Maze Runners

„Just follow me and run as if your life depends on it. Because it does.“

Dieses Zitat aus dem Film „Maze Runners – Die Auserwählten“ passt auch zu der Haltung, die man braucht, um hier in Hanoi eine Straße zu überqueren. Einfach im richtigen Moment loslaufen und hoffen, dass man sicher auf der anderen Seite ankommt. Mit so einer Straßenüberquerung begann mein erster Arbeitstag am Goethe-Institut (zu meiner Arbeit dort schreibe ich aber in einem anderen Eintrag mehr, dieser hier dreht sich um die Wohnungssuche in verwinkelten Gassen, die sich teilweise wie waschechte Irrgärten anfühlen) und so begannen auch einige unserer vielen Wohnungsbesichtigungen. Der Abwechslung halber folgt eine beispielhafte Erzählung einer Wohnungsbesichtigung in Dritter Person (die nicht exakt so geschehen ist, sondern aus verschiedenen Erlebnissen auf unserer jetzt schon 5 Tage andauernden Wohnungssuche zusammengesetzt wurde).

Nach einer aufregenden Fahrt durch die schwülwarme Saunaluft des spätsommerlichen Hanoi (lasst euch von dem Wort spätsommerlich nicht täuschen – es ist so heiß wie im deutschen Hochsommer) auf einem Motorradtaxi stehen die drei wohnungslosen Freiwilligen vor einer weiteren Herausforderung. Vorschriftsgemäß hat der Taxifahrer sie am rechten Straßenrand aussteigen lassen, doch trennt sie so eine vierspurige Einbahnstraße von ihrem Ziel,
einer Häuserzeile direkt neben Bahnschienen. Keine Ampel in Sicht und Zebrastreifen dienen hier eher als Deko, als als Fußgängerüberweg nach der Straßenverkehrsordnung. Wie sollen sie also dieses Hindernis überqueren? Bei den schmaleren Straßen in der Altstadt nehmen sie normalerweise allen Mut zusammen, passen eine Lücke ab und laufen los, aber hier? Schließlich sehen sie die Rettung: Eine Treppe in der Nähe führt in den Untergrund – gibt es in Hanoi eine U-Bahn?! Die Neugier siegt und so steigen sie hinab… Der Schacht entpuppt sich nicht als U-Bahn-Station, sondern als Unterführung und so kann das Hinderniss vierspurige Schnellstraße überwunden werden und sie gelangen an ihr Ziel und stehen vor einer Häuserwand, in deren unteren Geschossen Schreinerwerkstätten untergebracht sind.

Sie fragen sich, wo die Wohnung, die sie besichtigen wollen, wohl ist, denn sie wurde als ruhig beschrieben und die Straße hinter ihnen ist alles andere als ruhig. Es herrscht zu jeder Tages- und Nachtzeit Verkehr, manchmal sogar mehr als das Gedränge, das sie momentan betrachten dürfen und gehupt wird alle paar Sekunden. Obwohl sie nur wenige Minuten auf den Makler, der ihnen die Wohnung zeigen wird, warten, sind sie bald sehr verschwitzt. Wie gut, dass sie nicht im Juli oder August angekommen sind, dann könnten sie wohl ohne Fächer oder Handventilator keine 5 Meter laufen.
Ein freundlicher Vietnamese begrüßt sie und bedeutet ihnen, ihm zu folgen. Durch ein schmales Gässchen, das ihnen vorher nicht aufgefallen war, gelangen sie in das Labyrinth. Dass in der Adresse die Zahl vor dem Straßennamen nicht die Hausnummer ist, wird ihnen klar, als die 278 Le Douang Street mehr als nur ein Haus bezeichnet. Es scheint sich um die Bezeichnung einer ganzen Gasse (oder des ganzen Gassensystems?) zu handeln. Nach mehreren Abzweigungen gelangen sie zu einem hübschen Tor, hinter dem sich ein schmales hohes Haus befindet.

Sie werden gebeten, kurz zu warten und nachdem ein junger Mann mit Schlüssel da ist, kann das Haus betreten werden. Sie treten ein und schauen sich um. Das Wohn- und Esszimmer mit Kochzeile macht einen guten Eindruck, es gibt einen Kühlschrank, zwei Kochplatten, eine Mikrowelle, einen Reiskocher, Geschirr im Schrank, einen Esstisch und einen Couchtisch mit passenden Stühlen – es ist alles da, was sie in einer möblierten Wohnung erwartet haben. Was sie verwundert ist jedoch, dass sogar noch mehr da ist. Scheinbar frisch gespültes Geschirr steht auf dem Abtropfgitter, ein Regal voller Bücher steht an der Wand, Stifte liegen auf dem Tisch, ein Banner mit der Aufschrift ‚Merry Christmas‘ hängt traurig an nur einer Aufhängung von der Wand und auf dem Esstisch steht neben mehreren Wasserflaschen auch eine halbvolle Wodkaflasche. Auch im ersten Stock, in dem sich zwei geräumige Schlafzimmer mit komfortablen Betten und ein Badezimmer befinden, ist auch noch anderer Kram, der (nach Meinung der Freiwilligen) nicht unbedingt zu der nötigen Ausstattung einer möblierten Wohnung gehört – Bücher, Stifte, eine PC-Maus und ein Schloss. Ist das hier etwa so üblich? Auch der dritte und vierte Stock (mit Dachterasse!) macht einen guten Eindruck, wären da nicht die Überbleibsel vorheriger Bewohner. Müssen die drei nicht unbedingt muskelbepackten jungen Mädchen das alles etwa selbst ausmisten, in ihrer knappen Freizeit?

Auf Nachfrage löst sich dieses Problem: Vor Einzug in die Wohnung wird eine Putzkraft das Haus entrümpeln, saubermachen und kaputte Sachen reparieren. Das wäre also geklärt, stellen sich nur noch die Fragen nach dem Preis des potentiellen Zuhauses und ob Strom und Wasser miteinbegriffen sind. Außerdem: Ist die Gegend sicher? Gibt es einen Bus in der Nähe? Ist nicht ein kleiner Rabatt für sie möglich, das Haus wird ja schließlich einige Zeit bewohnt werden? Hat die Waschmaschine Heißwasser?
Abgeschlossen wird das Gespräch mit dem Versprechen, sich zu melden. Vor der Tür stehen die Freiwilligen wieder vor der Aufgabe, aus dem Labyrinth herauszufinden. Ein Glück, dass der freundliche Makler mit nicht ganz perfekten Englisch-Kenntnissen wohl einen imaginären Faden der Ariadne besitzt und die orientierungslosen Deutschen sicher aus dem Irrgarten der Häuserschluchten führt. Sie brechen auf zu weiteren Besichtigungen und wenn sie nicht gestorben sind, dann suchen sie noch heute (und können sich nicht entscheiden)…

Epilog:
Wirklich ganz und gar orientierungslos? Nein, ein paar Tage später kommt den Mädchen eine Gasse, durch die sie auf dem Weg zu einer Wohnungsbesichtigung von einem anderen Makler zu einer anderen Adresse gehen bekannt vor. Wie es das Schicksal so will, bekommen sie genau die selbe Wohnung (aber zu einem anderen Preis) erneut gezeigt. Das bringt abgesehen von einem bisschen Verwirrung auch Spaß in die ernste Angelegenheit der Suche nach einem Zuhause für ein halbes Jahr.

 

Randnotitz: Der Fairness halber muss ich zugeben, dass die Inspiration für einen Blogeintrag in Form einer Geschichte, nicht meinem Kopf entstammt – ich habe sie von Eileen, einer Freiwilligenkollegin in Saigon, deren Blog auch lesenswert ist (https://kulturweit.blog/phoreal/). Die Handlung wurde jedoch aus persönlichen Erlebnissen zusammengestückelt und hat daher auch keinen Anspruch auf Objektivität oder Allgemeingültigkeit (Postskriptum im Sinne der fairen bzw. neutralen Berichterstattung).

4 Gedanken zu “Maze Runners

  1. Hallo Theresa, seit heute darf ich Deine Reise in die Ferne mit-lesen….klasse: Deine Aufbruchs-Lust….und die konsequente Planung! Wünsche Dir alles, alles Gute, ich denk an Dich….habs gut und sei beschützt…herzlich konrad

  2. Haha, ich bin gerade durch Zufall über deinen Blog Eintrag gestolpert & fühle mich sehr geehrt.
    In jedem Fall drücke ich die Daumen, dass ihr zeitnah eine Wohnung findet!
    Liebe Grüße aus dem Süden, Eileen

    • Dankeschön, dein Blog ist aber auch echt gut geschrieben und die Idee hat mir einfach gefallen.
      Zum Thema Wohnungssuche habe ich sogar eine frohe Botschaft: Wir haben eine Gute im Zentrum gefunden und ziehen morgen ein!

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