Erste Arbeitstage

Ich habe zwölf Jahre meines Lebens damit verbracht zu hoffen und beten, dass meine Zeit in der Schule endlich ein Ende findet, nur um mich jetzt – nicht einmal ein halbes Jahr nach Erhalt meines Abschlusszeugnisses – erneut in einer Schule wiederzufinden. Irgendwie schon ein bisschen ironisch, oder?

Um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich auch gar nicht an einer Schule arbeiten. Während meiner Bewerbung habe ich so ziemlich alles, was nicht in die Kategorie Schule fällt, als Erstwahl angegeben. Selbst ins Archäologische Institut in der Mitte vom nirgendwo wäre ich lieber gegangen und das obwohl ich Geschichte bereits vor drei Jahren abgewählt habe.

Es ist nicht einmal so, dass ich irgendwie eine Abneigung gegenüber Kindern habe, ganz im Gegenteil, ich spiele gerne mit ihnen. Ich bin nur nicht einmal ansatzweise hierfür qualifiziert. Meine geheime Hoffnung war, mein FSJ wie ein Praktikum zu behandeln und bei einer Einsatzstelle wie der Deutschen Welle praktische Erfahrungen zu sammeln, anstatt selbst in die Rolle einer Lehrenden zu schlüpfen. Ich habe mich schließlich die letzten zwei Jahre nahezu gänzlich auf Englisch verständigt und außerdem kann ich auch, egal in welcher Sprache, immer noch keine Kommas richtig setzen. Klar bin ich deutsche Muttersprachlerin, aber ausgebildet um anderen beim Erlernen der Sprache zu helfen, bin ich trotzdem nicht.

Aber andererseits frage ich mich manchmal, wer überhaupt für seinen jetzigen Beruf qualifiziert ist. Dies ist keineswegs abwertend gemeint, aber welcher Student erinnert sich zum Zeitpunkt seiner Bachelorarbeit noch an die Kursinhalte seines ersten Semesters an der Uni? Mein Vater hat eigentlich einen Doktor in Meeresbiologie, aber arbeitet jetzt für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn im Bereich des Projektmanagements in Zusammenarbeit mit Afrika. Mit seinem eigentlichen Studium hat das also eigentlich eher weniger zu tun und nichtsdestotrotz funktioniert es und zwar gut.

Ich glaube, mit der richtigen Unterweisung kann man vermutlich alles mögliche hinkriegen, selbst ohne die nötigen Qualifikationen auf Papier. Das einzige was wirklich zählt ist den richtigen Eindruck zu hinterlassen und dem Gegenüber irgendwie zu vermitteln, dass man genau weiß was man tut, selbst wenn dies nicht ferner von der Realität sein könnte. Und so habe ich die ersten paar Tage auf Arbeit damit verbracht sämtliches Allgemeinwissen, was ich mir in meinen 18. Lebensjahren angeeignet habe, darauf zu verwenden, ein nahezu makelloses Bild meiner selbst zu kreieren oder es zumindest zu versuchen.

Schritt Nr. 1: Professionell aussehen

Ihr habt vermutlich alle schon mal die Redewendung „Kleider machen Leute” gehört und ich gehöre zu den Leuten, die der festen Ansicht sind, dass das stimmt. An dieser Stelle an die Leute die ich kenne: Bevor ihr alle heimlich anfangt zu schmunzeln, mir ist durchaus bewusst, dass ich einen bedeutenden Teil meiner Zeit in Jogginghosen und irgendwelchen zu großen T-Shirts verbringe, aber man kann ja zumindest versuchen sein Verhalten zu ändern. Denn die vermutlich erste Sache, die mir in Ulaanbaatar aufgefallen ist, ist, dass ausnahmslos alle und zwar wirklich alle schick angezogen sind. Selbst die Leute im Supermarkt wirken dank Make Up und immerzu gestylten Haaren auf eine mühelose und natürliche Art elegant. Also habe ich beschlossen, Teil von ihnen zu werden oder zumindest genug Arbeit in mein Erscheinungsbild zu stecken, um nicht allzu sehr aus der Masse herauszustechen. Schließlich ist als 18. Jährige ernst genommen zu werden auch ohne Leggings und übergroße Pullis schon schwierig genug. Und zumindest für die ersten paar Tage hat meine Motivation, mich etwas schicker anzuziehen, auch gehalten und schließlich ist es letztendlich ja auch vor allem der erste Eindruck, der zählt.

Schritt Nr. 2: Lächeln, lächeln und noch mehr lächeln

Ich habe mich ja eben bereits einer Redewendung bedient und genau dasselbe werde ich jetzt wieder tun, wobei der Ausdruck „Stur lächeln und winken” nicht ganz so eine alteingesessenen gesellschaftliche Herkunft hat, sondern aus der Zeichentrick Serie “Die Pinguine aus Madagascar” für kleine Kinder kommt. Lächeln und Winken ist jedenfalls genau das, was ich an meinem ersten Tag als Lehrerinnenassistentin getan habe oder wie auch immer man meinen Job jetzt letztendlich nennen will. Ich glaube, ich habe es so letztendlich auch geschafft, ganz nett zu wirken.

Schritt Nr. 3: Einfach nur zuhören

Wenn du selbst absolut nichts weißt, dann willst du vermutlich auch nicht in einer Position sein, wo du auch nur ansatzweise etwas erklären musst und deshalb ist Tipp Nr. 3 zuhören und andere Leute das Reden übernehmen lassen. Alles was du tun musst ist so lange warten, bis sie irgendetwas erwähnen wovon du auch nur ansatzweise Ahnung hast und es als Anker benutzen, um dann schnell eine einfache Nachfrage stellen und meistens hast du sie dann dazu gebracht weiterzureden und wirkst trotz minimalem Aufwand nicht gänzlich dumm.

Das ist jetzt zwar nur eine sehr stark vereinfachte Theorie und natürlich gibt es im echten Leben zig tausend Variablen, aber trotz allem ist mein erster Tag in der Schule außerordentlich gut verlaufen. So gut, dass ich am Ende vor mich hin grinsend mit einem Blumenstrauß in der Hand nach Hause gelaufen bin. Die Blumen stehen übrigens, obwohl schon lange verwelkt, immer noch in meinem Zimmer rum. Das liegt allerdings weniger an ihrer emotionalen Bedeutung, sondern vor allem an einer gewissen Trägheit meinerseits

Montag verlief deutlich ereignisloser und ich habe letztendlich den gesamten Tag damit verbracht, der Lehrerin von einem Klassenzimmer zum nächsten hinterherzulaufen, nur um dann ganz hinten im Zimmer zu sitzen und auf das Ende des Tages zu warten. Mehr als ein paar Worte habe ich an dem Tag mit den Schülern nicht gewechselt. Aber ein langweiliger Tag ohne Katastrophen ist immernoch ein erfolgreicher Tag.

Dann begann am Dienstag mein erster richtiger Arbeitstag. Da eine aktive Mithilfe meinerseits am Unterricht wohl nicht effektiv gewesen wäre, hat die Lehrerin ein Konzept entwickelt, welchem zufolge immer eine kleine Gruppe Schüler von der eigentlichen Klasse getrennt wird und mit mir gemeinsam spielerisch Deutsch übt. Ziel dahinter war ihr zufolge vor allem, dass die Schüler auf Deutsch sprechen üben, da dies im sonstigen Frontalunterricht oft zu kurz kommt.

In Bezug auf irgendwie so wirken, als ob man auch nur die geringste Ahnung von irgendwas hat, war dies definitiv der schwerste Tag. Denn essentiell bestand er eigentlich nur aus auf der Stelle improvisieren, aber somit war er auch der interessanteste Tag, was Erfahrungen angeht. Ich habe nämlich zum ersten Mal meine Beobachterrolle verlassen und direkt mit den Schülern zusammengearbeitet. 

Die Schüler selbst sind unglaublich. Sie sind neugierig, motiviert, aufgeschlossen und tierisch intelligent. Sie haben mir ein traditionelles mongolisches Spiel beigebracht, bei welchem Knochen über den Boden geschnipst werden und obwohl ich die Regeln noch nicht gänzlich verstehe, bin ich dennoch unglaublich glücklich und erleichtert, dass sie mich so schnell in ihre Gemeinschaft aufgenommen haben.

Es ist vielleicht ein selbstsüchtiger und egoistischer Gedanke, aber ich bin froh nicht die Person zu sein, welche allzu sehr aus der Masse heraussticht, sondern auf gewisse Weise Teil der Gruppe geworden zu sein, insbesondere da ich hier als Ausländerin mit blonden Haaren auch so schon genug auffalle.

Selfie mit den Schülern der 8. Klasse

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