So läuft das hier
Am Montag sollte ich eine Auszeichnung „for those who deserve to be appreciated“ bekommen, was ziemlich überraschend kam und ich weiß immernoch nicht, wofür genau.
Wie dem auch sei. Letzten Dienstag wurde ich früh morgens von einem Anruf geweckt. Man erwartete mich im Büro. Es ging, wie erwartet, um die bevorstehende Auszeichnung. Hatte ich noch insgeheim auf eine Übergabe eines Zettels im kleinen Kreis gehofft, wurden meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Ein ziemlich großes Event stand bevor, die Presse sollte dort sein und es sollte viele Auszeichnungen geben. Zu meiner Erleichterung wurde versichert, dass ich keine Dankesrede halten müsse, hatte ich seit meiner Inkenntnissetzung schon verzweifelt überlegt, was ich denn im schlimmsten Fall sagen sollte. Sollte ich auf Englisch reden? Oder doch lieber auf Deutsch? Erwarteten sie von mir etwa, dass ich meine Brocken Chinesisch zum besten gab? Sollte ich die Rede aufschreiben? Sollte ich meine Chinesischlehrerin erwähnen? Oder vielleicht meine Oma?
Gut, erster Punkt geklärt, aber da war noch eine Kleinigkeit. Es gab noch niemanden, der mir die Auszeichnung übergeben könnte. Ob ich denn einen Deutschen kenne, der etwas mit dem Programm zu tun habe und nach Shenzhen kommen könne, um die Aufgabe zu übernehmen? Ich überlegte. Kenne ich Deutsche hier? Meine Mitfreiwilligen und die Leute vom Goethe-Institut, die ich mit der Zeit kennengelernt habe kamen wegen der Entfernung und vollen Terminkalendern nicht in Frage. Müsse es denn unbedingt ein Deutscher sein? Ja, die Presse (hilfe, die Presse!) hätte gerne zwei Deutsche auf dem Foto. Bedauernd musste ich gestehen, dass ich nicht weiterhelfen konnte. Die Einladung eines Vertreters des deutschen Konsulats wurde dann doch nicht aufgelegt. Vielleicht doch etwas zu viel des Guten? Schließlich wurden ein Schüler und ein Lehrer, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, auserkoren.
Einige Schüler wurden ebenso auserkoren, um ein paar Fake-Unterrichtsbilder zu machen. Bei der Aufzeichnung sollten Fotos von mir gezeigt werden. Ich bereute sofort, dass ich in all den 5 Monaten hier immernoch kein Foto aus dem Unterricht gemacht hatte. Dies in der Deutschstunde am Nachmittag nachzuholen war ebenfalls unmöglich, da die Stunden sowohl am Dienstag als auch am Mittwoch ausfielen. Die Schüler hatten ein Basketballturnier.
Also traf ich mich nach der Schule mit Schülern, die nie in ihrem Leben Deutschunterricht gehabt hatten und gerade Mathe lernten in einem Klassenraum, um kurzerhand die Fotos schießen zu lassen. Die Glaubwürdigkeit sinkt erheblich dadurch, dass ich noch meine Jacke anhabe, aber ich habe wenigstens meine Tasche zur Seite gelegt. Es war auch kalt an dem Tag.
In der Nacht auf Montag hatte erstaunlich gut geschlafen. Pünktlich um 15:00 traf ich mich einer Sekretärin, die mich in einen für öffentliche Zwecke genutzten Raum, wo einige Sessel und auch eine Leinwand waren. Ich war beruhigt, denn anscheinend hatten sich die Pläne wohl geändert und es sollte doch eine kleine Feier werden. Als ich sah, wie schick alle angezogen waren, war ich froh, dass ich mich doch noch entschieden hatte, meinen bis dahin ungenutzt im Schrank hängenden Blazer angezogen zu haben. Als Kompromiss trug ich jedoch Chucks, da ich sonst nur Sandalen hatte. Das spiegelt besser den Alltag eines Freiwilligen wider, redete ich mir ein. Es stellte sich heraus, dass ich doch etwas sagen sollte. Leichte Panik stieg in mir auf, aber ich dachte, dass es vor den wenigen Leuten nicht so schlimm werden konnte. Ich unterhielt mich nett mit zwei Schülern über Unis in Deutschland, als es hieß, ich sei im falschen Raum. Also auf in ein anderes Gebäude, in dem die hohen Leute der Schule um eine große Tafel herum saßen, in den Reihen dahinter noch andere Leute. Dort nahm auch ich Platz und wurde mit Tee, Kuchen und Obst bedient. Auch nicht schlimm, dachte ich, das schaffst du schon vor dem Schuldirektor und den ganzen anderen sehr wichtig aussehenden Leuten etwas zu sagen. Ich wurde einigen Leuten vorgestellt, Ablaufpläne wurden verteilt und man versicherte mir, mir werde schon jemand sagen, was ich zu tun hatte. Der stellvertretende Schuldirektor richtete einige Worte an die ca. 30 Anwesenden. Langsam dämmerte es mir jedoch, dass das nur die Einführung war. Mein Sitzpartner erklärte mir, wann ich an der Reihe war und gab mir einen Zettel mit der Frage, die man mir auf der Bühne stellen würde: „As volunteer, would you ever have thought to be rewarded by those you helped?“ Tolle Frage, die man mit „Yes“ oder „No“ beantworten könnte. Ich versuchte mir etwas einfallen zu lassen, während wir uns auf dem Weg in die Sporthalle machten, in dessen 2. Stock die Schülermassen ebenfalls einströmten.
Die Tribünen der großen Halle waren fast alle besetzt. Ich erfuhr hinterher, dass fast 2000 Leute anwesend waren, darunter auch Gäste aus Shanghai und Beijing. Man führte mich in die Mitte der Halle, wo in der ersten Reihe vor der großen Bühne, neben den ganzen chinesischen Namensschildern, ein Platz mit dem Schild „Nuri“ reserviert war. Es fühlte sich alles sehr unwirklich an. Doch als es mit einem kleinen Film über die Schule losging, genoss ich es einfach nur noch. Schüler, die Clubs, wie den Umweltclub oder den Finanzclub gegründet hatten wurden ausgezeichnet, genauso wie Lehrer, die sich besonders engagiert hatten oder in Rente gegangen sind. Zwischendurch gab es auch einige Vorführungen des Chores. Ich tat es den meisten meiner Vorrednern nach und fasste mich kurz. Alles in allem war es doch nicht so schlimm wie ich erwartet hatte. Glücklicherweise durfte ich auf Englisch reden. Jedoch bezweifle ich, dass ich von allen verstanden wurde. Die Schule wurde von allen hochgelobt und es wurde uns wieder klar gemacht, wie toll die Shenzhen Mittelschule ist.
Nach der Veranstaltung wurden alle Ausgezeichneten zum Essen eingeladen. Wir mussten ständig aufstehen, als die wichtigen Leute der Schule von Tisch zu Tisch gingen um anzustoßen, bis die meisten Männer hochrote Köpfe hatten und das Festmahl, bestehend aus Garnelen, Muscheln, verschiedenen Gemüse- und Rindfleischgerichten, köstlichem Fisch, Ente und Orangen beendet war.
Auf dem Rückweg sah ich, dass am Schultor Plakate mit den Award-winnern aufgehängt wurden.
Auch wenn das Ganze nach meinem Geschmack ein wenig übertrieben war und meine Auszeichnung generell unnötig, finde ich, dass es in Deutschland ruhig auch mal Auszeichnungen für besonders engagierte Schüler oder Lehrer geben sollte. Meine größte Sorge jetzt ist jedoch, wie ich diesen Pokal nach Deutschland nehmen soll.
Oooooh, Nuri, wie AUFregend!!!
Und ich finde schon, dass du all das verdient hast!
Sag mal… – erkenne ich da wirklich DIE Ohrringe? Ich meine schon 🙂
Bin stolz auf dich, meine Liebe!
… Und ich hätte dich gerne unterstützt. Wenn ich noch da gewesen wäre, wäre ich deine Deutsche gewesen 😀
hey nuri,
das ist wirklich eine wunderschoen absurde geschichte, glueckwunsch!
viele gruesse
jojo