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Hier lebe ich

Neues Zuhause

Ich teile mir eine Wohnung mit drei weiteren deutschen Freiwilligen. Sie ist zu groß, zu teuer, zu luxuriös für nicht mehr als ein paar Studenten. Wobei wir ja eigentlich noch nicht einmal das sind, noch nicht zumindest. Und trotz des Überflusses liebe ich unsere Wohnung, denn sie liegt zentral und das bedeutet Sicherheit, einfachen Zugang zu allerlei Dingen.

Um ehrlich zu sein, macht mir der Gedanke, mit anderen Leuten zusammenzuleben, ein Haus, eine Küche, ein Wohnzimmer zu teilen, Angst. Wobei Angst vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist, ist es doch eher ein allgegenwärtiges Gefühl der Ungewissheit. Ich weiß nicht was mich erwartet wenn ich jeden Tag nach Hause komme. Ich weiß nicht, welche Seiten von Menschen sich noch zeigen werden, die bisher verborgen geblieben sind.

Es ist nicht das erste mal, dass ich mit anderen Leuten zusammenlebe. Immerhin habe ich die letzten zwei Jahre ein kleines Zimmer mit drei anderen Schülerinnen geteilt. Jetzt teile ich eine ganze Wohnung, in der jeder sein eigenes Zimmer hat, mit drei Leuten. Es ist mehr Freiheit als ich jemals zuvor hatte, aber mehr Freiheit bedeutet mehr Risiko. Mehr zu verlieren. Denn dieses Mal gibt es kein Sicherheitsnetz, keinen einfachen Weg hinaus. Wenn unser Zusammenleben nicht funktioniert, bin ich auf mich allein gestellt. 

Gänzlich auf mich allein.

Ich kann nicht einfach Zimmer oder Gastfamilie wechseln, wobei selbst das nie einfach war. Und dennoch, zwischen den Sorgen und Ängsten liegen Erinnerungen an fröhliche Augenblicke verborgen. Eine geteilte Wohnung bedeutet Gemeinschaft, ein Gefühl von Familiarität, wenn man nach Hause kommt und das ist in der Ferne unendlich viel Wert.

Ausblick aus meinem Fenster bei Sonnenuntergang

Ankunft

Bereits ausgelaugt und erschöpft vom Vorbereitungsseminar und dringend nötigem Packen auf den letzten Drücker, habe ich fast den gesamten Flug über Russland Richtung Ulaanbaatar verschlafen. Aber einmal am neuen Dschingis Khan Flughafen angekommen, ist meine Energie auch langsam wieder zurückgekehrt. Der Flughafen liegt außerhalb der Stadt und wurde erst letztes Jahr zu Ende gebaut. Die Passkontrolle verlief deutlich schneller und unproblematischer als erwartet. So stand auch schon bald unsere Gruppe von zehn Leuten gemeinsam bei der Gepäckausgabe, was dann wiederum lange gedauert hat. Nachdem das gesamte Gepäck endlich eingesammelt war, haben wir uns alle in kleine Grüppchen aufgeteilt beziehungsweise teilweise gänzlich allein auf die Suche nach unseren Ansprechpartnern gemacht. 

Drei andere Deutsche und ich, die allesamt verschiedenen Goethe-Pasch Schulen zugeteilt wurden, haben auch schon bald Beree gefunden. Sie arbeitet direkt fürs Goethe-Institut in Ulaanbaatar und ist für uns zuständig. An dieser Stelle meinen herzlichsten Dank an sie für die Hilfe, die sie uns bei der Visumsbeantragung und allen anderen Vorbereitungen geleistet hat! Sie hat uns zu einem kleinen Bus geführt, denn sie für die Fahrt vom Flughafen in die Stadt gemietet hat und nachdem die Fahrer uns beim Gepäckverstauen geholfen haben, ging es auch schon los.

Wir haben die nächste Stunde damit verbracht, durch die ländliche Gegend der Mongolei Richtung Metropole zu fahren. Und eins schonmal vorweg über die Landschaft in der Mongolei: Sie ist endlos. Ihr haftet etwas Unwirkliches, schwer zu beschreibendes an. Das einzige, was ich jemals in meinem Leben gesehen habe, was auch nur ansatzweise mit den Ausmaßen der hiesigen Steppe vergleichbar ist, ist der Nationalpark Pali Aike im Süden Chiles. Auch dort verliert sich der Blick in der scheinbar nie endenden Natur in ihrer Ursprungsform. Aber selbst Chile kann nicht mit der immensen Größe der Mongolei mithalten. Doch trotz ihrer gigantischen Größe ist das Leben in der Mongolei an einem einzigen Ort zentriert: Ulaanbaatar, der kältesten Hauptstadt der Welt.

Etwa die Hälfte der Bewohner des Landes leben in der Hauptstadt und von den ländlichen Gegenden in die Hauptstadt zu immigrieren ist nicht länger erlaubt, zumindest nicht offiziell. Ursprünglich musste jeder, der vom Land in die Stadt ziehen wollte, eine ordentliche Summe Geld zahlen, welche die Exklusivität und damit das langsame Wachstum der Hauptstadt sicherte. Doch nach Beschwerden über diese Praktik in Bezug auf Menschenrechte wurde die Gebühr abgeschafft und die Hauptstadt förmlich von Einwanderern überschwemmt, was letztendlich dazu geführt hat, dass heutzutage niemand mehr hierher ziehen darf.

Bald deutete der zunehmende Verkehr bereits auf die Nähe zur Stadt hin und ehe man sich versah, fanden wir uns in einer Wolke aus Smog wieder. Die Hauptstadt ist eine einzigartige Mischung aus Moderne und teilweise fehlender Infrastruktur. Sie wächst zu schnell. Bereitet sich uneingeschränkt immer weiter aus. Die inoffiziellen Jurtenviertel, welche an den Rändern der Stadt als Ergebnis des Immigrationsverbots entstanden sind, sind der beste Beweis dafür, dass Leben Einhalt zu gebieten nahezu unmöglich ist. 

Die Bürgersteige sind in manchen Gegenden der Stadt durchzogen von Rissen, während sich nicht einmal 15 Minuten weiter weg saubere, grüne Parkanlagen erstrecken. Ultramoderne Hochhäuser liegen grauen Betongerippen zukünftiger Gebäude entgegen. Obwohl die Einwanderung nach Ulaanbaatar durch ihr offizielles Verbot verlangsamt wurde, hat die Stadt sich noch nicht an die Massen an Menschen angepasst, die in ihr leben.

Erste Überlegungen

Meine Gedanken der letzten paar Wochen verschwimmen langsam. Sie werden zu nicht mehr als einer Sequenz von zu schnell abgelaufenen Ereignissen. Vor etwas mehr als einem Monat war ich noch auf einer kleinen Farm in der Mitte vom Nirgendwo in New York. Nun bin ich am anderen Ende der Welt. Manchmal ist es schwer, es zuzugeben, aber insgeheim habe ich immer gehofft, hierherzukommen, in die Mongolei.

Ich glaube, meine ursprüngliche Scheu davor, zu sagen, dass ich in die Mongolei gehe, rührt daher, dass in Deutschland der Begriff “Mongolei” ein Wort ist, dessen eigentliche Bedeutung oftmals schwer zu erfassen ist. Natürlich gibt es ab und zu Leute, die von der endlosen Steppe, den Jurten, den Nomaden und Dschingis Khan gehört haben. Mit etwas Glück sagt der Name “Ulaanbaatar” auch noch jemandem etwas. Aber viel mehr als der Name der Stadt ist den meisten Leuten auch nicht bekannt. Die supermoderne Stadt, welche das Herz des Landes bildet, wird oftmals übersehen. Wie kann man dies auch irgendwem verübeln, wo es doch tausende von Städten weltweit gibt. Zu viele, um sie alle mit Namen zu kennen. Das eigentliche Problem liegt darin, dass Leuten nicht bewusst ist, was sich innerhalb dieser Stadt befindet. Die riesigen Malls, die Märkte und die mit Unmengen an Autos, die trotz eigentlichem Rechtsverkehr oftmals auch Lenkräder auf der linken Seite haben, gefüllten Straßen. Es ist schwierig, Menschen die moderne, globalisierte Seite der Mongolei zu zeigen, wo doch das in Deutschland verbreitete Bild des Landes oftmals so anders ist.

Ich habe das Glück, die letzten zwei Jahre in einer unglaublich diversen Gemeinschaft gelebt zu haben, in der Leute oftmals mehr als nur die gängigen Stereotype über andere Länder kannten. In Deutschland ist dies allerdings oftmals nicht der Fall, schließlich ist unsere Bildung trotz allem auf Europa fokussiert. Dementsprechend waren auch die Reaktionen, die ich erhalten habe, als ich Leuten erzählt habe, dass ich in die Mongolei gehe, mehr als durchmischt. Manche haben sich gefreut, aber andere reagierten besorgt und leicht befremdet. Es gab Leute, die keinen Sinn in meiner Entscheidung finden konnten.

Es ist schwierig, Leute zu überzeugen, dass das Bild, welches sie ihr ganzes Leben lang von einem Land gehabt haben, fehlerhaft ist. Insbesondere wenn man selbst nie in besagtem Land war. Natürlich kann man sie mit Fakten und Bildern aus dem Internet überschütten, aber man kann ihnen nicht persönlich das Gegenteil beweisen. Man hat keine persönlichen, emotionalen Erlebnisse aufzuweisen, welche ihnen das Gegenteil aufzeigen. Menschen glauben nicht immer an Vernunft, wir brauchen emotionale und instinktgesteuerte Geschichten und nun, da ich hier bin, kann ich diese endlich vorweisen. Ich kann meine eigene Geschichte über die Mongolei erzählen, voller Ungewissheit, aber auch voller Glück und freudigen Geschehnissen.