Das Ende meines Freiwilligendienstes in Argentinien rückt nun immer näher. Sogar die einst in so weiter ferner erscheinenden Winterferien sind mittlerweile sehr ereignisreich an mir vorbeigezogen. Weil dies wahrscheinlich mein letzter Blogeintrag ist, möchte ich endlich über ein Thema schreiben, was mir schon länger unter den Nägeln brennt.
Ein Jahr auf der anderen Seite der Erde zu leben, ist doch eine ziemlich lange Zeit. Deshalb beschäftige ich mich gedanklich inzwischen immer mehr mit meiner Rückkehr. Natürlich freue ich mich aufs Zurückkommen, stelle mir aber auch viele Fragen. Wie wird es sein, was wird sich verändert haben? Eine ehemalige Freiwillige meinte, erst in den Wochen danach habe sie bemerkt, was sie alles gelernt habe. Auf diese Erkenntnisse bin ich auch sehr gespannt. Ich werde sicherlich schon bald anfangen zu packen und versuchen, all die schönen Erinnerungen in meine Rucksäcke und die große Reisetasche zu puzzeln, die ich mir hier extra dafür kaufen musste. Wirklich erstaunlich, was sich so alles angesammelt hat.
Einige schöne Erinnerungen stammen von meiner kleinen Argentinien Rundreise vor einer Woche in den Winterferien hier. Die Ferien waren zwei Wochen lang und so hatte ich etwas Zeit, um mir noch ein paar Städte anzusehen. Ich war in San Juan, Tucumán, Resistencia sowie Puerto Iguazú. Von Resistencia aus besuchte ich unter anderem den Nationalpark Ischigualasto (“s” und “ch” werden getrennt ausgesprochen). Ich war in dem Teil des Parks, der “Valle de la Luna” heißt. Es gibt also eine Menge Mondtäler auf der Erde! Das war nun schon mein drittes, nach dem in der Atacama Wüste (Chile) und dem oberhalb von La Paz (Bolivien). Natürlich sind sie alle trotz desselben Namens sehr unterschiedlich. In Ischigualasto gibt es bizarre Gesteinsformationen aus Sandstein. Doch im Vergleich zum Elbsandsteingebirge zu Hause erschienen diese Gebilde sehr bröselig, die Erosion nagt ziemlich an ihnen. Dennoch führt die Autokolonne, an der jeder Besucher teilnehmen muss, zu einigen spannenden Felsfiguren, die seit eh und je Wind, Sonne und Hitze trotzen. Denn Regen gibt es in diesem Teil Argentiniens eher selten. Und so finden sich “el Valle Pintado” (das bunte Tal), “la Cancha de Bochas” (der Kugelplatz), “el Submarino” (das U-Boot) und “ el Hongo” (der Pilz) im Valle de La Luna Argentiniens. Natürlich hätte ich gern mehr Zeit zum Gucken und Staunen gehabt, doch die Nationalparkbeauftragten wollten so viele Touristen wie möglich in den Park lassen. Und so musste auch meine Kolonne einem Zeitplan folgen.
Auch am Ende dieser Reise stand ein Nationalpark, denn ich hatte mir das beeindruckendste für den Schluss aufgehoben: die Iguazú-Wasserfälle im Norden Argentiniens, am Dreiländereck Paraguay-Brasilien-Argentinien. In Puerto Iguazú verbrachte ich dreieinhalb Tage. Somit hatte ich genügend Zeit für alles. Man kann die größten Wasserfälle der Erde sowohl von der argentinischen als auch von der brasilianischen Seite ansehen. Dabei gibt es von der brasilianischen Seite aus einen besseren Überblick, in Argentinien gibt es hingegen mehr Pfade, die auch näher an verschiedenen Stellen führen. Ich war auf beiden Seiten. Zurzeit besitzt der Río Iguazú einen sehr hohen Wasserstand, da wurden wir teilweise pitschnass. Insbesondere “el Gargante del diablo” („der Teufelsschlund”) war sehr beeindruckend. Dort kann man stundenlang am Geländer des Stegs stehen und einfach nur die schieren Wassermassen bestaunen, die eine ganz eigene Dynamik entfalten, wenn sie so tief hinunterstürzen. Einfach nur unfassbar. Wie alles in diesem Nationalpark. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, Fotos zu knipsen, jetzt habe ich viele sehr großartige und sehr ähnliche Fotos auf meiner Speicherkarte.
Am letzten Tag besuchte ich außerdem mit ein paar Leuten aus dem Hostel den Vogelpark im brasilianischen Nationalpark. Dieser nimmt viele Vögel auf, die nicht mehr ausgewildert werden können und beteiligt sich an Artenschutzprojekten. Trotzdem sind natürlich viele Käfige sehr klein. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, sind mir ein paar sehr schöne Bilder gelungen.
Zwischen den Nationalparks wollte ich mir noch ein paar argentinische Städte anschauen. In diesen besuchte ich eine Menge Museen, Parks und diese Kunsthandwerksmärkte, die ich so mag und nach denen ich stets Ausschau halte. Sie eignen sich auch gut zum Erinnerungen einkaufen. Häufig werden diese Märkte auf zentralen Plätzen aufgebaut, die es in vielen Städten Argentiniens gibt. Manchmal heißen diese Plätze “Plaza 25 de Mayo”, benannt nach dem argentinischen Unabhängigkeitstag.
Auf diesen Plätzen, sowie an anderen Orten in den Städten, finden sich häufig Graffitis von weißen Kopftüchern, manchmal mit dem Schriftzug “Nunca más” – Nie wieder versehen. Dies sind die Symbole der “Abuelas de Plaza de Mayo” (Abuelas=Großmütter). Dabei geht es um die Mütter der während der Militärdiktatur Argentiniens 1976-1983 Verschwundenen.
Aber vielleicht von vorn.
Im demokratischen Argentinien der ersten Hälfte der 70er Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage immer weiter. Zudem erschütterten Konflikte zwischen linken und rechten terroristischen Gruppen die Politik. Und so kam es 1976 zu einem Militärputsch unter der Führung des späteren, bis 1981 regierenden Präsidenten Jorge Rafael Videla. Er setzte die damalige Präsidentin Isabel Perón ab. Die Diktatur dauerte bis 1983, als die Wirtschaftskrise immer ernster wurde und Argentinien den Krieg um die Malvinas (Falklandinseln, ohje, böses Wort!) verlor.
Diese Malvinen stiften übrigens auch heute noch Identität, die meisten sind davon überzeugt, dass diese Inseln südöstlich von Lateinamerika eigentlich zu Argentinien gehören.
Die Aufarbeitung und die juristische Verfolgung der Täter der Diktatur wurde vom ersten, nach der Diktatur demokratisch gewählten Präsidenten Raul Alfonsin begonnen. Allerdings sorgte politischer Druck vonseiten des Militärs für die Pausierung der Aufarbeitung. Diese wurde erst 2003 von Néstor Kirchner wieder aufgenommen und dauert bis heute an. Offizielle Regierungsangaben gehen von etwa 10.000 Opfern, Menschenrechtsorganisationen von 30.000 ermordeten Regimegegnern aus. Diese wurden in geheimen Militär-Gefängnissen gefoltert und anschließend während der sogenannten Todesflüge betäubt aus großer Höhe in den Rio de la Plata geworfen.
Da die meisten Oppositionellen junge Studenten waren, gab es unter ihnen auch schwangere Frauen. Diese bekamen ihre Kinder im Gefängnis und wurden dann ebenfalls ermordet. Die Babys wuchsen bei regimetreuen kinderlosen Familien oder Militärfunktionären auf, die manchmal sogar an der Ermordung ihrer Eltern beteiligt waren. Natürlich wissen die heute erwachsenen Kinder nichts über ihre wahre Herkunft, ihre leiblichen Großeltern wissen jedoch um ihre Existenz und suchen ihre Enkel. Es müsste um die 500 Zwangs adoptierte geben. Heutzutage wird die Suche durch Gendatenbanken sehr erleichtert. Allerdings kommt es auch vor, dass die Kinder der Verschwundenen sich fragen, ob sie wirklich gefunden werden wollen. Denn würde dies geschehen, müssten sich die Menschen, von denen sie groß gezogen wurden und die ihnen möglicherweise gute Eltern waren, vor der Justiz verantworten. Andererseits möchten sie natürlich wissen, wer ihre biologischen Eltern waren und ihre Familie kennenlernen. Aufarbeitung birgt also durchaus schwierige Fragen, die es zu diskutieren gilt.
Ja, das war wahrscheinlich mein letzter Blogeintrag aus Argentinien. In drei Wochen bin ich schon wieder zurückgekehrt, dann steht das Nachbereitungsseminar vor der Tür. Vielleicht schreibe ich darüber noch etwas, wenn ich die Zeit dafür finde.