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Juni in Tbilisi

Der Mai geht vorüber, der Juni kommt und mit ihm erstmal wieder der Alltag. Nach der Arbeit treffe ich mich mit ein paar Leuten in der Taverne zum Essen. Günstig, traditionell georgisch, authentische, etwas harsche Atmosphäre. Wie das Restaurant wirklich heißt, weiß keiner von uns. Anastasia hat Besuch, Lina hat Besuch.

Es regnet in Tbilisi, eine Woche lang.

Bei einem Spaziergang durch die Altstadt mit Lina, ihrer Mutter und Anastasia entdecke ich neue Gässchen und Läden, in denen ich noch nie war und staune von Neuem über Tbilisis Zauber. Mitte des Monats eine weitere Premiere für mich. Als ich im Bett liege, verändert sich plötzlich die Atmosphäre. Irgendwas fühlt sich komisch an, ich kann nur nicht ganz zuordnen, was. Ich brauche einen Moment, bis ich es begreife: Hundegebell. Das ist an sich hier nichts Besonderes. Aber jetzt bellen alle Hunde der Nachbarschaft gleichzeitig, die Vögelchen sind verstummt. Und dann spüre ich eine Erschütterung, von irgendwoher ein lauter Krach. Ich weiß nicht, was passiert ist. Zuerst frage ich mich kurz, ob das nur in meinem Kopf war, ob es die Migräne war, die meine Welt kurz aus den Angeln gehoben hat. Dann ein leises Klopfen an meiner Tür, Lina steckt den Kopf herein und fragt, ob ich das auch gerade gespürt habe. „Was war das?“. Wir gehen auf den Balkon, unsere Vermieterin ist auch draußen. „Earthquake“. Es war deutlich spürbar, aber nicht stark und in Tbilisi ist nichts passiert (eigentlich ein Wunder bei den Häuserruinen hier). Das Epizentrum war nahe der aserbaidschanisch-georgischen Grenze, eine 5,7. Gott sei Dank alles glimpflich ausgegangen. Die Erde hat den Tbilisern nur einen Schrecken versetzt. Und mir vor Augen geführt, wie unermesslich kraftvoll Naturphänomene – und wie komplett machtlos wir angesichts ihrer sind.

In den folgenden Tagen bricht die erste Hitzewelle über Georgien herein. DAAD-Stipendienverleihung in der Residenz der Deutschen Botschafterin. Ich lächle den StipendiatInnen zu und begrüße sie, schüttele der Botschafterin die Hand. Höre den Reden der Botschafterin, des georgischen Bildungsministers, des stellvertretenden Außenministers und zuletzt meinem Chef zu, der die Stimmung gekonnt auflockert. Danach gibt es ein Buffet im Nebenraum und ich trete auf die große Terasse mit Blick auf Tbilisi. Was für eine Aussicht.

Wir machen einen WG-Wochenendtrip mit Linas Mama nach Sighnaghi, eine hübsche kleine Stadt auf einem Hügel, umschlossen von einer langen Stadtmauer und nach Lagodekhi, wo wir im Nationalpark ein bisschen wandern gehen. In der Nacht bricht ein so starkes und langanhaltendes Unwetter über Lagodekhi herein, dass die Hostelwände buchstäblich über Stunden hinweg immer wieder wackeln. Tagsüber ist es brütend heiß und mir geht es schlecht. Tatsächlich hatte ich mir irgendwo einen Magenvirus eingefangen, der mich noch gut zwei Wochen begleiten sollte. Für mich war der Trip ziemlich anstrengend leider, abgesehen davon sind die Orte schön!
Irgendwann geht es mir wieder besser und ich habe spontan die Möglichkeit, an einer internationalen Friedenskonferenz teilzunehmen. Organisiert von der georgischen NGO New Generations for Peace, um die internationale Jugend zum aktiven Engagement für Frieden aufzurufen und eine internationale Friedensplatform zu schaffen. Die Veranstaltung ist unerwartet formell und gut organisiert, Beiträge werden über Headsets auf englisch und russisch synchron übersetzt, die Presse ist anwesend und Teilnehmer wurden sogar extra eingeflogen. Junge Menschen aus den russisch besetzten georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien sowie aus Armenien und Aserbaidschan teilen ihre von Konflikt geprägten Lebensgeschichten und appellieren an alle Beteiligten, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und Konflikte zu befrieden. Spannende Erfahrung!
Dann war da noch das eine spannende Deutschland-Spiel, das wir in der letzten Sekunde auch tatsächlich gewonnen haben. Genau das habe ich beim Public Viewing gesehen – bevor es auch schon vorbei war mit Deutschland und der WM. Die unerwartete Nachricht von der fatalen Niederlage kam, als ich vom Balkon der Residenz aus einen phänomenalen Sonnenuntergang bewunderte. Aber dazu ein ander Mal. Hier noch ein paar Eindrücke vom Juni:
Heute habe ich übrigens meine Bewerbung für ein Stipendium in den USA abgeschickt! Das wird heute Abend erstmal gefeiert, nachdem ich bis zum Schluss unter Strom stand und auf die Empfehlungsschreiben von meinen Professoren gewartet habe. Hat sich gelohnt, jetzt dürft ihr mir alle die Daumen drücken!

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