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„No eres de Fray?“ (Die ersten Wochen in unserer Einsatzstelle)

Die Rambla am Abend beim Matetrinken

Seit etwas mehr als zwei Wochen sind Amira und ich schon in Fray Bentos, der Hauptstadt des Departemento Río Negro in Uruguay, denn hier befindet sich unsere Einsatzstelle: Das Museum der Industriellen Revolution, welches seit 2015 auch als UNESCO-Weltkulturerbestätte gilt.

Mealprep für die Arbeit: Brot mit Avocado und Tomate

Nach unserer ca. 3-stündigen Busfahrt hat der Museumdirektor uns von der Busstation abgeholt und uns kurz in unsere Wohnung übergesetzt. Dort angekommen mussten wir uns erstmal ein wenig akklimatisieren, denn sie war in deutlich schlechterem Zustand als angenommen und des Weiteren ziemlich dreckig. Unsere erste Herausforderung war es also, auf Spanisch mit der Vermieterin zu diskutieren und eine Reinigung und Reparatur des Fensters zu bekommen, was uns jedoch auch mehr oder weniger gut gelungen ist: Inzwischen regnet es nicht mehr rein, aus dem Loch in der Wand kommen keine Spinnen mehr und so sauber, wie die Wohnung jetzt ist, schaut sie eigentlich ganz ansehnlich aus.

Der Blick von unserem Dach

Außerdem ist der Weg zur Arbeit nicht weit, so dass wir jeden Dienstag bis Samstag (Sonntag und Montag haben wir – meistens – frei) morgens entspannt 25 Minuten zum Industriegelände gehen können – direkt an der Rambla entlang und mit wunderschönem Blick auf den Fluss, an dessen anderem Ufer man bereits die Lichter aus Argentinien sieht.

Insgesamt ist die Stadt mit seinen ca. 25.000 Einwohner*innen zwar recht klein, aber auch wirklich hübsch mit einigen schönen Parkstücken, Uferpromenaden, zwei Häfen und interessanten Gebäuden. Außerdem ist so alles in Gehweite: Der Supermarkt (in dem es Avocado für 13ct, aber auch Hummus für 8€ gibt), das Ufer, das Fitnessstudio und auch die Sporthalle, denn ich habe es tatsächlich – entgegen vorheriger Erwartungen – geschafft, eine Volleyballgruppe zu finden. Leider wird zwar nur einmal

Meine neue Volleyballmannschaft

die Woche trainiert, doch dafür erinnert sie mich sehr an mein Hobby-/Mixed-Training von Zuhause – abgesehen natürlich von der Tatsache, dass ich kaum ein Wort verstehe. Denn während mein Spanisch zwar reicht, um mich auf der Arbeit und in direkten Gesprächen zurechtzufinden, ist es doch etwas vollkommen anderes, wenn in einer Halle mit 30 Menschen alle durcheinander schreien und sich übereinander lustig machen – spaßhaft zwar, aber mit einem Vokabular, das man nicht unbedingt in der Schule lernt.

Amira auf dem Weg von unserem Wohnungsdach

Abgesehen davon sind unsere sozialen Kontakte sehr von unseren Arbeitskollegen geprägt (vor allem von Nicolas, der uns auch manchmal so Events mitnimmt oder hinfährt), außerdem von den Grundschulkindern, die wir auf einer Führung kennengelernt haben und die uns jetzt immer hinterherrennen, wenn wir sie wieder sehen, und einer Gruppe von Studierenden der UTEC – der technischen Universität, die uns mehr oder minder in ihren Kreis mitaufgenommen haben.

Auf der Arbeit selbst haben wir zwar hin und wieder Leerlauf, meistens findet sich aber gut etwas zu tun – wenn nicht für Führungen und Recherchen selbst, dann für eine der anderen Aktivitäten, die hier stattfinden, denn das Museumsgelände fungiert auch als Veranstaltungsgelände für Tanzkreise, Schachturniere oder andere Events s, außerdem befinden sich hier auch ein Boxring, ein Labor und ein Hafen.

Unser Mitarbeiter Nico auf dem Dach der Kühlkammern

Besucher*innen der regulären Führung des Museums sind neben Schulklassen, die man immer gut an ihren weißen Kitteln und teilweise den marineblauen Schleifen erkennt, auch einige Europäer*innen, vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden oder sonst woher. Für sie wird die Tour auch auf Englisch angeboten – eine Aufgabe, die Amira und ich vielleicht auch bald übernehmen werden.

Ein Highlight war auch der Día del Patrimonio (Tag des Denkmals), der dieses Wochenende stattgefunden hat, und im Museum mit einem Weintasting gefeiert wurde. Klingt erstmal unpassend, tatsächlich hat der Wein in Uruguay jedoch nicht nur aktuell Jubiläum und lange Tradition, sondern war auch prägend für die Immigrations- und Industriegeschichte des Landes – genau wie die LEMCO (Liebig Extract of Meat Company), also die Fabrik, auf dessen ehemaligem Gelände das Museum heute steht. So wirklich begeistert, Samstag und Sonntag dafür zu arbeiten waren Amira und ich zwar anfangs nicht, aber alles in allem war es eine wirklich lustige Erfahrung und wir haben einige interessante Gespräche führen können – und das ein oder andere Gleis Wein gesponsert bekommen.

Caballos! (Pferde!)

Weitere Besonderheit des Museums, bzw. der ganzen Stadt, sind die Tiere. Und damit meine ich nicht die bunten Vögel (von denen gibt es zwar auch genug, vor allem die grünen Papageien und Rotschopfangaren sind selten zu überhören) oder die Schlangen (bisher haben wir nur zwei sehr kleine Exemplare gesehen), sondern vor Allem die Pferde und Hunde, die weder über Halsband und Halfter, noch über Leine und Strick verfügen, und frei in der Stadt herumlaufen. Auf dem Industriegelände grast eine ganze Herde, durch die man immer durchlaufen muss, wenn man zum Casa Grande (einem anderen Ausstellungsraum) möchte.

Anscheinend ist es typisch für die Region, seine Tiere einfach umherstreunen zu lassen und davon auszugehen, dass sie wiederkommen.

Blick über das Fabrikgelände

Diese Mentalität – es tranquil, also langsam angehen zu lassen und davon auszugehen, dass schon alles gut wird – ist generell recht bezeichnend für diese Stadt, in der weder wirklich viel noch wirklich wenig passiert und jeder einen direkt darauf anspricht, wenn man Deutsch redet. „No eres de aqui?“ (Du bist nicht von hier?) oder „No eres de Fray?“ (Du bist nicht aus Fray / Fray Bentos?) sind Sätze, die ich fast täglich höre und die gewissermaßen auch zu den Sätzen passen, die ich selbst am häufigsten sage: „Qué?“ (Was?/Wiebitte?), „Otra vez, por favor“ (Sag das noch mal, bitte), „Puedes repertirlo/explicarlo?“ (Kannst du das wiederholen/erklären?) und „No sé/entiendo“ (Ich weiß es nicht / Ich verstehe es nicht). Denn dass das Spanisch hier vor Ort ganz anders klingt, als in Spanien oder den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern war mir zwar klar, aber gerade der breite Dialekt unseres Kollegen Mica, oder der Slang des Jugendlichen stellen mich täglich vor Herausforderungen. Herausforderungen wohlgemerkt, die durchaus zu meistern sind und bei denen ich dann doch Vertrauen in mich und meine Mitfreiwilligen habe, dass wir sie überwinden werden.

In diesem Sinne lässt sich wohl zusammenfassen, dass ich nicht nur gut angekommen und mich eingelebt habe, sondern dass ich auch schnell mehr über diesen Ort und seine Sprache lerne und davon ausgehe, noch viele weitere spannenden Menschen kennenzulernen.

Der Hafen von Fray Bentos

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