Nur noch wenige Stunden trennen mich vom Flughafen und der Maschine, die mich nach München befördern soll. Ich bin aufgeregt. Voller Vorfreude für das Neue, dass mich erwartet und Angst vor dem Abschied von meiner Familie. Ein letztes Mal fahre ich Auto und hoffe, dass alles gut geht. Ich nehme alles bewusster und intensiver war. Das Rattern der Bahn, die deutschen Häuser, den blauen Himmel und ja, auch die Menschen.
Die Sonne scheint. Ein gutes Zeichen. Goodbye Deutschland!
Mein Vater fuhr uns zum Flughafen. Auf dem Weg schaute ich mir alles ganz genau an und versuchte mir jede Einzelheit zu merken. Vor allem der gleichmäßige und geordnete Verkehrsfluss wird mir vermutlich fehlen. Immer mehr Flugzeug-Schilder wiesen uns den Weg. Angekommen regnete es. Leer war es hier. Vereinzelt saßen Menschen gedankenverloren auf den Bänken oder lasen Zeitung. Das rege Treiben, das ich von Flughäfen gewohnt war, wich der gähnenden Leere. Ich fühlte mich gut, was vermutlich an der Beruhigungstablette lag, die ich zuvor noch schnell nahm. Mit 2,6 kg zuviel, was aber zum Glück keinen störte, ging ich zur Sicherheitskontrolle. Dank Kurzzeitparken zog sich der Abschied nicht allzu sehr in die Länge und ich drückte meine Schwester und meine Eltern ein letztes Mal bevor ich hindurch ging. Mir kamen einige kleine Tränen, aber das große Heulen blieb zum Glück aus. Am Gate warteten hauptsächlich Geschäftsleute in feinen Anzügen. Auch hier ging alles gemächlicher und ruhiger zu; ab und zu unterbrochen durch Lautsprecheransagen. Die Sonne scheint.
Das Unterhaltungsprogramm der Lufthansa lässt kaum Wünsche übrig. Fast jede Musikrichtung wird angeboten und man kann auch aus einer Reihe von Filmen wählen. Ich entschied mich für „Letters to Juliet“. Der chinesische Geschäftsmann neben mir wählte „Mit dir an meiner Seite“, die gleichnamige Verfilmung von Nicolas Sparks Bestseller, mit Miley Cyrus in der Hauptrolle und einem Zac-Efron-ähnlichem Typen. Sein Kollege schräg vor mir gönnte sich zunächst „Alice im Wunderland“ um danach mit einer Folge Desperate Housewives das Kitsch-Klischee endgültig zu bestätigen. Als würde er das merken, schaltete er nach etwa der Hälfte der Folge auf „Prince of Persia“ um. Der Kollege neben mir schlummerte schon, als ein weiterer Chinese mit Schlafbrille und herausragenden Ohrstöpseln in seinen Schlafsocken an mir vorbei ging. Lustiges Volk, diese Chinesen. Nach einiger Zeit wachte der Typ neben mir wieder auf und schaute sich ganz ungeniert meine Cosmopolitan an. An diese Alles-was-dir-gehört-darf-ich-mir-auch-nehmen-Mentalität muss ich mich noch gewöhnen.
Um 3.30 Uhr deutsche Zeit gab es Frühstück. WTF?! Ich will schlafen! Oder wenigstens weiter vor mich hin dämmern. Richtig schlafen konnte ich nicht. Es gab komisches Rührei, was ich lieber nicht hätte essen sollen. Unter uns erstreckte sich zur gleichen Zeit die gähnende Leere der Gobi Wüste. Russland und die Mongolei habe ich verschlafen bzw. es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
Ich war hundemüde und lag in einer Liege am Beijing Airport. Der Flughafen ist groß, aber nicht zu groß. Alles war gut ausgeschildert und es gab gratis Trinkwasser, was mir quasi das Leben rettete, weil ich einfach keinen Supermarkt fand.
In Qingdao angekommen holte mich eine junge Frau in schrillem Kleid, meine Mentorin, und ein weiterer deutscher Lehrer ab und wir fuhren zur Schule. Beiden war die Verwunderung anzusehen; hatten sie doch mit einer deutsch aussehenden Person gerechnet. Auf dem Weg dorthin bewies der Fahrer, dass Bremsen total überbewertet werden, wenn man auch eine Hupe zur Verfügung hat. Er hupte also wie verrückt und andere hupten zurück. Ich habe mich indes auf die Landschaft und das Stadtbild konzentriert und blendete die riskante Fahrweise und die fehlenden Sicherheitsgurte großzügig aus. Auf dem Campus angekommen, der nächste „Schock“: Die Eingangstür zu dem Appartement sah aus wie der Hintereingang eines Schuppens. Das Appartement selbst ist… chinesisch! Auch mein Zimmer ist… chinesisch! Für chinesische Verhältnisse wohnen wir relativ gut, sagte man mir, aber gegen Deutschland ist das ja mal nichts. Aber nun gut, ich bin hier, um mich auf neue Gegebenheiten einzustellen und genau das traf auch ein. Die Küche klein und provisorisch (soll aber schon besser aussehen, als vor 3 Wochen), das Waschbecken ebenfalls und vor allem dieses Holzbett. Chinesen mögens anscheinend hart! In die Matratze ist eine Holzplatte integriert, umgeben von einer 1cm dicken Wollschicht, sodass man die Kanten nicht mehr spürt. Aber de facto liegt man immer noch auf einem Brett. Ich habe jetzt 2 Decken drüber gelegt und hoffe es geht so. Genug gemeckert, nun zu den positiven Sachen: Ich habe ein eigenes Bad, eine westliche Toilette , einen Reiskocher, ein Einzelzimmer, einen Fernseher und voraussichtlich Internet, eine Klimaanlage, Kühlschrank, Waschmaschine, Warmwasser und wohne direkt auf dem Campus.
Heute waren wir noch auf dem Observatorium, was jetzt eine Jugendherberge ist, und haben den deutschen Stammtisch getroffen. Ich bin auf dem besten Wege in meine deutsche/internationale Blase zu kommen, denn ich wohne nicht allein im Appartement. Hier sind noch eine Schottin und eine Japanerin, beide Lehrerinnen.
Liebe Julia!
Klingt echt spannend, was du bisher erlebt hast! Und in Qingdao wird es bestimmt noch viel geiler 😀 Ich wünsch dir alles Gute, genieß die tolle Zeit, die vor dir liegt.
Gute Reise!
HDL Charlotte