Das letzte, es ist vorerst das letzte Mal, dass ich meine Straße in Yangon entlanglaufe. Meine Zeit in Myanmar ist nun also vorbei. Kaum zu glauben. Viel zu schnell sind die letzten Stunden verflogen und ich befinde mich in einem ständigen Gefühlschaos. Abschiedsschmerz und Vorfreude liefern sich einen endlosen Kampf.
Sanchaung, Yangon, Myanmar wurde in den letzten Monaten immer mehr zu meiner Heimat. Das war spätestens klar, als wir – Helene und ich – im November von unserem Zwischenseminar zurückkamen. Kaum hatten damals die Räder unseres Flugzeugs wieder burmesischen Boden berührt, machte sich auf Helenes und meinem Gesicht ein Grinsen breit: Wir waren zurück, Zuhause! Zuhause in ‚unserem‘ Yangon, auf dessen Straßen keine tausend Mopeds rasen, dafür tausende Taxis; Zuhause bei ‚unseren‘ Longyi-tragenden ‚Landsleuten‘; zuhause in ‚unserer‘ Straße, mit ‚unseren‘ Straßenhunden, Krähen und Gekkos; Zuhause bei unseren Freunden und Arbeitskollegen.
Jetzt verlasse ich dieses Zuhause wieder, freue mich auf das alte und weine, weil ich das neue verlassen muss. Schon komisch, wie sprunghaft Heimatgefühle sind…
Wie auch immer. Zum Abschied wird es Zeit für eine Liste[1]. Eine Liste mit all den alltäglichen und besonderen Dingen, die meinen Aufenthalt in Myanmar so wertvoll gemacht haben:
- Die morgendliche Jogging-Runde durch den Peoples Park, zusammen mit mehreren dutzenden Frühaufstehern, die sich zwischen Palmen und am Fuß der Shwedagon Pagode in der aufgehenden Sonne auf ihre Liegestützen, Meditation oder sportlichen Selfies konzentrierten.
- Die Geheimnisse, Rätsel und Irrationalitäten, denen ich hier begegnet bin. Sie zeigten mir, dass eben nicht jede Faser der Welt von Rationalität durchzogen ist und machten deutlich, dass eine Gesellschaft und Kultur zu komplex ist, um sie gänzlich durchdringen zu können.
- Das Tragen des traditionellen Wickelrocks (Thamein) und dieses Gefühl von eleganter Lässigkeit, das mich jedes Mal überkam, wenn ich mit meiner Lunchbox in der Hand durch Sanchaung zur Arbeit lief.
- Die Mittagspausen mit Helene, Kimberley und Anna in unserem Lieblings-Teashop, wo wir die Sorgen des Büroalltags klein aussehen ließen.
- Das monatliche Straße-Aufräumen zusammen mit der Gruppe von Burmesen, die sich seit Anfang des Jahres trifft, um eine Straße in Yangon von Müll zu befreien und damit mit gutem Beispiel vorangeht.
- Meine Arbeit und meine Arbeitskollegen. Obwohl Arbeit für mich oft Stress und Zeitdruck bedeutete, schätzte ich meine Aufgaben dort und freute mich insbesondere, dass ich mein eigenes, kleines Projekt für das Community-Radio mitbetreuen durfte. Aber noch viel wertvoller ist die Freundschaft, die sich zwischen mir und meinen Arbeitskollegen entwickelte – irgendwie saßen wir alle im gleichen Boot, kämpften gegen Fristen, Bürokratie, Willkür an, und dennoch waren alle herzlich und scheinbar unermüdlich.
- Die unzähligen Märkte, Straßenhändler und -restaurants von Yangon, die mich jedes Mal mit ihrem Angebot an Stoffen, Schmuck, Obst, Gemüse oder anderen Köstlichkeiten wie Sticky Rice oder Samosas lockten.
- All die Menschen, die ich in Myanmar getroffen habe. Egal, ob ich mit ihnen staunend zwischen den Pagoden und Naturwundern des Landes wandelte, unzähmbar tanzend auf den Tanzfloors der Stadt feierte, oder faul im Bett über die Welt philosophierte – alle haben sie meinen Aufenthalt zu etwas Unvergesslichem gemacht.
- Die Pragmatik mit den Verkehrsmitteln: Wenn 4 Personen auf einem Fahrrad, 6 Personen in einem Taxi und 16 in bzw. auf einem Truck saßen, war ich immer wieder fasziniert von der Unkompliziertheit der Fortbewegung.
Und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich mich in Deutschland wieder an Abfahrtszeiten halten soll. - Die Aufregung, wenn mal wieder ein Mikro-Gespräch auf burmesisch gelungen war, zum Beispiel mit der Obstverkäuferin auf dem Weg zu Arbeit, mit der ich bei jedem Orangenkauf versuchte zu plaudern.
- Die Schönheit der Sonnenunter- und aufgänge. Egal, ob über den Dächern von Yangon, den Pagoden von Bagan oder den Gipfelspitzen der Shan-Berge – ihre Schönheit war immer und überall berauschend.
Nun kehre ich in die Gewohnheitssoße zurück, aber sie wird gewürzt sein mit all den Eindrücken, die ich aus dieser Zeit mitnehme!
Jayzudimbadeh! Thwa bi naw!
[1] Eine Liste mit Anspruch auf absolute Unvollständigkeit: Diese Liste wird immer unvollständig bleiben, denn es wird immer etwas Wertvolles geben, das ich (jetzt noch) gar nicht erkannt habe oder nicht in Worte fassen kann.