Fair berichten – Das ist mittlerweile schon ein geflügelter Ausdruck geworden. Wenn man, wie ich gerade, ein Land besucht, das dem globalen Süden zugeordnet wird, sollte man bei Erzählungen darauf achten nichts zu pauschalisieren und das Land möglichst realitätsnah und nicht verunglimpfend darzustellen. Aber wie macht man das? Wie beschreibt man seine Unterkunft in Ghana ohne, dass die Zuhörenden sofort ein „falsches“ Bild von ganz Afrika im Kopf haben? Wie macht man Fotos, ohne dass sie nicht pauschalisierend wirken?
Ein Beispiel um dieses abstrakte Konstrukt etwas handfester zu machen:
Ich verbringe einen Tag auf dem innerstädtischen Markt Kumasis, schicke ein Bild von einer Marktfrau in einer einfachen Marktbude, die Stoffe verkauft und von einem Obststand daneben in die familiäre Whatsappgruppe. Darunter schreibe ich, dass hier solche Märkte oft zu finden sind und dass zwischen Stoffen und Tieren, die lebendig verkauft werden auch auf dem Boden auf einem kleinen Lagerfeuer gekocht wird.
Selbst obwohl ich nicht geschrieben habe wie „einfältig“ oder „schlecht entwickelt“ (entsetztes Einatmen bei Verwendung dieser Begriffe) das hier alles ist, hat die Familie dann nur eine Vorstellung von dem was an einem Ort zu einem Zeitpunkt passiert, sieht vielleicht aber dann vor ihrem geistigen Auge Kumasis komplette Innenstadt so wie auf einem Foto abgelichtet.
Das Problem ist, dass neben dem heruntergekommenen Taxi ein Jeep steht und neben dem Markt ein chinesisches Restaurant. Das Problem ist, dass die Frau hinter dem Stoffstand nicht 100 mal am Tag fotografiert werden möchte und die Äpfel in dem Obstkorb die der Züchtung „Pink Lady“ sind und aus Südamerika importiert werden. Das Problem ist, dass hinter allem, was man sieht mehr steckt, als das von dem man berichtet, aber das können die Reisenden und schon gar nicht, die die erzählt bekommen erfassen.
Das ist mir hier klar geworden. Nachdem ich vor Abreise ständig getönt habe ich wolle einen Blog schreiben und diesen sogar als meinen literarischen Durchbruch bezeichnet habe, habe ich schon kurz nach meiner Ankunft dieses Vorhaben schnell überdacht. Denn schon der erste Tag hier hat mir mehr zum Nachdenken gegeben, als jede philosophische Frage in der Schule bisher.
Warum gibt es jetzt doch diesen Blog? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es versuchen möchte, das fair berichten. Ich habe im Moment nämlich noch die wahrscheinlich utopische Annahme für die Beschreibungen meiner Erlebnisse die richtigen Worte zu finden. Da mich sowieso jede Person meines Bekanntenkreises, die ich nach meiner Rückkehr treffe fragen wird, wie es denn war, möchte ich auf dieser Plattform mit mehr Zeit über Formulierungen nachzudenken erzählen. Teil davon soll auch diese Einleitung sein. Mit diesen Worten: welcome to my blog!
Zu mir: Mein Name ist Sophie, ich habe gerade Abitur gemacht und bin kurz vor Start meines Freiwilligendienstes 18 Jahre alt geworden. Ich verbringe von September 2022 bis Februar 2023 in der ghanaischen Stadt Kumasi und werde hier bei der Water Recources Commission arbeiten, die unter dem Dach der UNESCO Nationalkommission steht, welche wiederum eine Partnerorganisation des Freiwilligendienstanbieters Kulturweit ist, mit dem ich unterwegs bin.
Trotz des zehntägigen Vorbereitungsseminars am Werbellinsee in Berlin kam ich meiner Meinung nach recht unvorbereitet am Flughafen der am Meer gelegenen Hauptstadt Accra in Ghana an. Ich war heilfroh, dass ich den ganzen Stress des Fluges mit Umsteigen nicht allein durchstehen musste, sondern dort, wie auch die ersten fünf Tage in Accra, fünf andere deutsche Freiwillige um mich herumhatte. Wir waren in einem sehr zentral gelegenen Hostel untergebracht, von dem aus wir bis zu einer großen Einkaufsstraße, der Oxfordstreet, laufen konnten und dabei noch an mehreren Verpflegungsmöglichkeiten und einer Geldwechselstelle vorbeikamen.
Besonders war, dass genau zu der Zeit zu der wir ankamen eine sehr aufwändig geplante, dreitägige, Zusammenkunft der UNESCO-Kommissionen afrikanischer Länder in Accra veranstaltet wurde, bei der nicht nur mehrere sehr intelligente Professoren, sondern auch der ghanaische Bildungsminister anwesend war und der Präsident Ghanas die Teilnehmenden mit einer Videobotschaft begrüßte. Wir verschwitzte und übernächtigte Freiwillige waren mittendrin und kamen uns mit unseren Alltagsklamotten schrecklich underdressed vor. Teil dieser Konferenz waren außerdem eine „Accra by night“ Bustour, mehrere Abendessen (eines sogar vom Bildungsminister himself ausgelegt) und eine Bustour nach Cape Coast, wo alle durch die dortigen Burgen geführt wurden, die während der Kolonialisierung als Sklavenumschlagplatz genutzt wurden. In diesen Mordanstalten sind im Erdgeschoss Schwarze in Kerkern verhungert und haben darauf gewartet mit dem nächsten Schiff ans an das andere Ende der Welt verschickt zu werden, während Weiße ein Stockwerk höher fröhlich diniert haben. Das war ein sehr prägendes Erlebnis, für das ich aber trotzdem dankbar bin. Es ist immer wichtig Geschichte aufzuarbeiten. Jeder Genozid, den es je gab und heute gibt, ist etwas unbeschreiblich Grausames, das in Zukunft nicht vorkommen darf.
Während des großen UNESCO Events haben wir ein paar junge ghanaische Frauen kennengelernt, die eine Art Praktikum bei der Nationalkommission machen und während der Versammlung hinter dem Helpdesk und als Helferinnen für Alles zur Verfügung standen. Wir haben uns viel mit ihnen unterhalten und schon erste Vokabeln der hier neben der Amtssprache Englisch oft gesprochenen Sprache Twi (ausgesprochen Tschi) gelernt.
Was ich hier aber auch erwähnen muss: So wichtig Austausch und Kommunikation auch ist, haben wir sechs Freiwilligen das Setting der Zusammenkunft als nicht wirklich passend empfunden. Die meisten Teilnehmenden und Delegierten wohnten im selben Hotel, in dem auch alle Konferenzen stattfanden. Dem Tang Palace Hotel. Das ist eine riesige Anlage mit Pool, drei WLAN Zugängen und Sicherheitskontrolle vor der Tür. Es gab alle 2 Stunden Snack Time und zu Mittag gegessen wurde in dem Hoteleigenen Restaurant. Das führte dazu, dass viele der Teilnehmenden (darunter waren auch ein paar deutsche, ein Kanadier und ein Franzose) , von Ghana beziehungsweise ganz Afrika kaum etwas anderes sahen, als Luxus pur. Wie davon fair berichtet werden kann stelle ich mir unmöglich vor. Vor Allem am ersten Abend, an dem nur ein paar Delegierte und wir Freiwilligen bei der „Accra by night“ tour auch die ärmeren Viertel sahen, die sich direkt neben den Luxusgebäuden befinden kam uns Freiwilligen unsere Anwesenheit bei diesem Zusammentreffen der reichsten Schicht in einem Land, dass sich auf der Schwelle zum Entwicklungsland befindet und in dem es sehr vielen an Geld mangelt, einfach falsch vor.
Nach dieser Konferenz, einem Tag, dem wir frei gestalten durften (Taxi fahren, Simkarten kaufen, Supermarkt, Essen) und einer kurzen Fragerunde zur Klärung von Unklarheiten am letzten Tag in Accra, ging es dann für mich allein weiter. Obwohl ich eigentlich zu zweit mit einer anderen Freiwilligen in Kumasi hätte arbeiten sollen, sie und die Nachrückkandidatin waren leider vor Antritt des Dienstes abgesprungen, wurde ich am 16.09. allein in den Reisebus gesetzt, der mit einiger Verspätung nach fünf Stunden Fahrt in Kumasi ankam. Untermalt war die Busfahrt von einer ziemlich albernen ghanaischen Serie, die im Bus über zwei kleine Monitore lief. Sie war allerdings komplett auf Twi war, was dazu führte, dass ich kein Wort verstand. Zwar gab es freundlicherweise englische Untertitel, aber die waren so klein, dass ich keine Chance hatte sie zu lesen.
Hier in Kumasi bin ich auf dem 18 Quadratkilometer großen Universitätsgelände der KNUST, also der Kwame Nkrumah University of Science and Technology untergebracht. Es ist eine sehr schöne, sehr grüne Anlage, auf der neben Fakultätsgebäuden auch verschiedene Studierendenwohnheime und Hostels stehen. Ich befinde mich im Moment noch in einem Guest Room eines Hostels, werde aber vermutlich in den nächsten zwei Wochen ein Studierendenzimmer im selben Haus umziehen, in dem ich hoffentlich sogar eine kleine eigene Kochzeile habe.
Apropos: Ich finde das Essen hier sehr gut. An traditionellem habe ich bisher folgendes gesehen, beziehungsweise probiert: Mehrere verschiedene Arten von Reisgerichten (Mit Bohnen, ohne Bohnen, gelb, rot, etc.) die meist scharf gewürzt und oft mit Fisch oder Fleisch gegessen werden, Fufu, einer Art Stärkeknödel, zu dem Fleisch-, oder Fischsuppe gereicht wird, Plantain, zu Deutsch Kochbanane, die oft gegrillt oder gebraten wird und salzigen scharfen Gerichten etwas Süße verleiht, gedünstetes Gemüse und Palmwine, der wohl irgendwie (ich habe das Konzept nicht ganz verstanden) aus Palmenblättern gegoren wird und undurchsichtig weiß ist.
Ich tue mir allerdings bei dieser Aufzählung gerade sehr schwer zu definieren, was traditionell ist. Deshalb mache ich es jetzt einfach mal von dem abhängig, was es, beziehungsweise was es nicht in dem Restaurant gab, das mit seiner ghanaischen Traditionalität geworben hat.
Außerdem habe ich hier schon Rattatouille mit Kartoffeln Penne all‘ Arrabiata, gebratenes Gemüse mit Sojasauce und Spagetti gegessen.
Mir geht es hier also im Allgemeinen gut. Natürlich sind manche Dinge anders und es gibt genug Herausforderungen zu bezwingen, aber ich habe mich schließlich auch mit den Worten „Ich will meinen Horizont erweitern“ beworben und möchte diesen Satz nicht zur leeren Floskel machen.
Mittlerweile sitze ich etwa zwei Stunden an diesem Bericht und langsam fallen mir die Augen zu. Selbst kann ich kaum einschätzen, wie fair mein Bericht ist und ob unsere Gruppenleiterin Ria vom Vorbereitungsseminar damit zufrieden wäre. Ich werde ihn nun mal meinen fünf Ghana-Mitfreiwilligen zum Probelesen geben und ihre Meinung abwarten.
Eine schöne Zeit wünsche ich euch allen Lesenden!
Bis bald
Sophie