umwerfend. unbeschreiblich. wunderschön. Der Norden Yunnans. Oder: Der Weg ist das Ziel
Während die Schüler an meiner Schule und in ganz China ihr Gao Kao (vergleichbar mit dem Abitur) schrieben, ihre Familien mitfieberten und der Unterricht ausfiel, machte ich mich auf nach Yunnan, einer Provinz im Südwesten Chinas, von der ich mir sehr viel versprach. Ich wurde nicht enttäuscht.
Ich war 10 Tage unterwegs, habe wunderschöne alte Städte gesehen, bin drei Tage durch die Berge gewandert, habe auf dem offenen Feuer gekochtes, von den Menschen dort selbst angebautes Gemüse und selbstgeräuchertes Fleisch gegessen, war bis auf 3700 m überm Meeresspiegel, habe majestätische Berge gesehen, habe erlebt, wie schnell eine Gruppe zusammenwachsen kann, habe mir einen Sonnenbrand geholt, habe die ruckeligsten Busfahrten erlebt und dabei eine unbeschreibliche Landschaft gesehen, habe Angehörige der ethnischen Minderheiten mit ihren schönen bunten Haartrachten gesehen, bin beim Anblick des unbegreiflichen Sternenhimmels erstarrt und beim Versuch den riesigen Vollmond zu fotografieren gescheitert, war begeistert von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, habe eine Idee von Tibet bekommen, habe wunderschöne Sonnenauf- und Untergänge gesehen, habe das Wasser aus Bergflüssen und -seen getrunken, bin unter einem Wasserfall hindurchgelaufen und wollte nicht mehr weg.
Mein Plan war es von Shenzhen über Guangzhou nach Kunming zu fahren, von dort aus dann nach Lijiang, wo ich eine chinesische Freundin treffen wollte, die ich über Couchsurfing kennengelernt hatte, um dann mit ihr und ihrer Freundin nach Shangri-La zu fahren. Von dort aus sollte es für vier Tage in die Berge gehen zum Wandern. Die Zeit war begrenzt, also hatte ich leider nur einen ganz kurzen Zwischenstopp in Kunming, wo meine Mitfreiwillige Mila mir einen kleinen Einblick in ihr lustiges, verrücktes Leben dort gewährte. Besonders ihre Lieblingsstraße mit den süßen Cafés und Restaurants hat mir sehr gut gefallen. Ich würde gerne nochmal nach Kunming fahren, die Stadt hat einen sehr entspannten Eindruck hinterlassen.
Mit dem Nachtzug ging es weiter nach Lijiang, das ich später noch etwas länger sehen würde. Doch an dem Tag sollte ich dort nur meine Reisebegleiterinnen für die nächsten Tage treffen und in den Bus nach Shangri-La umsteigen. Die beiden Medizinstudentinnen aus Guangzhou, die den praktischen Teil ihrer Ausbildung im Krankenhaus absolvieren, hatten ihren Stundenplan so umgestellt, dass sie einen Monat frei hatten, um zu reisen. Ihre Lehrerin sollte davon aber allerdings lieber nichts wissen. Sie waren schon ein paar Tage unterwegs gewesen, als ich zu ihnen stieß. Allerdings hatten sie bis dahin kein Glück mit dem Wetter gehabt und machten sich Sorgen, da es möglich wäre, dass wir die Spitze des „Snow Mountain“ nicht zu sehen bekommen würden, wenn es bewölkt sei. Doch in Lijiang hatte es die Tage zuvor auch geregnet und an diesem Morgen schien die Sonne. Also blieben wir auf der ca. fünfstündigen Fahrt optimistisch.
In Shangri-La angekommen, machten wir uns erstmal über leckere gegrillte Gemüse- und Fleischspieße und traditionellen Joghurt her und schlenderten anschließend durch die schöne, kleine Altstadt. Dort sollten wir das letzte Mal Toursitengruppen sehen, die einem fähnchentragenden Guide hinterherliefen. Denn es gibt sie tatsächlich: chinesische Rucksacktouristen, die individuell reisen, ganz auf Luxus verzichten, sich ins Abenteuer stürzen und die spektakuläre Landschaft genießen. Übrigens habe ich dank meiner chinesischen Freundinnen die chinesische Art zu reisen kennengelernt. Man reist leicht, bringt wenig Gepäck mit, dafür wäscht man abend seine benutzten Klamotten im Waschbecken. Deshalb gibt es in den Hostels auch immer Kleiderbügel und Wäscheleinen, auf denen man seine nasse Wäsche zum Trocknen aufhängen kann.
Abends trafen wir einen weiteren Guangzhouer, der sich den englischen Namen „Ken“ gegeben hatte, und den meine Mitreisenden über Weibo (chinesisches Twitter) kennengelernt hatten, als sie herausfinden wollten, ob mein Zug von Kunming nach Lijiang Verspätung hätte. So erfuhren sie, dass Ken die gleichen Reisepläne hatte wie wir und so schließen wir uns zusammen. Beim Abendessen tranken wir einen speziell zubereiteten Tee, der mit Milch oder so versetzt war und der der Höhenkrankheit vorbeugen sollte.
Nach keine-Ahnung-wie-vielen-Tagen ohne Dusche, genoss ich das heiße Wasser im Hostel, kurz bevor der Strom für 20 Minuten ausfiel. Meine Mitreisenden waren ganz verwundert, dass ich keine Taschenlampe dabei hatte.
Am nächsten Morgen fuhren wir früh morgens mit dem Bus nach Feilai, unserem letzten Stopp vor der bevorstehenden dreitägigen Wanderung. Die Fahrt dauerte ungefähr sieben Stunden und führte uns auf größtenteils nicht asphaltierten Straßen die Berge hinauf. Dort eröffneten sich uns wundervolle Panoramen. Auf dem Weg gab es unzählige Baustellen, da viele Brücken gebaut werden, um den beschwerlichen Weg zu erleichtern und verkürzen. Auch sahen wir einige Fahrradfahrer, die gegen die Steigung der Berge ankämpften und die ich sehr bewunderte.
In Feilai, einem kleinen Örtchen mitten in den Bergen, machten wir uns auf den Weg zu unserem abgelegenen Hostel, von dem aus wir einen spektakulären Blick auf die schneebedeckten Berge hatten. Die Spitze des höchsten Berges lag unter einer dicken Wolkendecke, doch pünktlich zum Sonnenuntergang klarte es auf und alle Hostelgäste liefen aufgeregt auf die Terrasse und riefen: „出来了“ (chu lai le = [die Spitze] ist rausgekommen). Der Anblick war so majestätisch, dass es verständlich wurde, warum im traditionellen Glauben der Menschen dort, der Berg heilig ist und somit über Leben und Tod, alles Gute und Böse entscheidet. Ken sagte, es sei das Schönste gewesen, was er je gesehen habe. Auch wenn er das im Laufe unserer Reise noch bei einigen weiteren Gelegenheiten sagen sollte, stimmte ich ihm zu, es war einfach großartig.
Der Anblick von tibetischen Gebetsfahnen, die an heiligen Orten, also vor allem an und auf Bergen aufgehängt werden, sollte uns noch die ganze Reise über begleiten, genauso wie ein ständiger Lagerfeuergeruch in der frischen Bergluft. Denn gekocht wurde fast immer über einem Ofen, der mit Holz befeuert wurde.
Wow, Nuri, was für eine geile Reise du hattest! Unglaublich schöne Bilder hast du gemacht. Wenn ich bedenke, dass Fotos immer nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was es wirklich zu sehen gibt, möchte ich unbedingt mit dir diese Reise wiederholen. 🙂 Wunderschön!