Ein ganz normaler Samstag

16. Oktober 2011
von Nuri Hamdan

„Wieso nur?“, frage ich mich, als ich mich gestern morgen um kurz vor 7 aus dem Bett quälte. Während ich normalerweise hier nie vor 8:00 aufstehe, sollte es gestern Morgen bereits um 8:00 Uhr mit dem Unterricht losgehen. Zu allem Überfluss fand dieser auch noch auf dem Junior Campus statt, von dem ich nicht wusste, wo er sich befand und ich deshalb ein Taxi dorthin nehmen musste.

Auf dem Weg von der Schule zur Taxihaltestelle (gibt es sowas in Deutschland?) fiel mir auf, wie viele Leute um diese unmögliche Uhrzeit schon auf den Beinen waren, darunter erstaunlich viele Schüler.

Den noch etwas verschlafenen Gesichtern der Deutschschüler, die ich kurze Zeit später antraf, war jedoch anzusehen, dass sie von Samstagsunterricht genauso wenig hielten, wie ich. Trotzdem hießen sie mich mit einem herzlichen Applaus willkommen, als die Deutschlehrerin mich vorstellte. Eine Schülerin machte sogar eiskalt ein Foto von mir mit ihrer Handykamera. Meine erste und vorerst letzte Aufgabe war dann Ä, Ö und Ü vorzusprechen. Die Schüler wiederholten brav. Danach folgte eine lange Phonetik-PowerPoint-Präsentation, die die Schüler fleißig abschrieben. Ich fühlte mich etwas an meine eigene Schulzeit erinnert (die mir schon ewig weit weg vorkommt): müde, gelangweilt, alle 5 Minuten auf die Uhr schauend, müde… Schließlich lernte die Klasse dann aber endlich doch noch die ersten Sätze, sodass ich am Ende der Stunde drei Mal bzw. zum gefühlten 1000sten, 1001sten und 1002ten Mal seit meiner Ankunft hier den Dialog „Guten Tag, wie heißt du?“- „Ich heiße Nuri. Wie heißt du?“ – „Ich heiße … . Wie alt bist du?“- „Ich bin 19.“- „Woher kommst du?“ – „Ich komme aus Deutschland. Woher kommst du?“- „Ich komme aus China. Tschüs!“ vorspielen durfte.

Juniorcampus

Am Ende der zweiten Stunde, in der sich nur eine Schülerin traute den Dialog mit mir vorzuspielen, fragte sie mich, warum auf einem Bild in ihrem Deutschbuch zum Thema „Essen“ jeweils drei Mal Käse, Joghurt und Wurst waren. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass es halt unterschiedliche Sorten gibt, die unterschiedlich aussehen und schmecken und dass da ein Mal Joghurt und ein Mal Quark sind, was nicht das gleiche ist. Sie hat mich ungläubig angesehen und meinte: „Das sieht doch alles gleich aus!“. Vielleicht sollte ich mal ein deutsches Frühstück veranstalten. Aber wo kriege ich die ganzen Sachen her?

Nach der Schule ging es spontan direkt mit drei Kolleginnen weiter zum Shopping. Wir gingen auf eine Art Bazar, in dem man sich in scheinbar unendich weiter verschachtelten, engen Gassen mit sich aneinanderreihenden. kleinen Läden gut hätte verlaufen und ganz viel Geld für Schuhe, Klamotten, Taschen und was man sonst so alles (nicht) braucht hätte ausgeben können. Ich hatte aber meine drei lieben Begleiterinnen dabei, die mich zu ihren Lieblingsläden brachten. Außerdem wollten sie mir alle unbedingt etwas kaufen, obwohl ich die ganze Zeit höflich aber bestimmt ablehnte. Schließlich haben sie sich aber doch durchgesetzt und jetzt sind drei neue Accessoires in meinem Schrank. Unter anderem dieser Hut, von dem alle drei so begeistert waren. Als sie mir den aufsetzten, dachte ich, sie machten nur Spaß. Deshalb realisierte ich zu spät, dass sie ihn mir wirklich gekauft hatten. Vielleicht kann ich ja an Karneval ein Fest oder so veranstalten… Aber ich will nicht undankbar klingen, sie fanden die Farbe so schön und haben es wirklich gut gemeint! So schlimm ist er auch wieder nicht, oder?

Tolles Bild von mir mit diesem wunderschönen Hut

Abends bin ich dann noch spontan mit meiner Mitbewohnerin in ein klassisches Konzert eines schweizer Streichorchesters gegangen, wo ein 14 jähriger Pianist uns ziemlich beeindruckt hat (der kam natürlich nicht aus der Schweiz, sondern aus China) und viele Kinder im Publikum wie wild den Dirigenten imitierten. Insgesamt war es sehr schön. Auf dem Weg nach Hause-wir waren schon in der Metrostation- fiel mir plötzlich auf, dass mein Handy verschwunden war. Mein erster Gedanke: Es ist mir aus der Tasche gefallen. Ihr erster Gedanke: Es ist mir geklaut worden. In der Hoffnung, dass ich richtig lag, liefen wir nochmal zurück. Im Konzertsaal wartete es dann ganz einsam und verlassen unter meinem Sitz. Glück gehabt.

2 Kommentare
  1. 18. Oktober 2011
    Ursula permalink

    Liebe Nuri!
    Wahnsinn! Der Blog, dein Mut, und überhaupt! Ich bin sehr beeindruckt und haben mit viel Begeisterung und Neugierde deine Einträge gelesen. Ich habe keine Vorstellung von China und der Art dort zu leben. Darum ist es enorm interessant, etwas über den Alltag dort aus erster Hand zu erfahren. Die Leute scheinen gastfreundlich und unkompliziert zu sein – anders als die verschlossenen und argwöhnischen Deutschen. Es kling so, als würde es dir in China gut gefallen, das freut mich. Ich bin gespannt auf deine nächsten Berichte und Erlebnisse.
    Lass es dir gut gehen.
    Ursula

  2. Profilbild
    18. Oktober 2011

    Das Bild mit dem Hut ist der Hammer! 😀

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