12. Januar 2011 – Qingdao
Ich habe mich für einen Trolley entschieden. Dieser steht gepackt zusammen mit meinem Daypack neben der Garderobe und ich bin fertig für die Reise. Zuvor habe ich daran gedacht, alle verderblichen Lebensmittel aufzuessen bzw. mit auf die Zugfahrt zu nehmen. Es wird eine lange Fahrt, meine längste Zugfahrt bisweilen. Ich habe vor dem Ticketkauf zwischen Sitz- und Schlafplatz überlegt, mich dann für einen Schlafplatz entschieden, weil die 41-Stundenfahrt 2 Nächte beinhaltet. Zum Glück konnte ich den Weichschläfer noch gegen einen Hartschläfer tauschen, sodass es insgesamt „nur“ 474 Yuan kostete. Den Tanzkurs am Abend musste ich absagen, da der Zug schon nachmittags ging. Etwas mulmig war mir schon, werde ich doch über einen Monat lang nicht zu Hause sein. Ich hoffte, dass alles klappt und wir nicht all zu viel Stress durch die größte, regelmäßige Migrationsbewegung der Welt bekamen. Richtig, auch dieses Mal konnte ich Patrick dazu bewegen, zusammen zu reisen :). Auch Annika wollte mitkommen.
nächtliches Treiben im Zug
Also ging es irgendwann nachmittags zum Bahnhof. Mein Trolley war wahnsinnig schwer. Ich werde nie wieder so viel mitnehmen auf Reisen, besonders nicht im Sommer! Schon die Wartehalle quillte über vor wartenden Menschen, Koffern und und Koffer-substituirenden Reissäcken. Na das kann ja was werden. Plötzlich war ich heilfroh über meinen Schlafplatz. Als die Massen dann eingelassen wurden, drängte alles rein und es wurde mal wieder ungemütlich eng und laut. Die Ticketkontrolleurin hatte es aufgegeben nach den Fahrkarten zu fragen und scheuchte die Massen mit einem „Kuai yi dianr“ nur so durch. Man rannte die Treppe hoch und auf den Zug zu; Angst, dass für das eigene Gepäckstück kein Platz mehr frei sein könnte. Das Hartschläferabteil war zu dem Zeitpunkt noch ertstaunlich leer. Mein Trolley fand ausreichend Platz in der oberen Ablage und ich im obersten Bett. Unter mir lagen eine Frau und ein Junge, deren Beziehung zueinander ich bis zum Ende der Fahrt nicht verstehen sollte. Sie war entweder seine Mutter, ältere Schwester oder eine andere nähere Verwandte. Ich kam mit ihr ins Gespräch, aber traute mich nicht genauer zu fragen. Sie sprach einen Sichuan-Dialekt mit dem Jungen, der nur schwer zu verstehen war. Ich verstrieb mir die eineinhalb Tage im Zug mit Essen, Musik hören, Chinesisch lernen, Schlafen, Details der Reiseroute planen und mit meinen Mitreisenden quatschen. Am zweiten Tag lernte ich einige Deutschland-interessierte Mitreisende kennen, denen ich vieles über mein Heimatland erzählen konnte und die den ständigen Vergleich zu China gesucht haben. „Deutscher Reis“ ist zum Beispiel die Kartoffel :). Ich bekam auch Hilfe bei meinen Chinesichaufgaben von einer interessierten Chinesin. Mittlerweile weiß ich auch besser, wie man sich günstig und trotzdem abwechslungsreich und gesund auf einer Zugfahrt ernährt. Gekochte Süßkartoffeln und Mais, viele Sonnenblumenkerne und ausreichend Obst sind das Geheimnis. Früher dachte ich es gäbe nur Tütensuppen, weil alles andere verdirbt ohne Kühlung und Essen im Zug zu teuer ist.
Die Stunden vergingen mehr oder weniger schnell. Wenn um 21.30Uhr die Lichter ausgingen und alle schliefen, ist es sehr entspannend und schön einfach noch im Gang zu sitzten, den Mond zu betrachten, versuchen, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten und gute Musik zu hören. Am Freitag, den 14. Januar, verließ ich um 9.20 Uhr morgens einige Tausend Kilometer weiter westlich den Zug in Chengdu.
14. Januar 2011 – Chengdu
Es wurde erstaunlich spät erst hell, das konnte ich im Zug sehen. Was aber auch klar ist, wenn man sich weiter westlich befindet. Ich habe im Zug eine nette Frau kennengelernt, die mir geholfen hat, die richtige Bushaltestelle zu finden und so kam ich fix im DreamsTravel Hostel an, in dem Patrick schon auf mich wartete. Das Hostel ist wirklich zu empfehlen. Es liegt im tibetischem Viertel der Stadt, in dem man oft Mönchen (einige schliefen in meinem 10-Bett-Budget-Dorm) und vielen Minderheiten begegnet. Woran man Minderheiten erkennt? Das wusste ich auch nicht, aber die Kleidung verrät sie doch schnell. Wir sind am ersten Tag ins den größten Tempel Chengdus gegangen, zu dem viele pilgern. Enttäuschenderweise sah er nun mal aus wie… ein Tempel eben. Eine nette Pagoda stand in der Mitte, an deren Balustraden Vogelfutter vertreut lag. Sonst gab es noch einen eingezäunten Hahn, der in der Mittagspause von gelangweilten Köchen genervt wurde, die ihn füttern wollten und so mit Körnern beschmissen. Danach probierten wir Chengdus unglaubliches, einspuriges Metro-„System“ aus und fuhren zum Volkplatz. Wie auf vielen großen Plätzen in China grüßte uns eine übergroße Mao-Statue und man konnte Menschen bei allem (un-)Menschlichem beobachten.
Ich wollte noch auf ein Hochhaus gehen, um einen Überblick über Chengdu zu verschaffen. Also steuerten wir auf das höchste Gebäude in der Nähe zu und betraten ein Bürogebäude. Ich versicherte dem Wachmann, dass wir zum Englischcenter in den 30. Stock wollten, drückten stattdessen aber auf den 43. Stock und fuhren ganz nach oben. Dann der Schock: Baustelle! Oder fertig gestellte Baustelle. Wir kamen in einen ungefliesten, kahlen Betonraum, der für die Öffentlichkeit noch nicht hergerichtet wurde. Alles kahl und es wäre die perfekte Kulisse für einen Actionfilm gewesen mit um die Ecke springenden Armschützen und fiesen Ganoven. Panisch rannte ich zurück zum Aufzug als dieser sich schließen wollte, aber zum Glück gab es schon eine Taste zum Aufzug rufen. Erleichtert über den sicheren Abstieg vom Gebäude machten wir uns vorsichtig auf den Raum zu besichtigen und näher an die Fenster zu kommen. Es hätte jederzeit einstürzen können, hatte ich das Gefühl, aber das war wohl etwas übertrieben, zumal man das Stockwerk problemlos mit dem Aufzug erreichen konnte und keine Warnschilder existierten. Sollten wir erwischt werden, würden wir einfach den dummen Touristen spielen! Der Blick über Chengdu war jetzt nicht so atemberaubend wie vielleicht erwartet. Eine dichte Dunstglocke schwebte über der sonst grauen, voller Hochhäuser besiedelten Stadt, die kein schönes Panorama (anders Shanghai) bietet. Patrick wollte noch in den 44. Stock, aber hinter der dicken Tür schienen andere Leute zu sein, also fuhren wir wieder runter, in der Hoffnung nichts Illegales gemacht zu haben.
Wir besuchten noch eine kleine Touristenmeile gegenüber vom Hostel und staunten über die vielen Hasen-Lampions. Abends waren wir oft im Hostel. die Mitarbeiter sind super nett und auch die anderen Gäste sehr
Zwei Chinesinnen, ein Koreaner und der Deutsche!
aufgeschlossen und interessiert. Ich begegnete einem Tibeter, der mich aus mir nicht ersichtlichen Gründen ständig auslachte, einem des Hui-Volk angehörigen, etwas aufdringlichen Chinesen, mehreren netten, gesprächsbereiten Koreanern, einer Bai-Chinesin und vielen Han-Chinesen natürlich. Wir hatten immer viel Spaß zusammen. Die Bai-Chinesin, die sich Apple nannte, kochte häufiger abends und danach betrank sie sich regelmäßig. Einmal war es so schlimm, dass sie über das Glück in der Welt philosophierte und dabei realisierte wie unglücklich die Menschen sind und nicht aufhören zu weinen wollte. Weil Patrick heillos überfordert war mit der Situation, übernahm ich und erzählte ihr, dass sie entscheidend zum Glück anderer Menschen beitragen wüde. Und es stimmte doch auch ;). Reisen schafft eben Arbeitsplätze! Als sie dann so müde war, dass sie schlief, war nicht nur ich erleichtert.
Am nächsten Tag besuchten wir das Startbild Chengdus auf Wikipedia: eine hübsche Brücke im Pagoden-Stil, die heute ein überteures Restaurant beherbergt. Inzwischen kam auch Annika an, die wir nach einem Besuch des Parks des herrlichen Flussblickturms (was für Namen) im Hostel trafen. Eigentlich wollten Annika und ich zu den Pandas, aber leider war es schon zu spät dafür. Auch am nächsten Tag werden wir wohl keine Zeit haben, weil es dann für einen Tag nach Leshan gehen soll, den Riesenbuddha grüßen.
16. Januar 2011 – Leshan
Leshan ist nur 2 Stunden von Chengdu entfernt. Deshalb konnten wir uns am Morgen mehr Zeit lassen und nahmen den Bus um etwa 11 Uhr. Der kleine Van fasste 8 Personen und so tuckerten wir auf Autobahnen bis zur Stadt Leshan. Nachdem die ersten Fahrgäste ausgestiegen sind, ging es für uns 3 weiter zum Parkeingang des Riesenbuddhas. Die eine Frau aus dem Van bot uns an, für uns den Schülerpreis zu verhandeln, was wir dankbar annahmen. Woran wir aber nicht gedacht haben, war, dass sie für uns gleich beide Eintrittskarten gekauft hat und wir somit selbst mit Schülerpreis mehr zahlten als für den reinen Besuch des Buddhas notwendig gewesen wäre. „Auch bei netten Menschen sollte man aufpassen“ ist die Lehre daraus. Worüber ich mich anfangs noch aufregte, war im Nachhinein gar nicht so schlecht. Der extra-Park war echt schön und man konnte einige
hinter mir der in den Berg gemeißelte, liegende Buddha
thailändisch anmutende Riesenstatuen begutachten, einen berggroßen, liegenden Buddha sehen und eine Treppe, die in den Himmel zu führen scheint, hinauflaufen. Rechts und links von ihr waren Tausende von Schlössern von Pärchen angebracht worden, die auf ewig haltenene Liebe hoffen. Die Erde in der Region hat die Sichuan-typische rote Farbe und viele Statuen sind moosüberwachsen, was dem ganzen noch eine viel mystischere Stimmung gibt. Fast so wie in Tomb Raider ;). Wir fanden einen neuen-alten Tempel, der gerade erst gebaut wird und dessen Eingangstor zugebaut wurde. Wie immer führte unweit des Tors ein kleiner Trampelpfad den Hügel hinauf und schließlich in den Komplex. Interessant waren die Wendeltreppen, die in den noch offenen zweiten Stock des Rohbaus führten. Von oben hatte man eine nette Aussicht über die nebelige, regnerische Umgebung.
Immer den Schildern Richtung „Da Fo“ folgend, erreichten wir nach kurzer Zeit endlich den Buddha. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass hinter der Brüstung schon der Buddha auf uns warten würde, das ging doch schneller als vermutet. Und in echt ist das Teil nochmal viel beeindruckender als auf Fotos. Eigentlich wollte ich gar nicht hierher fahren, weil es überall in China große Buddhas gibt, aber nachdem ich nun da war, würde ich es jedem Chengdu-Reisenden ans Herz legen auch mal nach Leshan zu fahren. Außer dem Buddha, der an sich schon wirklich beeindruckend und sehenswert ist, sollte man sich den Park auch nicht entgehen lassen. Und zuletzt ist die Aussicht auf die reissenden Strömungen im Fluss auch einzigartig. Leider hat bei uns das Wetter nicht ganz mitgespielt, aber wenigstens war es dort nicht so voll. Natasha, die um das Frühlingsfest herkam, musste 1 Stunde auf der Treppe anstehen, um an den Berg runter zu den Füßen des Buddhas zu klettern.
Warum hat man den Buddha überhaupt gebaut? Wie schon erwähnt ist der am Berg
Da Fo - Riesenbuddha
vorbeifließende Fluss nicht der ruhigste. Früher sind viele Menschen mit ihren Booten gekentert als sie an dieser Stelle vorbeifuhren. Um die Flussgötter zu besänftigen, baute der Mönch Haitong 713 den 71 m hohen Riesenbuddha. Nach seinem Tod vollendeten seine Schüler 90 Jahre später die Statue. Sie blickt auf den heiligen Berg Emei Shan unweit davon. Tatsächlich wurde der Fluss sicherer für die Schifffahrt. Die Massen an Steinen, die beim Bau aus dem Berg abgetragen wurden, veränderten den Lauf des Flusses, sodass gefährliche Strömungen seltener waren. Der Buddha ist, geschützt durch ein internes Drainagesystem, recht gut erhalten.
Großer Buddha von unten. Man beachte die Größe seines Zehs im Vergleich zum Warnschild.
Auf dem Weg zurück nach Chengdu mussten wir -mal wieder- rennen, was unsere Beine aushielten. Wir waren spät dran für den letzten Bus. Wer hätte das gedacht… Wenn man entspannt irgendwo hinfahren will, muss man damit rechnen gehetzt zurückzufahren. Fährt man gehetzt hin, kann man entspannt zurückfahren. Sowohl entspannt hin als auch zurück, habe ich bisher noch nicht geschafft. Im Bus angekommen, nickte ich schnell ein und wachte erst wieder auf, als mein linkes Bein drohte abzusterben. Bis nach Chengdu war es auch nicht mehr weit…
Zurück in Chengdu gingen Annika und ich noch schnell zu Carrefour, um uns mit reichlich Proviant für die morgige 12 stündige Busfahrt nach Jiuzhaigou zu versorgen. Wir kauften Teigwaren, Obst, Gemüse, Toastscheiben, Süßigkeiten, Kaffee und Wasser. Patrick hatte indessen sein Date, weshalb wir für ihn miteinkauften. Es wurden 4 schwere Tüten. Chinesische Lebensmittel sind eher für lange Reisen gemacht als sie in Deutschland sein würden. Alles gibt es in kleinen Protionen abgepackt, überall hat man an Becher und Besteck gedacht und viele Dinge halten sich ohne Kühlung. Nach dem anstrengenden Shopping aßen wir bei KFC und fanden anschließend die Bushaltestelle nicht, an der unser Bus fahren sollte. Als wir sie dann fanden und einstiegen, fuhren wir eine Ewigkeit lang, aber unsere Haltestelle wurde einfach nicht angesagt. Der Busfahrer teilte uns mit, dass er einen geänderten Plan fuhr und nicht an unserer Station vorbeikommen würde. Also stiegen wir schwer bepackt aus und mussten wohl oder übel ein Taxi nehmen. Ein Glück, dass das so günstig ist hier!
17. Januar 2011 – Busfahrt nach Jiuzhaigou
Am nächsten Tag hieß es zeitig aufstehen, schließlich fuhr der einzige Bus nach Jiuzhaigou schon um 8.oo Uhr. Tickets hatten wir schon und so ging es nach einem scharfen Frühstück ohne Probleme zum Busbahnhof. Wir waren sogar recht früh da und ausnahmsweise mal entspannt unterwegs. Der Bus kam, wir stiegen ein und sahen 2 bekannte Gesichter aus dem Hostel wieder: 2 der Tibeter. Aber der eine Tibeter, der sich immer so über meine Anwesenheit gefreut hatte, war nicht darunter ;). Während der Fahrt versorgten uns die beiden mit Live-Performances der tibetischen Musik. Ich hätte nicht gedacht, dass die Volksmusik auch bei Jugendlichen noch so beliebt ist. Das kann man von dt. Volksmusik nicht behaupten. Wir kamen an zerstörten Felshängen, reißenden, türkisblauen Flüssen und zusammengebrochenen Brücken vorbei. Die Schäden des Großen Bebens 2008 wurden noch immer nicht vollständig behoben und vielerorts kann man sich die Lage vor 2 Jahren noch ziemlich gut vorstellen. Unser Bus fuhr auch einen von der normalen Route abweichenden Weg, weil dieser durch das Erdbeben zerstört wurde. Deshalb brauchten wir auch lange 12 Stunden für eine Strecke vom etwa 500 km, die man locker in 7 Stunden befahren kann. Ich fragte mich, warum es für diese Dauer keinen Nachtbus gab, aber als ich die Strecke sah, war mir klar warum. Teilweise war die Straße nur einspurig und verlief am Berg entlang in Serpentinen. Auch mussten Ausweichmanöver her, um herumliegenden Felsbrocken sicher zu umfahren. Das alles in völliger Dunkelheit (Laternen gibt es auf dem Land nicht) wäre lebensmüde, das wissen sogar die Chinesen.
Aber die Strecke wäre auch viel zu schade, um nachts befahren zu werden. Denn dafür ist sie viel zu schön. Wir kamen an gefrorenen Seen vorbei, wunderschönen, klaren Flüssen, Tannenwäldern, von denen ich dachte, sie seien nur in Skigebieten so schön und einer Steppenlandschaft, die auch in der Mongolei hätte sein können. Wir durchquerten das hübsche Dorf Songpan, wo ich eigentlich Pferde reiten wollte. Aber zeitlich hat es leider nicht gepasst. Je weiter wir hochkamen (der nördliche Teil Sichuans liegt auf einer Hochebene) desto mehr Schnee lag. Wunderschöner, weißer Schnee :). Zum Glück funktionierte die Heizung im Bus. Bald mussten auch Schneeketten ran und ich erlebte zum ersten Mal, dass in China Geld für die Toilettenbenutzung genommen wird. Dabei sind die bezahlten Toiletten meist schlechter als die kostenlosen, aber auf Reisen hat man selten die Wahl. So durfte ich weitere Sorten des in China nicht ganz so stillen Örtchens kennenlernen ;). Annika war die ganze Fahrt lang nicht auf Klo. Auch eine Erfahrung. Die Zeit im Bus vertrieb ich mir mit abwechselnd Schlafen, Essen, Musik hören, aus dem Fenster gucken und mit Annika quatschen.
Nach nur 10 Stunden kamen wir gegen 18 Uhr im Dorf an und wurden sogleich von einem Hotelschlepper angesprochen und genervt. Sie verfolgte uns ein ganzes Stückchen und bot an, uns mit dem Auto zum Hotel zu fahren, sodass wir es uns anschauen könnten. Angesichts des weiten Weges bis zum Hostel, der frostigen Temperaturen und der kostenlosen Autofahrt, willigten wir schließlich ein und ließen uns zum Hotel chauffieren. Das Zimmer sah echt gut aus und alles wirkte seriös, auch der Preis. Deshalb zogen wir es vor in unser Hostel zu gehen. Natürlich kannte keiner der Hotelangestellte unser Hostel in diesem 1000 Seelen Kaff, aber nach kurzem Fußmarsch fanden wir es schließlich. Es war
Neben den zahlreichen Minderheiten in Sichuan stellen wir selbst eine dar - die deutsche Minderheit! Hier vor dem Hostel.
kalt in dem Dorm. Wir hätten für mehr Geld auch ein Zimmer kriegen können, aber dann hätte ich mir mit Annika ein Bett teilen müssen, was ich nicht kann. Ich brauche nunmal mein eigenes Bett zum Schlafen. Also Dorm. Im Dorm trafen wir einen Japaner, der, wie sich heraustellte, im gleichen Hostel in Chengdu war wie wir und auch mit dem gleichen Bus ankam. Wir gingen mit ihm und einer Familie überteuert Essen und verstanden uns auch sonst auf Anhieb gut mit ihm, Hiroki. Ich konnte mir seinen Namen nicht merken. Erst Tage später in Kunming wusste ich, wie er hieß ^^. Es wurde eine kalte Nacht, eine sehr kalte Nacht. Gefühlte Minusgrade herrschten im Dorm, das zum Glück sehr klein war. So konnte die Körperwärme die Luft wenigstens um ein paar Grade aufheizen. An Duschen war angesichts des kalten Wassers und des unmöglichen Zustandes der Duschkabinen nicht zu denken. Man hätte sich auch sofort eine Erkältung eingefangen bei den Temperaturen. Also schlief ich in voller Montur mit zusätzlichen Unterhemden, Socken, Weste, Schlafsack und 2 Decken. Lediglich die Jacke legte ich ab. Dennoch wachte ich immer wieder auf nachts, weil mir einfach zu kalt war.
18. Januar 2011 – Jiuzhaigou National Park
Früh begann der nächste Tag. Zu Frühstücken gab’s was wir aus Chengdu mitgenommen hatten. Wir haben für 3 Tage eingekauft, weil man uns dazu riet, da das Essen dort überteuert und nicht schmackhaft sein sollte. Wenigstens verdarb nichts wegen den Kühlschranktemperaturen im Zimmer. Gegen 9 kamen wir nach einer 3 minütigen Taxifahrt am Eingang des Parks an. Die Tickets kosteten in der Nebensaison 70 Yuan plus
gefrorener Wasserfall
80 Yuan für den Bus, der uns dort rumfahren sollte. Ich hatte Glück und bekam dank dt. Schülerausweis den Schülerpreis :). In der Hauptsaison waren die Preise gesalzen: knapp 200 Yuan pro Person. Zuerst wollten wir auf den Bus verzichten, aber aufgrund der Größe und unserer begrenzten Zeit ließen wir uns doch drauf ein. Es war die richtige Entscheidung! Es herrschten Minusgrade und nach nur 15 min Fotopause wollte ich schleunigst zurück in den geheizten Bus. Nach Wandern war mir überhaupt nicht zu Mute. Bei höheren Temperaturen wäre es sicher ein tolles Erlebnis, aber im Winter einfach viel zu kalt! Der Bus tuckerte zu allen wichtigen Naturschauplätzen im Park, wir bekamen ca. 20-30 min Fotopause jeweils und konnten auf den Aussichtsplattformen herumlaufen. Es ging viele Hundert Höhenmeter hoch und wieder runter. Jiuzhaigou ist bekannt für sein unwirklich scheinendes, kristallklares, blau-türkises Wasser in den Tausend Seen. Und es ist wirklich bezaubernd schön. Das Wasser sieht wie gemalt aus und die Tannenwälder im Hintergrund tun ihr Übriges, um alles in eine winterliche Märchenlandschaft zu verwandeln. Hier wohnt die Schneekönigin :). Ich möchte am liebsten drin Baden, wäre es nur nicht so kalt… Einige Seen, wie der größte See im Park, sind zugefroren und schneebedeckt. Andere wiederum nicht. Ich vermute, dass die für die türkise Färbung des Wasser verantwortlichen Mineralien und Algen auch eine Frostschutzwirkung haben. Darüberhinaus ist das Wasser sehr klar und nährstoffarm, weshalb kein orgnanisches Material zersetzt wird. In vielen der Seen sind daher die von den Einheimischen als „Tausendjährige Bäume“ bezeichneten Holzrückstände zu finden.
Es gibt eine Sage über die Entstehung dieses besonderen Gebietes, das seit 1992 Teil des UNESCO-Weltnaturerbes ist. Demzufolge soll ein Gott seiner Frau einen magischen Spiegel geschenkt haben. Diese war jedoch unvorsichtig und ließ ihn fallen. Er zerfiel in über 100 Splitter, die später zu den Seen im Tal wurden. Jiuzhaigou heißt übersetzt 9-Dörfer-Tal, benannt nach den 9 tibetischen Dörfern, die einst dort existierten. Zwar gibt es die Dörfer immernoch, aber ihre Bewohner haben sich den Tourismus angepasst. Einige können besichtigt werden, andere nicht. Auch wurden Seen aufgrund von Feuergefahr (im Winter?!) abgesperrt. Das Tal erhebt sich durchschnittlich 2500 ü. NN und hat eine Länge von 50 km und eine Breite von 20 km. Alle Seen sind natürlich aufgestaut worden. Angeblich sollenn auch Tiere, wie Pandas, im Park wohnen, aber ich hab außer Vögeln keine anderen gesehen.
Teile der Wasserfälle sind zugefroren und formen bizarre Figuren, deren Größe beeindruckend ist. Es ist einfach gigantisch, wenn der halbe Wasserfall stehen geblieben ist und in sich verharrt. Flüsse verbinden die Seen miteinander und hüllten Pflanzenäste in eine dicke Schicht Eis. Ich fühlte mich in Kanadas Norden versetzt (nicht, dass ich jemals da war 😉 ), in der jeden Moment ein Bär um die Ecke springen könnte und wilde Elche röhren. Die 72 000 Hektar des Parks wurden mir erst jetzt richtig bewusst. Und wir wollten wandern?! Man bräuchte mindestens 2-3 Tage, um zu Fuß alles sehen zu können. Dennoch begegneten wir einigen Fußgängern auf dem Weg. Im Sommer ist es normalerweise so, dass immer mal Bus fahren und man an Haltestellen ein- und aussteigen kann, je nach Belieben. Im Winter muss man in einem Bus bleiben und mit seiner Touristengruppe fahren. Aber meistens wird solange gewartet bis alle wieder an Bord sind. Deshalb fand ich’s auch nicht schlimm, eine feste Gruppe zu haben. So konnte ich wenigstens den Rucksack im Bus lassen. Gegen Ende der Tour kamen wir an einem tibetischen Dorf vorbei. Tatsächlich leben dort noch Menschen, aber es heißt, dass viele von ihnen Han-Chinesen und keine echten Tibeter sind. Man will den Schein wahren. Das Dorf wirkte verlassen und künstlich angemalt. Kein wirklich schöner Anblick. Aber die weißen Stupas, tibetische Denkmäler und ein Symbol für Buddha und den Dharma, waren ein gutes Fotomotiv ;). Zusammen mit den vielen bunten Gebetsfahnen sah das wie von einer anderen Welt aus. So fremd, dass man es einfach fotografieren muss. Ich bin Tibet und dem tibetischen Buddhismus zuvor noch nie so nah gekommen. Im Westen hört man meist nur von den Separationsbestrebungen dieser Region und weiß eigentlich gar nichts über Menschen und Kultur. Jetzt ist Tibet realer geworden für mich. Man muss auch nicht nach Tibet reinfahren für tibetische Kultur. In den Grenzprovinzen wie Sichuan, Qinghai und Yunnan leben auch viele Tibeter und in größeren Städten wie Chengdu gibt es auch tibetische Viertel. Alles sehr interessant :). Schade nur, dass es so teuer, kompliziert und zeitintensiv ist, um nach Lhasa zu fahren. Ein anderes Mal vielleicht.
Wir dachten schon der Bus wäre ohne uns abgefahren, weil wir ihn nirgends fanden. Glücklicherweise stand er nur um die Ecke und wartete ungeduldig auf seine vier verspäteten Ausländer. Und ich war froh, dass mein Rucksack noch da war. Geschafft vom Tag gingen wir die 2 km zurück zum Hostel und hatten eine wärmende Fertignudelsuppe. Während dessen klingelte Patricks Handy. Annika rief an. Annikas Handy jedenfalls. Annika
Jiuzhaigou zum Neidisch-werden 😉
selbst saß keinen halben Meter von Patrick entfernt und löffelte fröhlich Nudelsuppe. Total verwirrt ging Patrick ran und es antwortete eine Frau auf Chinesisch. Das Handy wanderte zu Hiroki, der versuchte herauszufinden, was eigentlich los war. Annika wurde ganz panisch und durchsuchte ihre Sachen nach dem Handy, offensichtlich war es nicht mehr da!! Der Hostelbesitzer wurde zur Hilfe geholt und nach einigen Sätzen stellte sich raus, dass tibetische Mönche Annikas Handy im Bus nach Chengdu gefunden hätten. Sie wären jetzt in Chengdu. Hiroki versuchte einen Treffpunkt mit ihnen auszumachen, da wir morgen nach Chengdu zurückfahren würden. Doch die einzige Antwort auf die Frage wo genau sie sich befänden, war „In Chengdu“. Sehr hilfreich. Dann versuchte er sie dazuzubringen, das Handy zu unserem Hostel in Chengdu zu bringen und es dort abzugeben. Nächstes Problem: die Mönche haben kein Geld für Busfahrten und keine Ahnung wo das Hostel ist. Also wollten wir ihnen die Adresse als SMS zukommen lassen. Da es aber tibetische Mönche waren, waren sie der chinesischen Schrift nicht mächtig. Na ganz toll! Und da schimpft man auf ignorante Ausländer und Expats. Zu allem Überfluss gab Annikas Handyakku seinen Geist auf und weg war die Verbindung. Somit gab es keine Möglichkeit mehr, die Mönche zu kontaktieren und es war auch unwahrscheinlich, dass Annika ihr Handy jemals wiedersehen sollte. Sie war ziemlich aus dem Häuschen und verzweifelt über verlorene Nummern und den Schock, das in dem Rucksack geglaubte Handy verloren zu haben. Es war kurz ein halber Weltuntergang für sie. Verständlich. Aber hey, man kann sich ein neues Handy besorgen, eine neue Nummer kaufen und Freunde sind auch nicht tot, dass man sie nicht erreichen könnte. Aber Annika konnte das alles nicht alleine machen. Sie schafft es einfach nicht. Unglaublich welches Selbstvertrauen in diesem Mädchen steckt. Also musste ich ran. In Kunming besorgte ich ihr ein ziemlich geiles Handy, aber dazu später mehr.Nachdem sie sich beruhigt hatte und die Nudelsuppen kalt geworden sind, gingen wir in unseren Kühlschrank zum Schlafen. Diese Nacht war wärmer und ich schlief durch. Am nächsten Tag war ich froh, endlich auschecken zu können. Wie immer wollten wir früh raus, um nicht hetzen zu müssen, aber ich hätte es besser wissen müssen. Jeder von uns trödelte ein bisschen und Annika fand ewig ihre Kautionsquittung nicht. Mit einem Taxi wären wir pünktlich zum Busbahnhof gekommen. Die unkompetenten Hostelmitarbeiter versicherten uns es gäbe Taxis so früh am Morgen (7 Uhr), doch auf dem ganzen Weg Richtung Busbahnhof kam uns kein Einziges entgegen. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Gelegentlich fuhren Autos vorbei, doch sie hielten weder auf heftiges Winken noch in-den-Weg-stellen. Man hupte uns nur wütend an. Die Zeit drängte, wir hatten noch 2 km Fußmarsch mit viel Gepäck vor uns und nur sehr wenig Zeit bis zur Abfahrt. Die Karten sind schon gekauft und es wäre extrem scheiße, den Bus zu verpassen. Das würde unsere ganze Planung über den Haufen werfen, viel Geldverlust und eine weitere Kühlschranknacht bedeuten. Patrick und ich rannten vor, Hiroki und Annika unterhielten sich gemütlich weiter hinten. Wir hielten einige Busse an in der Hoffnung es wäre unserer. Ich war total fertig als wir schließlich den Busbahnhof erreichten und schwörte mir, das nächste Mal noch früher aufzubrechen. Unser Bus? Stand noch! Was für ein schweine Glück wir doch immer haben. Man hatte sich die verkauften Tickets notiert und wusste so, dass wir 4 noch fehlen würden. Total außer Atem, aber sehr dankbar stieg ich in den Bus ein.
Busse scheinen höchstens 10 min auf verspätete Fahrgäste zu warten und wann waren wir da? 8.10 Uhr! Planmäßige Abfahrt war um 8.00 Uhr … 🙂 Auf dem Weg zurück nach Chengdu holte ich viel Schlaf nach. Da es wieder runter von der Hochebene ging und somit bergab, kamen wir nach nur 7-8 Stunden in Chengdu an.