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Heimat im fremden Kaukasus

Um 6 in der Früh ziehen Anastasia und ich mit unseren Rucksäcken los, froh der Hitze des anbrechenden Tages und den geschäftigen Menschenmassen zuvorzukommen. Vier Stationen mit der Metro und wir sind am Didube Busbahnhof. Die Marshrutka nach Stepantsminda fährt erst um 8, sagt ein zuverlässig aussehender Mann, der selbst wartet. Da kommt es diesmal gerade recht, dass die Privatbus- und Taxifahrer von sich aus auf die Menschen hier zugehen. Wir ergattern Plätze in einem Taxi, das wir uns mit nur zwei anderen Passagieren teilen, nicht mit 22 wie in der Marshrutka. Außerdem hält es an den schönen Orten auf der Strecke an. Das alles nach Verhandlung für nur 2 Euro mehr als die Marshrutka gekostet hätte – von unserem Sonderpreis dürfen die anderen beiden Mitfahrer nichts wissen, denn sie zahlen mehr.

Los geht es, Richtung Norden in die Berge!

Die Fahrt alleine ist atemberaubend schön, die Berge und Flüsse ziehen an uns vorbei. Wir fahren durch sommerliche Skigebiete, in Serpentinen nach oben. In der Ferne der schneebedeckte Gipfel des Mt. Kazbek, daneben grüne und rötliche Berge. Tief atme ich durch. Wie sehr mir die Natur gefehlt hat! Wieder einmal wird mir mit ganzer Wucht bewusst, dass die Stadt nicht mein Platz ist. Er ist hier, in der Schönheit, Einfachheit und Weite der Natur! Wir kommen an in Stepantsminda, der kleinen Stadt im Norden von Georgien, in den Bergen nahe der russischen Grenze. Ich bin glücklich und fühle mich rundum wohl, großen Anteil daran hat die Luft hier. Wir setzen uns in ein Café, frühstücken und genießen dort die perfekte Temperatur und den angenehmen Wind ein bisschen länger als wir vielleicht gedacht hatten. Dreimal frage ich den Kellner nach dem Brot, das ich bestellt hatte, nach einer Stunde kommt es dann doch. Gut, dass wir Zeit haben…

Gestärkt machen wir uns auf zu unserem Guesthouse, von dem ich gleich sehr angetan bin! Das Haus hat einen tollen Ausblick über die Stadt und die Berge gegenüber, unser Zimmer ist wie eine Art eigenes Apartement, mit privatem Bad. Und das Beste: vom bequemen (!) Bett mit weicher, kuschliger Decke habe ich direkten Bergblick! Nachdem ich den Ausblick vom Balkon aus erstmal angemessen genossen habe, geht es los. Auf zur Gergeti Trinity Church oben in den Bergen! Der Weg ist steil und schön, es ist heiß, aber angenehm wegen der guten Luft, der Wind rettet uns. Oben angekommen setzen wir uns erstmal in die Wies, lassen den Ort auf uns wirken und staunen. Wahnsinn! Wir beschließen, den Sonnenuntergang von hier oben anzusehen und freuen uns beide wie zwei Schnitzel, hier zu sein. Später schnappe ich mir den Rucksack, ich will nur den nächsten kleinen Hügel hoch. Doch die Berge dahinter sehen so wundervoll aus, dass ich einfach weitergehen muss. Also gehe ich, immer weiter und als ich auf dem nächsten kleinen Gipfel bin, will ich auch noch zu dem dahinter. Mit Blick auf grüne Hügel, schroffe rote Felswände, den Gletscher in der Ferne und Mt. Kazbek wandere ich, bis ich an Anastasia denke und wie lange ich wohl schon weg bin. Auf der für mich endgültig letzten Anhöhe mache ich Halt, bewundere den Bach unten in der tiefen Schlucht der steil abfallenden Bergwände und das weiße Glitzern des Gletschers darüber in der Ferne.

Der Wind ist aufgefrischt und Anastasia ist kalt, deswegen beeile ich mich auf dem Rückweg und gehe direkt runter zur Kirche, wo sie auf mich wartet. Von hier ist der Blick rundum gigantisch, die Kirche an sich typisch georgisch. Schön anzusehen, aber nicht halb so beeindruckend wie die Lage. Wir setzen uns zusammen in die Wiese, jetzt ziehe auch ich meine lange Bluse an. Der Wind rüttelt an unseren Kleidern und Haaren, als wir unsere Brotzeit auspacken, wie es sich auf dem Berg gehört. Die Sonne sinkt tiefer und wirft neue Schatten. Das Relief der Felswände, plötzlich ist es gestochen scharf. Ein Wolfshund leistet uns Gesellschaft, bis die Sonne langsam hinter dem Mt. Kazbek verschwindet und wir ihn allein zurücklassen. Im Dämmerlicht treten wir den Rückweg an, es zaubert eine märchenhafte Landschaft. Müde, erschöpft und zufrieden lege ich mich nach der Dusche ins weiche Bett, gucke nach draußen und sehe die Berge. Kuschle mich glücklich in die Decke, denn hier ist es angenehm kühl, in der Nacht wird es mir sogar zu kalt und ich schließe die Fenster. Dankbar wache ich am nächsten Morgen auf, erholt und frisch, die Berge strahlen in der Morgensonne. Ich kann mir keinen besseren Start in den Tag vorstellen.

Am Nachmittag würden wir zurück nach Tbilisi fahren, bis dahin haben wir noch keine Pläne. Erstmal gehen wir zum Frühstück bei uns im Guesthouse. Das Essen ist nicht besonders, aber trotzdem hätten wir es nicht besser treffen können: wir lernen ein sehr liebes und aufgeschlossenes Pärchen aus Holland kennen. Sie haben einen Mietwagen und verschieben ihre Wanderung hoch zur Kirche auf später, um spontan mit uns zu Wasserfällen in der Region zu fahren, die ihnen empfohlen wurden. Beseelt von der netten Bekanntschaft packen wir unsere sieben Sachen zusammen, eine halbe Stunde später sitzen wir zu viert im 4WD. Die Szenerie während der Fahrt erscheint surreal. Wir parken das Auto und wandern los, zuerst zum kleinen, dann zum großen Wasserfall. Es ist heißer als gestern, der Weg zieht sich. Vor allem gegen Ende wird es nochmal steil, meine Beine sind erschöpft von gestern – anstrengend!

Doch der Weg lohnt sich, der große Wasserfall ist wirklich relativ hoch. Wir machen Pause und Fotos, genießen die Aussicht in jede Richtung, reden und freuen uns auf ein gemeinsames kühles Getränk danach. Auf der Fahrt zurück ins Dorf überlege ich schon, was ich nehmen werde. Iced coffee oder homemade lemonade? Das Restaurant / Café ist sehr gemütlich, bequeme gepolsterte Bänke in einem Garten, ein kleiner Bach fließt zwischen den Tischen durch. Ich bestelle einen Saft, wir unterhalten uns. Meine Muskeln genießen die Entspannung und ich vor allem den Wind, die Luft und die Gesellschaft.

Dann trennen sich unsere Wege, Anastasia und ich gehen zum Marshrutka-Halteplatz und erfahren, dass der letzte Wagen um 15:30 Uhr fährt, nicht wie gedacht um 17 Uhr. Wir haben Glück und kriegen noch Plätze ganz hinten. Es ist sehr eng und je näher wir Tbilisi kommen, desto heißer wird es. Als wir nach knapp 3 Stunden aussteigen, bin ich extrem erschöpft. Nichts wie heim, duschen und ausruhen. Lina kommt noch kurz vorbei und wir essen Wassermelone – so lecker und erfrischend! Eins ist sicher, morgen werden wir uns nicht bewegen. Darin sind Anastasia und ich uns einig. Und auch darin, dass wir zwei unglaublich schöne Tage hatten. Perplex und dankbar für all das Glück und die Orte, an die mich das Leben führt, liege ich in der nächsten tropischen Nacht schlaflos in meinem unbequemen, zu kurzen Bett in Tbilisi und grinse.

Das hier wird vielleicht mein letzter Blogeintrag sein, den ich von Tbilisi aus schreibe. Morgen Nacht und am Samstag kommen drei meiner besten Freundinnen für zwei Wochen zu Besuch und ich werde meine Zeit nicht mit Blogschreiben verbringen, soviel kann ich sagen. Mein Zimmer ist so sauber wie nie zuvor, ausgestattet mit vier Liegemöglichkeiten, der Boden ist gekehrt, mit der Vermieterin alles abgeklärt. Alles ist bereit.

Tbilisi wartet auf euch, Mary, Kathi und Lotti!

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Vom Atmen.

Jetzt nur noch um die Kurve und ich sehe die schwarze, von Efeuranken eingerahmte Türe mit der weißen 6 darauf. Gott sei Dank. Ich sperre hinter mir ab und gehe langsam die Treppe hoch, Schritt für Schritt. Einatmen, letzte Stufe, ausatmen. Ich drücke die Türklinke zu meinem Zimmer runter, husche hinein und schließe die Tür sofort wieder hinter mir. Erleichtert atme ich ein, ganz tief diesmal, und habe erst jetzt das Gefühl, dass sich meine Lungen dabei auch tatsächlich füllen. Schön kühl.

Seit gut einer Woche bringt mich Tbilisi an meine Grenzen. Die Temperaturen sind bei über 40 Grad und die Stadt heizt sich enorm auf. Die Hitze wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus: ich habe keine Energie und manchmal ist es schlicht unmöglich, sich draußen aufzuhalten. Selbst wenn ich Lust habe, das Café mit dem schönen Ausblick auszuprobieren – die Strecke dorthin ist schlicht unüberwindbar. Auch nachts liegen die Temperaturen bei weit über 30 Grad und dazu kommen die Mücken, die mich langsam in den Wahnsinn treiben. Seit Tagen hangle ich mich mit 3 bis 4 Stunden Schlaf durch. Gehe freiwillig eineinhalb Stunden früher zur Arbeit, um bei 35 Grad und nicht bei 39 eine halbe Stunde quer durch die hügelige Stadt zu laufen. Und habe deswegen nachts Zeit, um mal wieder Blog zu schreiben.

Aber genug beschwert, denn ansonsten bin ich auf einem ziemlichen Höhenflug!

Mir ist bewusst, dass ich mich lange nicht gemeldet habe und das tut mir Leid für alle, die auf Neuigkeiten von mir gewartet haben. Die meiste Zeit ist nicht viel passiert, nach der Arbeit war ich einfach oft erschöpft und die Wochen zogen vorbei. Allerdings gab es einige ziemlich außergewöhnliche Erlebnisse zwischen diesen Wochen. Von diesen Dingen will ich nun erzählen, wenn auch nur viel zu knapp, um vermitteln zu können, welch einen prägenden Eindruck sie bei mir hinterlassen haben.

Im Mai möchte ich beginnen. Ich weiß, dass ich es zu dem Zeitpunkt schon sehr heiß fand in Tbilisi, aber rückblickend war es angenehm. Man machte sich auf den Weg wohin, ohne sich mit jedem Schritt zu wünschen, man wäre schon dort. Beim Einatmen tankte der Körper Energie. Trotzdem war die Luft ein bisschen raus. Die Routine war eingezogen, hielt mich morgens länger im Bett und ließ die Zeit im Büro nicht vergehen. Aufstehen, duschen, den immergleichen Weg zur Arbeit laufen. Den Hügel runter, über die Straße, über die Brücke, durch den Park den Hügel hoch, an der Rustaveli entlang, durch die Unterführung, die andere Straßenseite entlang, den letzten, steilen Hügel hoch. Im Büro. Acht Stunden später den gleichen Weg zurück. Erschöpfung, Essen, Musik und Bett. Und am nächsten Morgen dasselbe von vorne. Deshalb kam mir das Zwischenseminar Ende Mai sehr gelegen. Denn dafür ging es nach Almaty, Kasachstan!

Der Flug war sehr angenehm, kurz vor der Landung ging die Sonne unter. Zuerst über der Wüste, dann über den Bergen. Das erste, was ich sehe, als ich in Almaty aus dem Flugzeug steige: das Tien Shan Gebirge, eine Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln, in den leuchtenden Farben der untergehenden Sonne. Nach der langen Zeit in Tbilisi verschlägt mir die schlichte Schönheit dieses majestätischen Naturschauspiels die Sprache.

Almaty war eine willkomene Auszeit von Tbilisi. Die Stadt ist im Schachbrettmuster aufgebaut, der Verkehr ruhiger und noch besser geregelt als in Deutschland. Überall sind Parks und Brunnen. Es gibt kein richtiges Zentrum, sondern nur einige Straßen, in denen sich Bars, Cafés und Restaurants nebeneinander reihen. Breite, grüne, ruhige Fußgängerwege, vereinzelte Menschengruppen. Keine hupenden Autos, kein lautes Rumgeschreie, kein Gedränge, keine aufdringlichen Bettler, keine stinkenden Abgase, keine starrenden Männergruppen, kein beißender Zigarettengestank. Almaty war wie ein kurzer Urlaub; ein Moment des Durchatmens nach einiger Zeit permanenter Aufmerksamkeit, kontinuierlicher Überflutung von Eindrücken, Geräuschen, Gerüchen und Gesehenem; so sehr hatte ich mich an die ständige Überforderung gewöhnt, dass mir erst beim Luftholen in Almaty bewusst wurde, wie oberflächlich das Atmen geworden war. In Almaty war es einfach. Die freundlich und milde lächelnden KellnerInnen mochte ich sofort. Und auch die anderen Menschen, denen wir begegneten und die ohne einen Blick an uns vorbeigingen. Frei. So fühlte ich mich in Almaty. Und kam nicht umher zu bemerken, wie sehr mich Tbilisi manchmal einschränkt, begrenzt und in die Ecke drängt. Es war, als könnte ich alles und jeder sein, rausgehen, die Stadt und dann die ganze Welt erobern. Und das ist ein ziemlich gutes Gefühl, wenn man davor seine ganze Energie und Aufmerksamkeit darauf verwendet, nicht mit Dingen und Personen zu kollidieren.

Das hört sich an, als wäre Tbilisi die Hölle und Almaty das Paradies; und vielleicht hinkt der Vergleich nicht in allen Aspekten. Denn auch wenn keine der beiden Städte dem Fegefeuer oder Garten Eden nahekommt, so wird ihr jeweiliger Charakter durch den Kontrast zur jeweils anderen offensichtlich. Denn alles, was Tbilisi hat, fehlt Almaty. Freiraum, Anonymität, Strukturiertheit, Vorhersehbarkeit, Diskretheit – all das kann entweder als einfach, befreiend und wunderbar unaufdringlich wahrgenommen werden. Oder als stumpf, langweilig und unaufregend. Weil ich aus Tbilisi kam, war es für mich ersteres. Wäre es andersherum gewesen – hätte ich all die Zeit in Almaty verbracht und wäre für eine Woche nach Tbilisi geflogen – ich wäre ganz aufgeregt gewesen, ganz hingerissen von der Intensität der Stadt, die ich in Almaty in all der Zeit wohl unterbewusst vermisst hätte. Es kommt immer auf die Perspektive an. In keiner der beiden Städte könnte ich auf Dauer leben, so viel steht fest, zu extrem sind sie mir in ihrer jeweiligen Eigenart.

So viel zu Almaty, ohne das leckere Essen erwähnt zu haben! Extrem gut waren auch die ausgefallenen Geschmackskombinationen der erfrischenden hausgemachten Limonaden: ob Melone-Apfel, Erdbeer-Minze-Kiwi oder Beeren-Ingwer, man konnte absolut nichts falsch machen mit diesen gewagten und gelungenen Mischungen!

Das Highlight des Seminars war sicher der Ausflugstag zum Big Almaty Lake auf 2500m, umgeben von den 4000er-Gipfeln des Tien Shan. Wo wir ein bisschen wanderten, um uns dann nach einem Picknick am See in die Sonne zu fläzen und friedlich den Gedichten zu lauschen, die uns in die Stille hinein so eindrücklich vorgelesen wurden.

Hier will ich ein paar Bilder an meiner Stelle sprechen lassen. Aber erst morgen, es fühlt sich an als könnte mein Schlafbedürfnis die Hitze heute endlich besiegen. Bilder folgen also noch hier, und es gibt noch so viel mehr zu erzählen!

Aber für heute erstmal genug, gute Nacht!

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Von der Rave-olution und Freiheit

Hello 🙂

Heute gibt es aus aktuellem Anlass ein (politisches) Update aus Tbilisi!

Ich spreche von den Razzien und der rave-olution, die diese hier am Wochenende ausgelöst haben. Nur kurz vorab: meine Darstellung ist naturgemäß geprägt von meiner Sicht auf die Dinge, zu der ich durch Medienberichte und Gespräche mit politisch Interessierten gelangt bin.

Freitag Nacht wurden zwei Nachtclubs von maskierten und mit Maschinengewehren ausgestatteten Polizisten gestürmt. Offizielle Begründung der Regierung: Drogenrazzien. Hintergrund ist eine neue Droge, die innerhalb von einer Woche fünf Leute getötet hatte und zehn weitere ins Koma befördert. Dabei gingen die Polizisten unnötig aggressiv vor, seltsamerweise wurde keiner der Clubbesucher durchsucht, sondern alle bis auf das Personal der Reihe nach rausgeworfen. Einer der betroffen Nachtclubs ist das Bassiani, das inzwischen weltweit bekannt ist und für Offenheit, Toleranz, Gleichheit und sozialen Wandel steht. Es stellt einen Schutzraum für Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft dar, die sich hier ansonsten stark mit Homophobie konfrontiert sehen. Das Bassiani erhielt in den letzten Monaten vermehrt Drohungen, konservative Stimmen forderten die Schließung. Bei den Razzien wurden unter anderem Mitgründer des Bassiani festgenommen (sie wurden inzwischen wieder freigelassen), das Bassiani zunächst geschlossen.

Clubgänger, die gegen das Vorgehen der Polizei vor Ort protestierten, wurden geschlagen, verhaftet und aus der Stadt gebracht. Noch in derselben Nacht zogen hunderte Menschen vor das Regierungsgebäude, protestierten gegen die Ereignisse in den Clubs und warfen der Polizei Anwendung exzessiver Gewalt vor. Auch am Samstag und Sonntag versammelten sich zehntausende Leute vor dem Parlament, standen für Gleichheit, tanzten für Freiheit, forderten den Rücktritt von Premier- und Innenminister. Der Vorwurf: die Razzien waren nur ein Vorwand, um eine politische Botschaft zu schicken. Um Clubgänger und Menschen, die sich mit der LGBTIQ-Gemeinschaft solidarisieren, einzuschüchtern. Die acht gefassten Drogendealer, so wurde kurze Zeit später bekannt, wurden bereits Stunden vor den Razzien festgenommen.

Manche glauben sogar, dass erwähnte neue Droge von der Regierung selbst in Umlauf gebracht wurde, um so die drakonischen Drogengesetze zu rechtfertigen, gegen die in letzter Zeit nicht nur die White Noise Bewegung politisch aufbegehrt. Drogenbesitz wird in Georgien mit verheerenden Gefängnisstrafen – 20 Jahre bis lebenslang – geahndet und ist zum (politischen) Druckmittel geworden. Die Platzierung von Drogen ist ein Kinderspiel, die Bestrafung fatal.

Am Sonntag Nachmittag kündigten ultrarechte nationalistische Gruppen eine Gegendemo an. Die teilweise vermummten Männer zogen mit nationalsozialistischen Parolen durch die Straßen in Richtung Parlamentsgebäude und kündigten an, auch Gewalt anzuwenden wenn „nötig“. Allein dem riesigen Polizeiaufgebot vor dem Parlament ist zu verdanken, dass die Situation nicht eskalierte. Die Polizisten formten undurchdringliche Reihen und versperrten den Gegendemonstranten den Weg zur Hauptdemo.

Der Innenminister entschuldigte sich für die Razzien in den Nachtclubs, ultrarechte Gruppen kündigten tägliche Proteste an. Anführer des Hauptprotests trafen sich mit Mitgliedern des Innenministeriums und verkündeten einen Proteststopp bis 19. Mai, um der Regierung Zeit für Fortschritte zu geben. Sollte auf Forderungen nicht eingegangen werden, ist die Fortsetzung der Proteste geplant.

Meiner Einschätzung nach wird sich am 17. Mai das Konfliktpotenzial dieser Auseinandersetzungen zeigen. Es ist der internationale Tag gegen Homo-, Trans- und Biphobie. Vor fünf Jahren wurde eine kleine Demonstration von AktivistInnen für die Rechte von Homosexuellen von homophoben Protestanten überrannt. Einen Tag zuvor hatte der Anführer der Orthodoxen Kirche Homosexualität als anormale Krankheit beschrieben und dazu aufgerufen, die Versammlung zu stoppen. Tausende Anhänger, angeführt von Priestern, trafen von der Polizei ungehindert auf die AktivistInnen und verfolgten diese gewaltvoll.

Meine Haltung zu dem Ganzen? Ich maße mir nicht an, alle Hintergründe zu kennen und alles über die Situation zu wissen. Aber aufbauend auf dem, was ich weiß, bin ich inspiriert von Mut und Engagement aller, die sich so friedlich für Freiheit und Gleichheit und die Zukunft in ihrem Land einsetzen und dafür tanzen. Abgesehen von menschenrechtlichen Motiven und Solidarität mit angefeindeten Personengruppen verstehe ich auch die Forderung nach Lockerung der Drogengesetze. Denn zweifellos sind auch einige Drogenkonsumenten unter den Demonstranten. Sollte Drogenhandel und -distribution bekämpft werden? Ohne Frage! Aber auf eine effektive Art und Weise, sodass Dealernetze aufgedeckt, Mitglieder bestraft und der Handel nachhaltig geschwächt wird. Und das passiert nicht, indem Abhängige für 20 Jahre hinter Gitter gebracht werden. Wieso bestrafen, wo Menschen Hilfe brauchen? Der Staat ist nicht da, um Entscheidungen für Individuen zu treffen. Jeder hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, solange seine Handlungen nicht die Freiheit eines Anderen einschränken. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die des Anderen beginnt! Aber bis dahin reicht sie.

Passend dazu eine weitere Neuigkeit: seit 01.05. gibt es hier ein Rauchverbot!

Zumindest in Cafés, Bars und Restaurants und eigentlich sonst auch an den meisten Orten, außer in Taxis. Eins der strengsten Rauchverbote Europas tatsächlich, um den hohen und steigenden Raucherzahlen entgegenzuwirken. Vor allem wichtig finde ich das Umdenken, dass es eben NICHT normal ist, dass überall geraucht wird und sich alle Nichtraucher dem selbstverständlich unterordnen. Denn Jeder sollte für sich selbst entscheiden können, ob er Zigarettenrauch einatmen will oder nicht, (Grenzen der) Freiheit und so. Ich habe den Eindruck, das Gesetz wird gut angenommen und erfreulicherweise auch eingehalten.

Abgesehen von diesen ganzen Entwicklungen war ich endlich Paragliden und es war großartig! Wie besonders es sein muss, den Wind fühlen und für sich nutzen zu können. Das fasziniert mich am Gleitschirmfliegen genauso wie am Segeln. Das Gefühl, mit der Luft zu sein, frei, nur an den Wind gebunden.

In weniger als einer Woche werden wir schon in Almaty sein. Zwischenseminar. Vor zwei Monaten und einem Tag bin ich in Tbilisi gelandet. In drei Monaten und neun Tagen werde ich Tbilisi verlassen. Wie bedrückend, wenn Unermessliches gemessen und in Zahlen gefangen wird.

In drei Monaten und neun Tagen wird sich heute wie gestern anfühlen.

In drei Monaten und neun Tagen werde ich mich an mein heutiges Ich erinnern als wären Jahre vergangen.

Ich blicke auf zwei Monate und einen Tag in Tbilisi zurück. Den Weg, den ich bis jetzt ohne Blick auf das Ende gegangen bin. Und mir fällt auf, dass er länger ist als zwei Monate und ein Tag, breiter und weiter und bunter und voller Überraschungen und Freuden. Ich gucke nach vorne, nach rechts und nach links und weiß noch nicht, wie oder wo es weitergeht. Aber ich weiß, vor mir liegt so viel unermesslich Schönes, dass es sinnlos wäre, Gedanken an den Punkt zu verlieren, an dem mich der Weg woanders hinführt. Deshalb gehe ich einfach mal weiter…

… und nach einer besonders aufregenden Abzweigung melde ich mich wieder, bis dahin!

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Alltag in bunt

Hallo ihr Lieben,

endlich schaffe ich es mal wieder, mich zu melden. Gori ist gefühlt erst letztens gewesen und andererseits auch schon wieder so weit weg, weil hier ständig was passiert. Zwischen meinem letzten Bericht und jetzt liegen gemütliche WG-Abende, Café-Tage, mein Geburtstag, Spaziergänge und neue Bekanntschaften. WG-Besuch ist gegangen und neuer gekommen. Leute haben bei uns gegessen und wir haben neue Orte entdeckt.

Alltag und irgendwie auch nicht; jeden Tag erwarte ich Unerwartetes.

Vielleicht wollt ihr genauer wissen, wie mein Geburtstag war. Am Abend vor dem 14. haben mich Anastasia, Lina und Paul von der Arbeit abgeholt und Nastja und ich sind

Foto: Anastasia

gleich weiter in das Café, in dem wieder die Blues-Musiker spielten. Ich kam erst eine Stunde später als sonst aus dem Büro; die Gitarrenklänge und Stimme des Sängers waren deswegen wie ein Heilmittel und verwandelten Stress in Gelassenheit. Später sitze ich mit Paul und Nastja in der Küche und wir spielen Kabu. Und von einer Minute auf die andere werde ich 23. Meine erste Tat? Den Kuchen probieren, den Leonie für mich gebacken hatte – sehr lecker! Am nächsten Tag sind sie alle in der Küche versammelt – Leonie, Nastja, Lina und Paul -, singen mir ein Geburtstagsständchen und überreichen mir süße Geschenke 🙂 dann sind wir Brunchen und abends in einer neu entdeckten Bar mit guter Musik…und mein Geburtstag endet, wie er begonnen hat: ich spiele Kabu, bin von lieben Menschen umgeben und rundum glücklich.

 

Sehr gerne mag ich unsere gemütlichen Café-Tage im Book Corner. Das ist ein schmuckes kleines Café ganz in der Nähe von uns direkt am Fluss mit Glasfassade, Terrasse, Bildern von jungen georgischen Künstlern, entspannten Kellnern und sehr leckerem Essen, Kuchen (göttlicher Honigkuchen!!) und Getränken. Dort kann man stundenlang sitzen, reden, am Laptop arbeiten, Musik hören und lesen ohne ein einziges Mal danach gefragt zu werden, ob man nicht noch etwas bestellen möchte.

 

Hauptorte der letzten Wochen waren außerdem unser geliebter Balkon, vor allem jetzt, wo es schön warm ist auch abends noch und natürlich unsere gemütliche Küche; die Fabrika: ein mit Lichterketten überspannter Innenhof, gebildet von Bars, Restaurants, einem Hostel und einem Spielecafé – dort ist immer sehr viel los. Pluspunkt für uns: nur eine Viertelstunde zu Fuß von zuhause entfernt. Und weil alle guten Dinge drei sind: die Warszawa Bar, wo man immer bekannte Gesichter antrifft und neue kennenlernt, gefühlt DER nächtliche Treffpunkt.

 

Ich für mich bin auch mal alleine losgezogen, mit der Kamera den Hügel hinter unserem Haus hoch, zur Sameba-Kathedrale und die Siedlung dahinter erkunden. Zu gern wäre ich den grünen Hügel hochgewandert, habe aber leider keinen Weg aus der Wohnsiedlung raus gefunden. Vorgestern Abend bin ich nochmal aufgebrochen und habe nach kurzem Suchen tatsächlich einen versteckten kleinen Pfad gefunden, der durch grüne Wiesen den Berg hinaufführt. Links, rechts und hinter mir die Lichter der Stadt. An einem schönen Fleckchen habe ich mir eine Steinmauer gesucht, meine Lieblingsmusik angemacht und die Stadt bei Nacht bestaunt. Hier ein paar Eindrücke von meiner Erkundungstour tagsüber:

 

Auch sonst gab’s einige Premieren für mich: zum ersten Mal auf einem Flohmarkt in Tbilisi, zum ersten Mal auf einer Messe mit dem DAAD, zum ersten Mal Beisitzerin einer Kommission bei Stipendien-Auswahlsitzungen, zum ersten Mal offizielle Leiterin eines Unikurses, zum ersten Mal Billy Elliott angeschaut (kann ich Jedem empfehlen!), zum ersten Mal hausgemachte Limonade in einer Weinbar, zum ersten Mal zu viert mit Nastja, Lina und Leonie in einem romantischen Gärtchen essen.

 

Alltag eben, nur in bunt.

 

Vorgestern dann war ich mit Lina am Tbilisi Sea, es war warm und wir die Einzigen dort. Das Geräusch von Wasser und Wind, um uns herum grüne Hügel. Und leider auch

Foto: Lina

Müll, den die Leute hier an allen möglichen und unmöglichen Orten zurücklassen. Danach halb getrampt (was ein Glücksgefühl, super liebe Menschen hier!!), halb zu Fuß zu einem Café in einem Blumengarten mit intensiven Farben, knallroten Büschen und pastellblauen Bäumen. Neues traditionelles georgisches Essen probiert; leider wenig überzeugend (und vor allem wenig), aber immerhin weiß ich jetzt, was Elargi Balls sind. Die Erkärungsversuche der Kellner bei Nachfragen zur Speisekarte variieren hier nämlich ziemlich stark in Aussagekraft. Im Zweifel ist die Antwort immer „cheese“.

 

 

So, over and out. Bis zum nächsten Mal, macht’s gut!

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Irgendwo bei Gori in den Bergen

Hallo ihr,

noch ein kurzer Nachtrag, denn letzte Woche waren wir endlich ein bisschen wandern!

Unser eigentliches Ziel war Uplistsikhe, eine alte Fels- und Höhlenstadt. Also sind wir los, mit der Marshrutka nach Gori, die nächste größere Stadt von dort. Außerdem zweitwichtigste Stadt nach Tbilisi, Geburtsstadt von Stalin und knappe eineinhalb Stunden Fahrt entfernt. Dort angekommen, ging’s durch menschenleeere Straßen (wegen Ostern) zur mittelalterlichen Festung auf dem Hügel, die der Stadt ihren Namen gibt. Als wir Gori von oben betrachteten, schien die Sonne und der Wind fegte über die Wiese durch unser Haar.

 

Mit dem Taxi fuhren wir dann weiter nach Uplistsikhe – unsere erste Landfahrt! Mit 100 km/h durch die Dörfer, die auf der Strecke liegen. Manchmal langsamer, wenn tiefe Löcher die Spur ausbremsen. Wiesen und Häuser ziehen vorbei, leuchtende Bäume und Rinder. Ein junger Mann, der rauchend an seinem Auto lehnt, die Motorhaube geöffnet. Ein alter Mann, der an einer Bushaltestelle sitzt und wartet. Eine Frau, die an einer staubigen Straßenkreuzung steht und unserem Taxi nachguckt, dem einzigen Auto weit und breit. Ein Zeichen, dass Dinge in Bewegung sind. Nicht unbedingt heute und in diesem Dorf. Aber weit weg in der Stadt. Und manchmal führt der Impuls, der vom Zentrum ausgeht, durch diese ihre holprigen Straßen.

Dann kommen wir an, doch die Attraktion ist heute geschlossen. Der Taxifahrer fährt uns also woandershin, in die Berge, zu einer Kirche, dort soll es schön sein und setzt uns schließlich ab. Auf einer staubigen Bergstraße steigen wir aus und sehen direkt besagte Kirche. Ansonsten sind wir mitten in der Natur, nur die Dörfer, die wir bei der Fahrt hier hoch gesehen haben, verraten uns, dass Zivilisation nicht weit entfernt ist. Und der Mann, der extra für uns die Kirchtore aufsperrt und innen alle Kerzen anzündet. Wir bedanken uns und treten nach einiger Zeit wieder aus dem hohen, kalten und finsteren Raum aus in die warme Luft und auf den sonnenbeschienenen Weg. Wir gehen los und in der Abwesenheit des Windes spüren wir die volle Kraft der Sonne. Als wir gerade den Fluss über eine kleine Brücke überqueren wollen, kommt ein Jeep des Weges und bleibt im Wasser stecken. Den Fahrer scheint das allerdings nicht aus der Ruhe zu bringen und als wir Hilfe anbieten, winkt er müde lächelnd ab. Abwarten und aussitzen, heute spielt Zeit keine Rolle.

Bald kommen wir zu einem wunderschönen Anwesen, wine cellar steht auf einem Schild. Dabei ist es kein Keller, sondern eine wahnsinnig hübsche überdachte Terrasse umgeben von einem netten Garten inmitten der bewachsenen Felder entlang der Berge. Verlassen liegt es da, trotzdem treten wir zögerlich ein, setzen uns in die Sonne und streicheln den Hund mit den bernsteinfarbenen Augen. Irgendwann kommt ein Mann von oben aus dem Haus, ganz entspannt und wir unterhalten uns. Zu meiner Freude kann er sehr gut Deutsch, ich mag ihn auf Anhieb. Als seine Frau uns Essen kocht (wahnsinnig lecker), holt er uns Wein und Tschatscha und setzt sich zu uns. Für mich ist er ein typischer Landmensch: mit seinem ganzen Wesen strahlt er Ruhe und Zufriedenheit aus, denkt oft länger über Sachen nach, bevor er antwortet, redet ruhig und bedacht, lässt Gesprächspausen zu, lächelt gern und ehrlich. So erfrischend und ruhebringend!

Glücklich ob dieses tollen Geschenks, das uns dieser Tag so unerwartet gebracht hat, brechen wir nach dem Essen auf und wandern noch ein bisschen zwischen den Bergen, Bäumen und Wiesen umher.

 

Tatsächlich fährt von der Kirche später ein Bus nach Gori, wir kommen genau zur rechten Zeit und steigen ein. Zurück in Tbilisi treffen wir uns abends mit Lina, Léonie und Paul und stoßen auf unseren Tag an. Wo wir waren? Wissen wir nicht. Aber schön war’s!

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Doch, das kann sein!

Donnerstag, 12.04., 21:42 Uhr; letzter Blogeintrag: 04.04., Thema: Ostern.

Jut, das ist ja nun auch schon wieder lange vorbei und in dieser Woche hat sich wieder so viel getan. Ich habe gemerkt, dass ich es nicht schaffen werde, über jedes größere besondere Erlebnis zu schreiben. Es frisst einfach so viel Zeit, die ich manchmal lieber mit Musik hören, Lesen oder Schlafen zubringe, wenn ich mal Luft habe.

Aber gut, heute will ich euch noch von letztem Freitag berichten. Nicht so ausführlich, wie ich es gerne würde, aber so, dass etwas vom Erlebnis rüberkommt.

Der Freitag war frei, weil Orthodoxe Ostern und Anastasia und ich haben uns Mtskheta (ja, ich kanns mir inzwischen merken) als Tagesziel ausgesucht. Dazu sind wir erstmal mit der Metro nach Didube gefahren, unvorbereitet auf das, worauf wir dort stoßen würden. Ein Chaos sondergleichen. Ein basarartiges Gewusel, Verkaufsstände, aber vor allem Autos, Marshrutkas, Busse, Minibusse und Sammeltaxis. Ohne zentralen Platz oder Abfahrtsübersicht. Kommt man aus der Metrostation, wird man sofort von den Taxifahrern belagert. Sie stellen sich uns in den Weg, laufen uns nach, fragen, wo wir hinwollen. Kazbegi? Schüttelt man den Kopf oder ignoriert sie, leiern sie gleich die ganze Palette runter: Gori? Batumi? Borjomi? Svaneti? Uplistsikhe? Mtskheta? Einmal gezuckt und schon hat man den Salat. Der Taxifahrer redet auf uns ein, wird unfreundlich, versucht uns zu verkaufen, dass das Taxi weniger kostet als die Marshrutka. Und dann, dass nach Mtskheta gar keine Marshrutka fährt. Das entnehme ich seinem Gesicht, Tonfall und Anastasias Reaktion. Denn er spricht Russisch. Und ich nicht, deshalb ziehe ich Anastasia einfach weiter. No explanation needed. Nach viel Herumirren, dubiosen Auskünften und Nachlesen im Internet finden wir ein verstecktes cash desk. Zahlen einen Lari (30 Cent) und steigen als erste Passagiere in die Marshrutka nach Mtskheta. Wir setzen uns hinter den Fahrer auf die besten Plätze und warten, bis der Minibus voll ist und wir losfahren. Hier wirkt Tbilisi ganz anders, auf der 20-minütigen Fahrt fühle ich mich wie in einer ganz anderen Stadt, irgendwie südeuropäisch.

Photo: Anastasia

In Mtskheta steigen wir und die spanischen Touris aus. Hübsches Städtchen! Aufgeräumte Gasse, auf der Teppiche verkauft werden und Anderes, schöne Fassaden, im Hintergrund die Berge. Malerisch und touristisch.

Wir schauen uns die Kirche an, staunen über die durch die hohen Fenster wundersam einfallenden und sich brechenden Lichtstrahlen. Erfreuen uns draußen des sommerlichen Wetters und finden total verborgen das süßeste Café, in dem ich je war. Eine mini Terrasse mit drei Tischen, Efeuranken und ganz vielen kleinen liebevollen Details. Wir schlendern durch die Wohngebiete einen Hügel hoch.

Photo: Anastasia

Strahlend rosane und weiße Bäume hinter türkisen Gartenzäunen. Ein kleiner Junge, der aus einem Innenhof läuft. Ein mittelalter Mann, der rauchend auf dem Bürgersteig sitzt. Kinder, die auf der Straße Ball spielen. Sie lachen, weil der Hund auch mitspielen will. Der Ausblick auf Hügel, Fluss und Stadt unter uns. Auf der Wiese um uns Plastikmüll im Gras. Und eine einzelne Mohnblume.

Als wir wieder unten sind und durch den Park schlendern, hält an der Straße eine Marshrutka. თბილისი steht auf einem Schild an der Windschutzscheibe. Tbilisi, genau da wollen wir hin. Wir steigen ein und fahren zurück in die Stadt.

„Das kann doch nicht sein, dass unser Tag schon wieder so perfekt ist“, sagt Anastasia ungläubig grübelnd. Ich grinse. Wir sind glücklich.

Am Abend gehen wir in ein Café mit Live Blues Musik. Und wer mich kennt, der weiß: besser geht nicht für mich. Wir sitzen zu zweit bei Wein auf der Galerie des Cafés, hören den Musikern zu und lachen uns fröhlich an. Ich schließe die Augen, vergesse, wo ich bin, warum und mit wem; jenseits von Zeit und Raum, angefüllt mit allem und trotzdem so leicht, im Takt des Blues; keine Worte gibt es hier, nur unmittelbares Empfinden des Hier und Jetzt. Und als ich die Augen wieder öffne, blicke ich Anastasia geradewegs ins Gesicht und weiß, dass sie am selben Ort ist wie ich. „So viel Glück“ sagt sie und strahlt.

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Ostern und Anderes

Hallo ihr Lieben!

Was ich die letzten Tage so gemacht habe? Dies und das 😀 Es wäre zu umfangreich, jetzt hier jeden einzelnen Tag durchzugehen seit meinem letzten Bericht. Deshalb greife ich einfach ein paar Sachen raus 🙂

Photo: Anastasia

Die größte Veränderung ist sicher, dass sich unsere WG-Situation geändert hat. Florian ist am Mittwoch ausgezogen, weswegen wir vor der Arbeit noch nett zu dritt mit Anastasia frühstücken waren. Donnerstag Nacht ist Leonie angekommen, die neue 4. im Bunde in unserer jetzt reinen Mädls-WG. Sie begrüßt einen nicht nur mit „herzlich willkommen zuhause“, wenn man von der Arbeit heimkommt, sondern hat uns auch ein neues Kartenspiel beigebracht. Kabu heißt es und auch wenn man sich das gemütlich vorstellt, abends zu viert nach dem Essen in der Küche zu spielen, Jazzmusik läuft leise im Hintergrund – es ist vor allem wahnsinnig nervenaufreibend! Aber das Buch, das ich seit ein paar Tagen lese, beruhigt das Gemüt wieder vor’m Schlafengehen.

An den Rauchgeruch habe ich mich übrigens inzwischen gewöhnt. Anfangs war es echt anstrengend für mich, in einen geschlossenen Raum zu gehen, egal ob Bar, Café oder Restaurant. Letztens war ich abends mit Anastasia in einem rustikalen Restaurant – und die rauchige Atmosphäre gehörte irgendwie total dazu. Ob das jetzt so gut ist, weiß ich nicht. Aber es macht mir die Zeit hier auf jeden Fall leichter, wenn ich beim Betreten von jeglichen Räumen nicht direkt nen Erstickungsanfall kriege.

Photo: Anastasia

Das Osterwochenende war schön entspannt.

Am Samstag war ich mit Anastasia wieder in der Altstadt und dem Botanischen Garten unterwegs. Mit unseren Büchern in den Taschen hatten wir vorfreudig den Platz mit den Gartenschaukeln angepeilt. Diesmal haben wir einen anderen Weg genommen und direkt noch mehr Mohnblumen und exotische Bäume entdeckt. Leider ist es uns auf der Schaukel mit dem eisigen Wind schnell zu kalt geworden, sodass wir uns bald ein schnuckeliges Café in der Altstadt gesucht haben.

Dort war Aufwärmen angesagt, Bilder angucken und gemütlich lesen. Hatte ich auch nichts dagegen! 🙂

Photo: Anastasia

Der Cappuccino war sehr lecker (nicht ganz so gut wie der, den wir in einer schmucken Weinbar hatten), die Preise allerdings gehoben, das heißt auf europäischem Niveau. Das hat man auch an den Besuchern gemerkt: wenige junge Menschen, viele Touris und darunter auch die beiden ersten Deutschsprachigen, die mir in Tbilisi bis jetzt aufgefallen sind. Tiefenentspannt ging’s dann zum Einkaufen, was umso anstrengender war. Tausende Menschen im Laden, ein Baby schreit die ganze Zeit, aus dem Lager alle zehn Sekunden ein ohrenbetäubender Knall, die Menschen bleiben mitten in den engen Gängen stehen, zwängen sich mit ihrem Einkaufswagen an dir vorbei. Schnell raus hier, wenn auch nur mit halbem Einkauf! Und draußen erstmal durchatmen.

Dann war da natürlich der Ostersonntag. Den haben wir zu sechst bei uns in der Küche zelebriert – mit einem Osterbrunch, der nichts zu wünschen übrig ließ.

Photo: Léonie

Pfannkuchen, Obst, selbstgemachte Erdbeermarmelade (erster Küchenakt von Léonie), Kekse, ein Karotten-Apfel-Zimt-Kuchen, gefärbte und bemalte Eier, deutsche Schokoeier, Gemüse, Frischkäse, sulguni (Käsesorte) und frisches, noch warmes puri (georgisches Brot) auf dem von Lina sehr liebevoll dekorierten Tisch in unserer gemütlichen Wohnküche. Außer uns vieren waren Anja und Johanna da.

Viel zu voll, aber hocherfreut ging’s dann sogar auf Osternestsuche in unserem winzigen Gärtchen. Kekse hat er gebracht, der Easter Bunny, und Schoki, ziemlich süß von ihm. Die anderen zogen danach noch los in die Stadt, Lina und ich haben uns in unsere Bettdecken eingeknuddelt in die Schaukelstühle auf unserem Balkon begeben, alles, was wir in den nächsten Stunden brauchen könnten, in Reichweite….und sind da erstmal geblieben.

Ansonsten waren die letzten Tage nach der Arbeit recht ruhig. Nicht langweilig, nicht eintönig. Aber ungefähr vorhersehbar, auf eine schöne Weise. Essen, mit Lina, Anastasia und Leonie über den Tag quatschen, Musik hören, vielleicht spielen, lesen. Ein vertrautes Gefühl, warm, entspannend, tröstlich. Wie ein Zuhause.

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Worte, um Sprachlosigkeit zu beschreiben

Liebe Freunde groß und klein,

heute gibt’s versprochenen Bericht vom Sonntag, denn hier passiert so viel. Und wenn ich jetzt nicht gleich davon erzähle, werd‘ ich’s wohl gar nicht mehr schaffen.

Also versuche ich mal wieder Worte zu finden, um Momente der Sprachlosigkeit zu fassen. Denn das Wetter war wider Erwarten malerisch: blauer Himmel, Sonne und Wärme. Wir hatten keine Pläne für heute, aber nachdem ich ausgeschlafen war und mich der Tag gleich so freundlich anlächelte, fasste ich den Entschluss, zum Botanischen Garten zu gehen. Dann kam allerdings mein Mitbewohner ganz beschwingt in die Küche und wir zogen zusammen los zu einer Bäckerei, holten uns georgisches Essen und suchten uns im sonnigen, blühenden Park eine nette Bank aus. Danach erstmal türkischen Kaffee trinken und über den Markt schlendern. Wunderschönes Geschirr, noch schönere Malereien von Tbilisi. Dann war Anastasia aufgewacht und wir trafen uns, um schließlich gemeinsam den Botanischen Garten aufzusuchen. Florian wusste den Weg, der uns durch die Altstadt führte.

Altstadt. Das Wort lässt nicht im Mindesten die Schönheit erahnen, die sich uns darbot. Die ist ohnehin schwer zu beschreiben, aber „Altstadt“ wird ihr so gar nicht gerecht. Bunte Fassaden, eine über der anderen den Hügel hoch. Häuser im Jugendstil, jedes mit seinem eigenen verschnörkelten Balkon. Gassen, braunes Kopfsteinpflaster. Geziert von Pastelfarben, türkis, gelb, altrosa, blau, weiße Balkone. Am Ende eine kleine Kirche neben einem der ersten rosafarben blühenden Bäume, durch den Hinterhof von der Sonne angestrahlt. Ein kleiner Vorplatz mit Bänken, von dem aus man auf die Stadt hinuntersieht. Wir gehen höher, bis die Häuser der Wiese und den Bäumen weichen und wir angekommen sind. Bei der Mother of Georgia, die als Statue über die Stadt blickt. Den Bergkamm entlang. Links liegt Tbilisi, rechts erstreckt sich bis zum nächsten Hügel der Botanische Garten. Wir treten ein, steigen den Hügel ein Stück hinab und sind windgeschützt. Die Sonne schenkt uns den Sommer, die Vögelchen danken es ihr fröhlich zwitschernd. Einen schmalen Weg gehen wir entlang. Zwischen grünen Bäumen, Mohnblumen und aufgeregten Zitronenfaltern. Weiter, an dem ein oder anderen strahlend weiß blühenden Baum vorbei, bis wir auf einer Brücke über einem Wasserfall stehen. Und ich meinen Ort in Tbilisi gefunden habe.

Irgendwann sind Anastasia und ich zu zweit, wir wandern weiter, sind beide gleichermaßen beeindruckt und kommen schließlich zu einem Platz mit Aussicht auf die Burgruine gegenüber und ein paar Gartenschaukeln. Wir setzen uns, schaukeln, lassen die Seele baumeln und wiegen uns in Dankbarkeit. Nach einiger Zeit brechen wir wieder auf in gespannter Vorfreude auf unsere baldige Rückkehr hierher und auf all die Momente, die wir hier erleben werden. Als ob das nicht schon genug Gutes an einem Tag gewesen wäre, treffen wir direkt vor der Altstadtkulisse, die in all den Bildern auf den Kunstmärkten so wundervoll auf der Leinwand angepriesen wird, auf eine Feier. Wir setzen uns auf die Steinkuppeln der unterirdischen Schwefelbäder und ich bestaune die wunderschönen Häuser, all die kleinen Details. Lausche dem orientalischen aserbaidschanischen Gesang, verfolge mit den Augen die tanzenden Mädchen auf der Bühne und die tanzenden Menschen davor. Wie ein Kind sitze ich da und beobachte und alles fühlt sich so hyperreal an und gleichzeitig so unmöglich. Als ob ich irgendwie in eine magische Welt spaziert wäre, die ihren ganzen Zauber auf einen Schlag verliert, wenn ich blinzle und aufhöre, alles in mich aufzusaugen.

Hab ich aber nicht und hat sie auch nicht. Und so weiß ich jetzt, dass ca. 30 Minuten von meinem Haus entfernt dieser Ort liegt und ich jederzeit in einen verheißungsvoll zauberischen Raum hinüberwechseln kann. Außer es gibt ne magische Stunde dafür, aber das find‘ ich noch raus.

Aus die Maus.

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Wahrnehmung und Realität in Tbilisi

Hello again!

Heute melde ich mich NICHT mit einem Bericht von meinem surreal schönen Tag gestern, weil ich das Gefühl habe, dieser Blog hat bis jetzt eine Überdosis an Positivem. Und zu viel von etwas ist schließlich nie gut, Harmonie ist ja bekanntlich der Schlüssel. Klar, ich hab‘ alles, was ich hier mit euch geteilt habe, genau so erlebt wie beschrieben. Aber es gibt auch normale Tage, an denen man sich nicht vorkommt, wie in einem Disneyfilm, sondern eher wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Gut, vielleicht nicht ganz so krass.

Was ich sagen will: ich bin mir darüber bewusst, dass ich durch das, was ich hier schreibe, ein bestimmtes Bild von Tiflis – vielleicht sogar von Georgien – in den Köpfen von denjenigen kreiere, die noch nicht hier waren. Dieses Bild ist aber nur ein Konstrukt, es existiert nicht. Weder Tiflis noch ganz Georgien könnten in einem einzigen Bild gefasst werden. Und deshalb will ich kurz auf etwas hinweisen, das ich wichtig finde:

Alles ist genau so, wie du es siehst. Ich sehe Tbilisi durch meine Augen und jeder einzelne Mensch, dem ich am Tag begegne, denkt anders über diese Stadt.

Bisher habe ich nur von extrem schönen Erlebnissen berichtet. Das heißt nicht, dass das Leben hier in Tbilisi eine Blumenwiese ist, auf der Sorgen nicht existieren. Es war auch nicht meine Absicht, dieses Bild entstehen zu lassen. Sondern ich will davon schreiben, was mich bewegt, begeistert und fasziniert und das gerne teilen. Und in den ersten beiden Wochen hier hat eben einfach sehr Schönes den größten Eindruck bei mir hinterlassen 🙂

Also eine kleine Bitte an alle, die meinen Blog lesen: setzt meine Wahrnehmung nicht gleich mit der Realität (in Tiflis/Georgien) und verallgemeinert einzelne Beobachtungen / Erlebnisse nicht. Ich zeige euch meine Wirklichkeit, trotzdem erschafft sich immer noch jede Person ihre eigene Welt. Mein Tbilisi ist anders. Anders als das des Straßenverkäufers, des Taxifahrers, der Erasmus-Studentin, anders als das jedes anderen Freiwilligen, jedes anderen Touristen und ganz sicher anders als deines, wenn du hier wärst.

Alles, worüber ich schreibe, sind nur kleine Ausschnitte aus meinem großen, bunten, chaotischen Leben hier. Subjektive und selektive Segmente, die viel darüber verraten, wie es mir geht, was mich beschäftigt und wer ich hier bin. Aber kaum was darüber, wie Tbilisi objektiv gesehen ist (sofern man an objektive Realitäten glaubt :D)..

Die Erzählung von dem schönen Tag gestern wird deshalb verschoben (aufgeschoben ist nicht aufgehoben), stattdessen will ich euch kurz an ein paar kleinen Dingen des Alltags teilhaben lassen.

Den absolut irrwitzigen Straßenverkehr hatte ich ja bereits erwähnt. Tbilisi ohne hupende Autos will ich mir inzwischen aber auch gar nicht mehr vorstellen. Nicht auszudenken, wie viele Unfälle passieren würden, wenn sich die Autofahrer nicht irgendwie warnen, bevor sie einfach drauf losfahren. Maximal verwirrt war ich übrigens auch, als mir einmal auffiel, dass ich gerade in einem rechtsgesteuerten Auto sitze. Hab ich etwa übersehen, dass hier Linksverkehr herrscht? Nö. Hier fährt man rechts; aber eben nicht nur in links-, sondern auch manchmal in rechtsgesteuerten Autos. So einfach ist das.

Dann sind da die vielen Straßenhunde. Hört sich vielleicht bedrohlich an, ist es aber nicht. Ich glaube, ich habe noch nie einen Straßenhund bellen sehen oder rennen hören (oder andersrum). Dafür sieht man sehr viele davon an allen möglichen Stellen in der Stadt einfach schlafen, oder zumindest teilnahmslos rumliegen.

Wer auch manchmal alleine, aber häufig in Grüppchen unterwegs ist: Security-Männer. Sie sind überall. Auffällig präsent, genau wie die Vielzahl an turtelnden Pärchen. Nur ein Zufall? Man weiß es nicht.

Auf meinem Arbeitsweg über die Brücke, von der aus man die auf einer Anhöhe thronende Sameba-Kathedrale gut sehen kann, beobachte ich täglich Menschen dabei, wie sie kurz hinüberblicken, stehen bleiben und sich dann mit gesenktem Kopf bekreuzigen. Die (Orthodoxe) Kirche scheint hier eine wichtige Rolle zu spielen.

Und zum Schluss zum Essen: Lebensmittelläden haben hier 24/7 auf, auch die kleinen. Unvorstellbar für die Arbeitskräfte, aber natürlich sehr praktisch – ich hab‘ mich sofort dran gewöhnt. Auch im Restaurant läuft’s anders, als ich es von zuhause kenne: geht man als Gruppe essen (oder auch nur zu zweit), ist es ganz normal, dass man nicht unbedingt zusammen isst. Wo ich bis jetzt überall an Bars / Cafés / Restaurants war, hat es allgemein relativ lange gedauert, bis das Essen serviert wurde. Und es kam gesondert und nicht gleichzeitig mit dem meiner Tischgenossen. Warten, bis auch die ihr Essen kriegen ist hier definitiv nicht die Lösung. Lieber allein essen als kalt ist das Motto. Nicht schlimm, nur anders. Die neidigen Blicke, wenn das eigene Essen als erstes kommt, muss man halt aushalten – oder eben teilen 😀

So, das war’s erstmal. Ich geh‘ jetzt ins Bett, habe einen relativ ermüdenden und langen Tag in der Arbeit hinter mir. Und generell immer noch das Gefühl, Schlaf nachholen zu müssen.

Also gute Nacht, ihr Lieben! Und was auch immer sonst so passiert, morgen ist ganz gewiss ein neuer Tag mit neuem Himmel und neuen Möglichkeiten 🙂

 

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