Nach 34 Wochen kann ich endlich eine gewisse Routine in meinen Wochen feststellen: Montag und Dienstag verlaufen meist ruhig, ich nutze die Zeit um einen Blogeintrag zu schreiben, einzukaufen, Unterricht vorzubereiten,… Mittwoch und Donnerstag werden dann schon etwas ereignisreicher, ich treffe mich mit Freund:innen oder habe sonst irgendwelche Termine. Tja und dann kommt der Freitag und das Wochenende und das ist manchmal bis zur letzten Sekunde unberechenbar.
Ganz ähnlich verlief auch die letzte Woche, abgesehen davon, dass am Dienstag eine neue IDSS-Runde (Internationale Deutschsprechstunden) startete. Meine Gruppe besteht dieses Mal aus drei Schülerinnen aus dem Libanon, Rumänien und Bulgarien und was soll ich sagen, ich habe die Mädels jetzt schon in mein Herz geschlossen. Die erste Stunde haben wir über alles Mögliche gequatscht, sodass die Zeit wie im Flug verging und ich mir wohl ernsthaft Gedanken darüber machen muss, ob es eine Alternative zu Zoom gibt, die nicht auf 40-Minuten Meetingzeit begrenzt ist.
Der Mittwochmorgen war ziemlich entspannt, was vor allem daran liegt, dass ja jetzt einige Stunden wegfallen. Ein wenig vermisse ich die Abiturient:innen, wenn ich ehrlich bin ja jetzt schon…
Dafür war der Nachmittag dann umso ereignisreicher, denn es hieß: Endspurt bei der Jugend debattiert Vorbereitung. Also saßen wir knappe drei Stunden im Café und zerbrachen uns die Köpfe über Kleinschulen, 30-Stunden-Wochen und wie man ein Argument am Ende eigentlich überzeugend formuliert. Mir schwirrte hinterher der Kopf vor lauter Statistiken und Beispielen aber immerhin hatte ich den Eindruck, alle so gut wie möglich vorbereitet zu haben. Unabhängig von den Debattenthemen lautete die wichtigste Frage des Tages aber wohl: Was ziehen wir an? Wir waren uns relativ schnell einig, dass ein Anzug völlig ausreicht und dass man wohl auch eine Jeans anziehen kann (solange sie nicht völlig durchlöchert ist, wie ich dann zur Sicherheit noch hinzufügte). Da meine Auswahl an geeigneten Outfits für das jurieren einer Debatte sowieso begrenzt ist, fiel die Entscheidung recht leicht, wobei ich vor der großen Frage stand, wie ich meine Bluse unzerknittert nach Prag bekomme.
Im Anschluss ging es dann wieder direkt in den Sprachkurs und als ich hinterher todmüde zu Hause ankam, wartete leider ein ungepackter Rucksack auf mich, der bis zum nächsten Morgen noch für unseren Trip nach Prag gepackt werden wollte.
Mit gepacktem Rucksack stand ich am nächsten Morgen pünktlich am Busbahnhof, wo nach und nach auch die Debattanten und Lehrkräfte eintrudelten. (Die Bluse hatte ich übrigens an, das schien mir am Einfachsten). Im Bus selbst besetzten wir dann, ganz wie es sich für Schüler auf einem Schulausflug gehört, die letzte Reihe und die Zeit wurde fleißig genutzt, um nochmal die wichtigsten Argumente zu besprechen und Statistiken zu vergleichen. Für einen kurzen Anflug von Panik sorgte dann das EU-Arbeitsrecht, sodass ich mich den Rest der Fahrt durch diverse Resolutionen und Gesetzesentwürfe quälte. Eine Beschäftigung, die ich keinem empfehle, der nicht ein ausgesprochenes Interesse an Gesetzen und Kenntnisse in Juristendeutsch besitzt.
In Prag angekommen machten wir uns als Erstes auf die Suche nach etwas zu essen. Fündig geworden beging ich den wohl größten Fehler des Tages: Trotz meiner Bluse einen Salat mit Rote Beete zu essen. Zum Glück war ein Waschbecken in der Nähe…
Mit noch leicht feuchter Bluse ging es also weiter zum Hotel (ich tauschte meine Bluse schleunigst gegen ein T-Shirt) und von dort aus schließlich zum Goethe-Institut, wo der Wettbewerb stattfinden sollte. Dort angekommen bestaunten wir als Erstes die grandiose Aussicht die Heinrich Mann angeblich als die schönste Aussicht Europas bezeichnete. Und so ganz unrecht hat er damit nicht…
Während es dann für die Debattant:innen erstmal einen Debattierworkshop gab, trafen wir Juror:innen uns, um uns noch einmal zu besprechen und eine Probedebatte zu jurieren um zu testen, ob wir uns einigermaßen einig über die Vergabe der Punkte sind.
Eine kleine Anekdote am Rande: Beinahe wäre ich im Debattierworkshop gelandet, weil mich die Trainer für eine Kandidatin hielten. Das hat man also davon, wenn man sich zu angeregt mit den Schüler:innen unterhält und nicht merkt, dass sich die Gruppen langsam voneinander trennen.
Nach so viel Arbeit stand endlich das Abendessen auf dem Plan, bei dem ich mal wieder feststellte, dass Vegetarismus in Tschechien noch immer nicht so wirklich angekommen ist, war ich doch die einzige von über 40 Teilnehmer:innen, die eine vegetarische Version benötigte. Immerhin kam mein Essen als erstes, was man so ja auch nicht immer gewöhnt ist und der Abend verging mit Gesprächen über die Rivalität zwischen Prag und Brno, die Frage was oder wer genau ich denn jetzt eigentlich bin (die kleine Verwechslung am Nachmittag hatte wohl doch ein bisschen Verwirrung gestiftet) und die Debattenthemen wie im Flug wobei ich an der Stelle mal ein riesengroßes Lob an meine Schüler aussprechen möchte: Den ganzen Tag über habe ich nicht ein einziges tschechisches Wort von ihnen gehört, egal ob sie sich mit mir oder nur untereinander unterhalten haben. Manchmal hatte ich fast den Eindruck, sie vergessen total, dass sie auch auf Tschechisch miteinander sprechen könnten. Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Schulzeit mal so eine große Begeisterung für eine Sprache gezeigt zu haben.
Zurück im Hotel und endlich in meinem Zimmer angekommen, dass gefühlt schon am anderen Ende von Prag lag, so lange musste ich durch die Flure des Hotels irren, genoss ich die ersten ruhigen Minuten des Tages, bevor mir schließlich die Augen zufielen.
Am nächsten Morgen gab es ein sehr leckeres Frühstück (ich hatte meine Bluse zur Sicherheit noch nicht angezogen und verschüttete natürlich auch prompt meinen Kaffee), bevor wir uns auf den Weg zum Goethe-Institut machten. Bevor wir allerdings dort ankamen, bewahrheitete sich mal wieder die Theorie einer Freundin, dass ich Begegnungen mit Bekannten selbst in Großstädten magisch anziehe. Denn auf halbem Weg zum Goethe Institut begegneten mir plötzlich zwei Schüler aus Brno. Ich habe es nicht nachgerechnet, aber die Wahrscheinlichkeit, zur selben Zeit an der gleichen Ampel im Prag zu stehen, scheint mir verschwindend gering. Wobei, um es mit den Worten der Prager zu sagen: Brno ist nur ein großes Dorf, also ist es nicht so unwahrscheinlich, dass Leute nach Prag kommen und man sich hier trifft…
Im Goethe-Institut angekommen stieg dann meine Aufregung rasant. Nicht, weil ich mir Sorgen um das Jurieren machte (darin fühle ich mich inzwischen ziemlich sicher), sondern weil ich plötzlich die völlig irrationale Panik verspürte, meine Schüler nicht genug vorbereitet zu haben. Umso froher war ich darüber, bei den Debatten nicht zuschauen zu müssen, sondern parallel andere Debatten zur jurieren. Die erste Runde der Debatten verging dann auch wie im Flug und ehe ich es mir versah, standen schon die Debatten am Nachmittag an. Nachdem auch diese vorbei waren, hieß es dann: Punkte zusammenzählen und auf die Ergebnisse warten.
Zur Erklärung: die besten 8 von 16 Debattierenden kommen ins Halbfinale. Als es dann soweit war und die Ergebnisse verkündet wurden, konnte ich vor Aufregung kaum stillsitzen und einen kleinen Freudenschrei nicht unterdrücken, als schließlich zwei „meiner“ vier Schüler weiterkamen und die anderen beiden auch großartige Ergebnisse erzielten. Die Freude der beiden war natürlich noch viel größer, insbesondere weil es für sie nächste Woche schon auf das Siegertraining nach Dresden geht.
Als die ganze Anspannung dann endlich von mir abfiel, musste ich allerdings feststellen, dass ich ganz schön erledigt war. Also schleppte ich mich entlang der Moldau über die Karlsbrücke und fiel schließlich hundemüde in die Straßenbahn, die mich bis zu Jurij brachte, bei dem ich das Wochenende über bleiben wollte. Besonders viel anzufangen war mit mir an diesem Abend nicht mehr, also machten wir es uns mit selbstgebackener Pizza in seiner Küche gemütlich und ich kroch schließlich recht zeitig in meinen Schlafsack.
Deutlich ausgeruhter konnte ich es dann am nächsten Morgen kaum erwarten, Prag noch einmal bei bestem Wetter zu erkunden und wir machten uns durch einen wunderschönen Park, der mich stellenweise beinahe an die Streuobstwiesen und Waldränder bei uns zu Hause erinnerte, auf den Weg zum Petřín, auf dessen Spitze der „Fake Eiffelturm“ thront. Der einzige Unterschied zu den Wiesen bei uns zu Hause war wohl der spektakuläre Blick auf die Prager Burg und die ganze Stadt und die massive Mauer, die die US-Botschaft vom Rest des Parks trennte.
Wieder unten angekommen, stiegen wir auf dem Weg in ein Café erstmal in die falsche Straßenbahn ein, peilten dann ein anderes Café an, und endeten schließlich, weil wir uns auch auf dem Weg zu diesem Café verliefen, in einem ganz anderen Café, dass sich mit seinem Innenhof und dem leckeren Eis aber als wahrer Glücksgriff erwies.
So gestärkt machten wir uns noch auf den Weg zum zweithässlichsten Gebäude der Welt: Den Fernsehturm im Prager Stadtteil Žižkov mit seinen krabbelnden Riesenbabys mit eingedrückten Gesichtern.
Von dort aus ging es mit einem kurzen Abstecher in den Supermarkt schließlich in den Riegrovy Park, wo wir uns gemeinsam mit anderen Freiwilligen bei einem gemütlichen Picknick den Sonnenuntergang anschauen wollten. Diese großartige Idee hatten allerdings nicht nur wir, so dass man beinahe den Eindruck bekommen konnte, die Leute warteten auf eine Kinovorstellung oder Ähnliches, was wir ja in gewisser Weise auch taten.
Als die Sonne schließlich untergegangen war, leerte sich allerdings auch der Park, obwohl es noch erstaunlich warm war. Diese Wärme nutzten wir und blieben, bis es wirklich dunkel wurde und wir uns einig waren, wo wir den Rest des Abends verbringen wollten. Den Vorschlag der Freundin einer Freiwilligen, doch einfach die Nacht durchzumachen, weil sie sowieso früh auf den Bus müsse, tat ich in diesem Moment noch mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
Tja, was soll ich sagen, wir betraten den Club, als er gerade öffnete und unsere Jacken gehörten schließlich mit zu den letzten, die noch an der Garderobe hingen. Da wir es nun schon so weit geschafft hatten und weil wir schrecklich hungrig waren, stromerten wir auf der Suche nach etwas Essbarem durch die Altstadt von Prag, die mir so ruhig und menschenleer und bei Morgendämmerung wirklich gut gefällt. Einzig etwas zu Essen fehlte. Schon einmal in der Altstadt, beschlossen wir, uns auf den Weg zur Karlsbücke zu machen, um dort den Sonnenaufgang zu sehen. Ein Punkt auf meiner Bucketlist, von dem ich bis dato nicht wusste, dass er dort stand. Aber den Sonnenuntergang hinter der Prager Burg zu sehen, im Anschluss die Nacht durchzufeiern und schließlich bibbernd auf der menschenleeren Karlsbrücke zu stehen und darauf zu warten, bis die Sonne endlich hinter den Häusern erscheint, fühlt sich schon stark nach einem „Once in a lifetime“- Moment an.
Das dachte sich wohl auch ein Mann, der uns so frierend an die Mauer der Karlsbrücke gelehnt sitzen sah, sodass er kurzerhand ein Foto von uns machte, dass er mit den Worten „Just a pretty photo.“ quittierte. Eine Begegnung, die dieses sowieso schon leicht surreale Erlebnis noch viel seltsamer machte.
Endlich in Jurijs Wohnung angekommen, es war schon kurz vor 7, legte ich mich nochmal für vier kurze Stunden schlafen, da ich am Mittag schon den Bus zurück nach Brno nehmen musste.
Mein Plan, dort zu schlafen, ging leider nicht so ganz auf, was vor allem daran lag, dass ich dem Busfahrer ab dem Moment nicht mehr traute, als ich ihn dabei beobachten durfte, wie er auf der Suche nach dem nächsten tschechischen Schlager durch YouTube scrollte und mehr schlecht auf recht auf den Verkehr achtete.
In Brno angekommen, blieb mir keine Zeit, nach Hause zu gehen, da kurz nach mir eine Freundin aus Deutschland zu Besuch kam. Endlich!
Also machten wir uns noch gemeinsam auf den Weg in die Stadt, wobei ich mir noch einen Kaffee (den ersten an diesem Tag!) besorgte und wir es uns schließlich jede mit einer Kofola und dem einzigen, für Vegetarier:innen geeigneten tschechischen Nationalgericht, Smažený sýr (gebratenem Käase) in einem typisch tschechischen Restaurant gemütlich machten und auf unser Wiedersehen und die kommenden Tage anstießen.
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