Am 1.9.2024 hieß es für 261 „kulturweit“-Freiwillige: Auf nach Brandenburg an den Werbellinsee.
Mit insgesamt sechs Taschen, sehr ungeordneten Gedanken und einem mehr oder weniger korrekten Zugticket haben Julius und ich uns morgens in Düsseldorf von unseren Familien verabschiedet und uns in den ICE nach Berlin gesetzt. Durch die obligatorischen zwei Stunden Verspätung wurden wir zwar nicht von den Shuttlebussen abgeholt, das Problem hatten aber noch genug andere Freiwillige, sodass wir immerhin erste Kontakte knüpfen konnten.
Auf dem Seminargelände angekommen wurden wir nach Ländern in „Homezones“ eingeteilt: Wir Uruguay-Freiwilligen waren in einer Gruppe zusammen mit denen, die nach Brasilien gehen. Dort habe ich auch das erste Mal meine zukünftige Mitbewohnerin Amira in Person kennengelernt und mich über unsere Einsatzstelle ausgetauscht.
Die ersten Tage waren vor allem geprägt von gruppenbildenden Maßnahmen (erstaunlich viele Spiele, die ich auch schon mit den Fünftklässler*innen meiner Patenklasse gespielt habe), Kennenlernrunden und der Vorstellung von Erwartungen und Ängsten (von beiden gab es genug).
Auch inhaltlich wurde natürlich viel gearbeitet: Zu Wahrnehmung, Kultur und Vorurteilen, zu Verhalten im Notfall, zu Versicherung und Sicherheit, zur UNESCO und zu den Nationalkommissionen, zu globalen Machtzusammenhängen, zum fairen Berichten und differenzierten Perspektiven.
Des Weiteren wurden Reflexionsräume angeboten, speziell zur Betrachtung der eigenen Position im Freiwilligendienst.
Highlight für soziale Beziehungen waren natürlich die Workshops: Nicht nur Beachvolleyball, Korbflechten und Diskussionsräume, sondern vor allem auch „Theater der Unterdrückten“ und ein Kurs über Capoeira, einen brasilianischen Kampftanz, stießen auf großen Anklang. Dabei handelt es sich um eine afro-brasilianische Kunstform, die Kunst, Musik, Akrobatik, Geschichte, Training, Kampf und Gemeinschaft verbindet und mit traditioneller Trommelmusik begleitet wird. Seit 2014 gehört Capoeira zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO, wie inzwischen übrigens auch die Berliner Techno-Szene oder Reggae in Jamaika.
Vorgestellt wurde der Kurs von Jerô, unserem Homezone-Teamer, der eine Capoeira-Schule in Dresden besucht.
Lustigerweise habe ich zwei Leute getroffen, die ich vorher schon kannte: Ein Mädchen aus meiner Stadt und einen Jungen, den ich vor zwei Jahren in einem Volleyballcamp getroffen hatte.
In unterschiedlichen Gruppen haben wir Doppelkopf, Tischtennis und Beachvolleyball gespielt, Karaoke gesungen, sind im See schwimmen oder einfach zusammen spazieren gegangen und haben über all das geredet, was uns bevorsteht: sechs, bzw. zwölf Monate im in- oder außereuropäischen Ausland, eine eigene Wohnung, eine 40h-Woche, Sprachbarrieren, vielleicht etwas Heimweh und viele neue Erfahrungen, von denen alle spannend, aber nicht alle einfach sein werden.
Wie sich das für eine Gruppe Jugendlicher in der letzten Woche in der Nähe von Zuhause gehört wurde natürlich auch gefeiert, getanzt, gelacht, gesungen und – man munkelt – auch ein bisschen getrunken, Kontaktdaten ausgetauscht, von den Heimatstädten berichtet, zusammen musiziert und endlich realisiert, dass es für uns jetzt wirklich losgeht, dass unser Freiwilligendienst kein Hirngespinst oder Geschehnisse in ferner Zukunft ist, sondern dass er in einigen Tagen beginnt.
Vor allem, als es dann am Samstag hieß, Abschied zu nehmen und sich entweder für sechs Monate, zwölf oder potentiell auch länger nicht mehr zu sehen, wurden alle, mit denen mal zu tun gehabt hatte (um alle richtig kennenzulernen waren wir deutlich zu viele, aber zumindest von den anderen Südamerikafreiwilligen müsste ich inzwischen alle Namen und Einsatzorte kennen) einmal fest umarmt und dann „in die Freiheit entlassen“, wie man so schön sagt.
Am letzten Abend vorm Flug ging es dann für meine Mitreisenden und mich noch einmal durch Berlin und danach ins Bett, um am nächsten Tag nach Frankfurt zu fahren. Von dort aus ging der Flieger über São Paulo nach Montevideo. Über den Flug würde ich gerne mehr berichten, aber einerseits war es extrem nebelig, sodass man nicht viel gesehen hat, und zum anderen habe ich die meiste Zeit auch durchgeschlafen, weshalb ich das meiste ohnehin nicht mitbekommen hätte.
Gerade, während ich diesen Text schreibe, sitze ich in Montevideo und gehe durch die Fotos der Seminarzeit und reflektiere diese eine Woche, die es für mich schon als solche Wert war, den Freiwilligendienst zu starten.
Ich hoffe, dass alle anderen genauso gut angekommen sind, wie wir in Montevideo (worüber in naher oder ferner Zukunft auch noch berichtet werden wird) und freue mich jedes Mal, wenn ich Bilder aus Argentinien, Kroatien, Namibia oder anderen Teilen der Welt sehe, die gerade von neuen Freund*innen und diversen Bekanntschaften bereist werden.
Wir haben schon jetzt unser eigenes kleines Netzwerk und mit den anderen Freiwilligen, die in Südamerika (v. A. Argentinien, Uruguay, Paraguay, Brasilien, Bolivien, Peru und Kolumbien) eine eigene Gruppe, um Urlaube und eine gemeinsame Weihnachtsfeier zu planen.
Wie gut wir inhaltlich auf unser FSJ vorbereitet sind, das kann und will ich noch nicht sagen, aber emotional behaupte ich jetzt einfach mal, bereit zu sein – und wenn nicht, dann kann man daran auch nichts mehr ändern und das wird auch funktionieren, ich bin da an sich recht optimistisch. Vamos arriba und so, es ist alles gut und es geht aufwärts.