, Talente auszuleben, für die in den eigenen vier Wänden kein Platz bleibt.  Schon im jungen Alter muss der Großteil der Kinder die Familie mit versorgen, womit die finanziellen Mittel, die Zeit und auch manchmal die Interesse der Eltern fehlt, ihre Talente zu fördern. Somit bildet das gänzlich ehrenamtlich errichtete „Casa de los Talentos“ eine Oase im Alltag der Kinder, die sie tatsächlich Kinder sein lässt.

Platz für Talent:
Und tatsächlich waren wir beeindruckt, mit was für einem Angebot dieses Projekt aufwartet. Auf 2 Stockwerke verteilt befinden sich eine große Küche, eine Art Theater-Keller, ein Tanzstudio, viele Räume für Veranstaltungen jeder Art, ja sogar ein Fitnessstudio, komplett eingerichtet mit restaurierten, aber komplett funktionstüchtigen Fitnessgeräten. Die gesamte Woche über bietet das Haus kulturelle, künstlerische, bildende, sportliche und religiöse Programmpunkte an – betreut von Jugendhelfern, Lehrern, Trainern, Schwestern, usw, die ehrenamtlich und für die Sache selbst so den Kindern eine Perspektive bieten wollen.

Das Projekt:
Der Plan für diesen Samstag im April war ein hauptsächlich von Insa koordiniertes Projekt, uns 3 PASCH-Freiwillige aus Lima mit der Leitung dieser Häuser zusammenzubringen und eine Zusammenkunft inklusive Mittagessen auf die Beine zu stellen. Die Gelder, die uns Insa dafür bereitstellte, hatte sie selber aus Spenden zusammen gesammelt und jetzt lag es an uns, diese sinnvoll einzusetzen.

Nach einer kurzen Hausführung und Planungsrunde wurden sämtliche Zutaten von uns auf dem nächstgelegenen der vielen Lebensmittelmärkte hier in Lima erstanden. Sobald man sich einmal an das Abenteuer von Geruch, Geräusch und Gedrängel dieser Märkte gewöhnt hat, ist das hier in Lima der beste Weg, alle erdenkbaren Lebensmittel und andere Güter für billig Geld einzukaufen.

Von hier aus ging es, vollgepackt mit gelben Plastiktüten, wieder nach Hause. Zunächst dachten wir, es sei ein Witz, als Oscar plötzlich ein Polizistenduo ansprach, ob sie uns nicht mitnehmen könnten, aber kurze Zeit später fanden wir uns tatsächlich auf der Rückbank ihres Streifenwagens, Oscar mit den Einkäufen auf der Ladefläche und fuhren so zurück zum Jugendzentrum, wo uns alle Kinder dabei halfen, die Einkäufe in die Küche zu schaffen. Dort begann direkt die Arbeit: Kartoffeln, Zwiebeln und Fleisch waschen, schälen, schneiden, kochen und dann irgendwann perplex reagieren, wenn man herausfindet, das heute tatsächlich ein Eintopf mit Rinderlunge auf dem Speiseplan steht. Eigentlich kommen wir ja alle mit der Landessprache ganz gut klar, aber pulmón de res war bis dahin nun mal tatsächlich nicht Teil unseres Vokabulars, weswegen es auch so lange gedauert hat, bis wir endlich wussten, warum das Fleisch so eine komische Konsistenz hatte.
Aber das Kochen ging super voran und war neben dem reinen „Essen zubereiten“ natürlich eine super Möglichkeit für Austausch und Begegnung mit Kindern und Erwachsenen gleichermaßen.

Noch mehr kulturelle Begegnung bildete dann aber die letzte aktive Pause vorm Essen, in der wir uns an einer Runde Handball versuchten. Seit ich gegenüber Oscar erwähnt hatte, dass ich zu Hause Handball spiele, war dieser angefixt, eine Partie auf dem anliegenden Sportplatz auszutragen. Das Spielfeld eigentlich zu groß, der Ball eigentlich zu klein, aber das alles ist natürlich Kritik auf hohem Niveau und war verständlicherweise kein Hindernis, damit alle großen Spaß an dieser „exotischen“ Sportart hatten. Und wiedermal zeigte sich: Sport verbindet – auch, oder vielleicht gerade über Länder- und Kulturgrenzen hinaus.

Dann hieß es endlich Essen fassen, der Eintopf wurde verteilt und das Tanzstudio zu einem Speisesaal umfunktioniert. Inzwischen hatten sich fast 50 Kinder eingefunden und es war schön zu sehen, wie sehr sie die Mahlzeit genossen. Da schien es mir schon echt undankbar, dass ich meinen Teller nicht komplett geleert hatte. Aber ich konnte nun mal echt nichts mit dem Geschmack der Lunge anfangen, auch wenn ich diese probiert habe…

Aber auch ein kritischer Gedanke schwingt mit:
So sehr, wie ich meine Teilnahme an diesem Projekt genossen habe, so konnte ich nicht ignorieren, dass ich mich teilweise ein bisschen deplatziert fühlte. Spätestens, als wir Freiwilligen, als (wortwörtlich) „die Freunde aus Europa“, in Oscars Dankesrede und zuletzt sogar in das Tischgebet eingebaut wurden.
Situationen wie diese lassen mich immer über die Situation nachdenken und tragen dann für mich einen bitteren Beigeschmack von einer Art Kolonial-Charakter. Müssen wir wirklich die „guten Samariter“ sein, die soziale Einrichtungen besuchen, um mit unseren Geldern ein warmes Mittagessen auf den Tisch zu zaubern und es dann, nachdem wir uns der Dankbarkeit der „Bedürftigen“ sicher sind, unseren Verdienst nennen?
Ich bilde mit Absicht drastische Parallelen um das aufzuzeigen, woran ich öfter denken muss, als mir lieb wäre und was auch auf dem Zwischenseminar im Austausch mit Trainern und Freiwilligen mehr als nur einmal zum Thema wurde: wir, das heißt wir Freiwilligen, laufen eine Gradwanderung zwischen interkulturellem Austausch und klassischer Entwicklungshilfe. Letzteres ist etwas, mit dem ich mich zum größten Teil ungern identifizieren würde und von dem ich weiß, dass es kulturweit als Organisation auch ungern tut…
Aber das nur als kleiner Exkurs, der nicht mal die Oberfläche dieses heiklen Themas kratzt.

Fazit:
Nichts desto trotz soll das nicht heißen, dass ich diesen Tag nicht als Erfolg, nicht als guten Zweck ansehe! Ich spreche für alle 3 Freiwilligen, die mitgeholfen haben, wenn ich sage:
Es hat mich gefreut, von Insa kontaktiert worden und Teil dieses Projekts gewesen zu sein! Die Freundlichkeit und Herzlichkeit, die uns von Kindern, Eltern und Hausleitung entgegengebracht wurde, wird uns in Erinnerung bleiben und ich denke, dass es nicht mein letzter Besuch im „Casa de los Talentos“ gewesen sein muss.

3 Gedanken zu „Casa de los Talentos – Talentförderung in Chorrillos

  1. Julia

    Sehr interessanter Artikel, sehr authentische Bilder und klasse geschrieben. Das beschriebene zwiespältige Gefühl konnte ich gut nachfühlen. Danke dafür!

  2. Horst Lompe

    Sehr schöner Beitrag. Vor allem die kritischen Gedanken. Und noch eine kritische Anmerkung:
    Zitat: „Von hier aus ging es, vollgepackt mit gelben Plastiktüten, wieder nach Hause.“
    Vielleicht solltet ihr demnächst auf die Plastiktüten verzichten. Der Pazifik ist voll von Plastikmüll. Nehmt doch demnächst einen Korb mit.
    Gruß aus Berlin

    1. Marian Knittler Beitragsautor

      Danke für deinen Kommentar, Horst!
      Und du hast Recht: Plastiktüten sind ein großes Problem und leider eins der vielen Dinge in Sachen Umweltschutz, über die hier (nicht ausschließlich, aber unter anderem) in Peru wenig nachgedacht wird. Beim Einkaufen werden einem dutzende Plastiktüten mehr oder weniger aufgezwungen, indem schon während des Abkassierens alles sorgfältig eingepackt wird, meistens mit 2-3 Artikeln pro Tüte. Man versucht schon, dem durch z.B. nachträgliches Umpacken oder durch Wiederverwerten der Tüten möglichst entgegenzuwirken, aber vielleicht noch nicht genug…

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