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Ein Ausflug auf die Shangxiajiu Lu

16. November 2011

Die Shangxiajiu Lu (上下九路) ist eine der bekanntesten Einkaufsstraßen in Guangzhou. Sie ist vor allem für ihre Schnäppchen und zum Teil sehr günstigen Preise bekannt – nicht selten weil es Fälschungen sind.

Auf der einen Seite ist die Schangxiajiu Straße typisch Chinesisch. Überall sind bunte, grelle Leuchtreklamen mit Blinklichtern und werben für die unzähligen Geschäfte. Der eigentliche Sinn der Leuchttafeln, nämlich aufmerksam zu machen, geht dabei natürlich verloren. An seine Stelle treten manchmal eher Verwirrung und Nervosität, die durch die ständig zuckenden und wechselnden Farben hervorgerufen werden.
Deshalb haben sich die Ladenbesitzer zusätzlich etwas einfallen lassen: Einfach einen oder zwei Angestellte an die Tür stellen und sie wie Marktschreier alle Angebote und Vorteile dieses Geschäfts rufen lassen. Dazu immer schön im Takt klatschen, damit die Kunden auch ja aufmerksam werden. Nur wird so ein angestellter auch irgendwann müde, wenn er zum tausendsten Mal „买一送一 (mai yi song yi) – Kauf‘ eins, krieg‘ eins geschenkt“ geschrien hat. Dementsprechend enthusiastisch hört sich dann natürlich auch seine Stimme an. Das größte Problem aber, die anderen Läden haben sich das auch überlegt. So läuft man die kilometerlange Straße entlang und vor jedem Laden wird im Takt geklatscht und der gleiche Satz immer und immer wieder in einer monotonen, einschläfernden Art und Weise heruntergerattert.
Kommt dann ein Ausländer wie ich entlanggeschlendert, bekommt dieser sofort „Hello, hello Sir. Welcome. Come in, come in“ zu hören. Manche lassen nicht locker, stellen sich in den Weg und versuchen einen richtig energisch in den Laden zu kriegen. Am Anfang hat mich das wahnsinnig gemacht, vor allem weil ich mich „gemütlich“ umsehen und für mich sein wollte. Letztendlich war ich total gestresst und bin immer nur von einem zum nächsten Laden gehetzt. Mittlerweile habe ich mich aber ziemlich an die Verkäufer, das Geklatsche, die Lautstärke, das Anschauen der Leute und die Menschenmassen gewöhnt. Sogar der Gestank des Tofu, der auf eine bestimmte Art zubereitet wird und als Delikatesse gilt, haut mich nicht mehr ganz so um. Im Westen ist das Gericht als „stinkender Tofu“ bekannt, ziemlich treffend meiner Meinung nach. Als ich ihn das erste Mal gerochen habe, dachte ich es sei der Geruch von Fäkalien aus der Kanalisation. Dann sagte man mir aber, dass es vom Tofu kommt. Auch wenn ich den „Geruch“ jetzt kenne, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn in naher Zukunft, oder überhaupt einmal probieren werde…Aber wie heißt es doch so schön: „Probieren geht über studieren.“ Vielleicht gebe ich mir ja mal nen Ruck.

Auf der anderen Seite ist die Straße total Westlich. Überall findet man McDonald’s, KFC, Pepsi, Nike, Adidas, usw. Die Produkte, die verkauft werden, könnten größtenteils auch in den Regalen unserer Kaufhäuser und Geschäfte stehen. Aber eigentlich ist die Betrachtungsweise falsch. Weil eigentlich werden „unsere“ Produkte genau dort produziert. Warum ist es also so komisch, wenn sie auch dort verkauft werden wo sie herkommen? Es ist eigentlich sogar ziemlich logisch, meiner Meinung nach. Da merkt man erst aus welch verschiedenen Perspektiven die Welt betrachtet wird. Das Interessante dabei ist, dass ich zwischen den beiden Perspektiven bin und diese sich für mich  zu einer Neuen mischen.
Auf dem großen Bildschirm am Hauptplatz der Straße werden Nachrichten gezeigt, ein Beitrag über eine chinesische Stadt wird gezeigt. Im nächsten Moment lächelt mich unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel, die eine Pressekonferenz im Bundeskanzleramt gibt, von der überdimensionalen Leinwand an. In der Werbepause wirbt Mercedes-Benz für die neue S-Klasse und den hervoragenden Service. Unten links wird währenddessen „年125汽车发明! – 125 Jahre Erfindung des Automobils!“ eingeblendet. Ich muss zugeben, so fernab der Heimat schlägt dann mein deutsches, aber vor allem auch baden-württemberger Herz höher. In Stuttgart steht zwar das Mercedes-Benz-Museum, dass das Auto im Ländle erfunden wurde wissen eigentlich auch die Meisten. Aber was das wirklich heißt, welche Bedeutung diese Erfindung für die Welt hat und wie sie sie verändert hat merkt man erst richtig, wenn man über 9000km entfernt in einer chinesischen Stadt auf einem Platz steht und Werbung für ein Auto sieht, das ein paar Kilometer vom eigenen Heimatort entfernt gebaut wird und das Symbol für den Wohlstand in der Region und in ganz Deutschland darstellt.

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