Besuch von der Familie

22. August 2012
von Nuri Hamdan

Unglaublich. Ein lang herbeigesehnter und immer weit weg scheinender Moment ist gekommen. Nach fast neun Monaten in China, nach nervigem Einladungen und Reiseplan Schreiben und Hin-und Herschicken stehe ich spät abends aufgeregt am Hongkonger Flughafen und warte, dass meine Mutter, mein Bruder und mein Onkel 40 Minuten nach ihrer Landung endlich in Sichtweite kommen.

Da endlich, drei bekannte Gestalten mit viel Gepäck erscheinen auf der Bildfläche. Die Freude ist riesig. Mein kleiner Bruder plötzlich auch.

Die nächsten Tage ist Sightseeing in Hongkong, die Aufnahme in den Kreis der Mit-Stäbchen-Esser, Macao und schließlich Shenzhen angesagt. Schön, dass sie endlich sehen, wo ich die letzten Monate gelebt habe. Die Highlights werden stolz präsentiert: Das beste Essen, die verstecktesten Märkte und schönsten Parks inklusive abendlicher Tanztreffen, Workout an den Fitnessgeräten und Hochzeitsmarkt. Es ist seltsam die einzige zu sein, die Chinesisch spricht.

          

     

Eine Pechsträhne und ganz viel Glück

Doch dann verzetteln wir uns bei der Verspeisung eines köstlichen Fisches, den wir ausgesucht hatten als er noch lebte und verpassen prompt den Zug, der uns nach Guilin bringen sollte. Das muss natürlich ausgerechnet passieren, wenn meine Familie da ist. Da kommt aber die chinesische Flexibilität zum Einsatz. Mein bereits Monate im Voraus ausarbeiteter Reiseplan wird schnell umgestellt, die Tickets nach einer ewig dauernden Anstehaktion im unmenschlich vollen und schwülen Bahnhof umgetauscht (nur noch 1.Klasse-Tickets da, auch egal), kurzerhand eine Unterkunft organisiert und die Besichtigung Guangzhous vorverlegt.

Am nächsten Tag sind wir sehr pünktlich am Bahnhof, nochmal den Zug verpassen muss ja nicht sein. Doch als wir gerade zum Bahnsteig gehen, fällt mir auf, dass meine erst vor wenigen Monaten erstandene Kamera fehlt. 20 Minuten wie im Film in Panik durch den Bahnhof Gerenne, alle fragen, ob sie sie gesehen haben und sogar einem Securitymann meine Handynummer geben  bringen alles nichts. Sie ist weg. Ich fahre also mit meiner Familie erster Klasse in die berühmten Karstberge von Guilin, eine der schönsten Landschaften Chinas und habe keine Kamera.

Erstmal eine Nacht darüber geschlafen die Touristenschwärme hinter sich gelassen, ist die Landschaft aber wirklich wunderschön, daran ändert auch meine fehlende Kamera nichts und ich kann es tatsächlich genießen. Zwischen den Bergen hindurchfahren, die man schon so oft auf Bildern gesehen hat, mit der Familie, die man so lange nicht gesehen hat (und die vorher noch nie so viel geschwitzt hat), ist einfach unbeschreiblich. Was diesen Urlaub perfekt macht, ist, dass eine Freundin aus Guangzhou, die ich verzweifelt kontaktiert habe, meine Kamera am Bahnhof tatsächlich wiederbekommen hat. Ein Sicherheitsmann hatte sie gefunden und im Fundbüro abgegeben.

Die 14stündige Rückfahrt in meiner Geburtstagsnacht, die wir sitzend und schlaflos hinter uns bringen, tut unserem super Eindruck von Yangshuo auch keinen Abbruch.

Der Abschied

Zurück in Shenzhen heißt es vor allem erstmal Schlafen und das vorher noch nicht probierte Essen essen. Dann sind zwei Wochen auch schon vorbei. Obwohl wir wissen, dass wir uns in etwas länger als einem Monat wiedersehen werden, ist der Abschied hart. Plötzlich wieder alleine durch die Stadt zu laufen, den Bus zu nehmen und in der Wohnung sein ist ungewohnt und das kalte Gefühl der Einsamkeit schleicht sich in die Wohnung.

 

Doch Besuch von der lieben Franzi und Johanna+Freundin, leckere gebratene Nudeln von meinem Nudelmann, ein schöner Kochabend mit einer chinesischen Freundin, ein Kinobesuch (die chinesische Version von „Meet the Parents“) und die überraschende Entdeckung einer Gemüse-und Fleischspießschar mitten in der Nacht ganz in der Nähe vom Campus, ließen die Einsamkeit ganz schnell verschwinden. Ich habe übrigens letztens in der U-Bahn sogar jemanden gesehen, der auf seinem Smartphone ein Spiel spielte, bei dem man die Rolle eines Spießebraters übernehmen musste: Bestellungen aufnehmen, Spieße lange genug anbraten, wenden, würzen, Geld kassieren. Ziemlich anspruchsvoll und sehr chinesisch.

Aber auch von meinen chinesischen Freunden musste ich schon Abschied nehmen. Zwei von ihnen studieren nun in den USA. Vor unseren Abreisen gingen uns ähnliche Gedanken durch den Kopf. Ihre Ängste, Zweifel und Sorgen konnte ich gut verstehen. Sie waren nicht viel anders als die, die ich vor meinem Flug nach China hatte.

Über eine Neuigkeit habe ich mich sehr gefreut: Eine Freundin, die in die USA gegangen ist, hat Deutsch als Fremdsprache gewählt. Wegen mir, hat sie gesagt.

 

Zur Werkzeugleiste springen