Sydney, Surry Hills Am Wohnzimmerschreibtisch 14.09.2019 19.07 Uhr
Wie gut, dass ich immer dann in der Stimmung bin, etwas für den Blog zu schreiben, wenn ich im Grunde guter Laune bin. Dadurch scheint hier immer die Sonne, egal ob es regnet, oder wie jetzt, draußen schon stockduster ist. [40 Minuten später] Und während ich also zu späterer Stunde am Schreibtisch sitze, frage ich mich wie man wohl wissenschaftliche Mitarbeiterin wird, ob die Arbeit in der Forschung das ist was ich will und schreibe in der Folge eine Grußnachricht an die „Mutter“ meines Bachelorstudienganges Interdisziplinäre Russlandstudien und Zweitkorrektorin meiner Bachelorarbeit. So funktioniert ein Gehirn.
Eigentlich wollte ich von meiner Ferienwoche in Sydney berichten. Die ist schon wieder rum, schneller als gedacht und gewünscht. Da ich jeden Tag zwei bis drei Stunden an meiner 2000 Wörter-Analyse von Greta Thunbergs Rhetorik und des Netzwerks von #FridayForFuture schrieb, konnte ich mich nicht ganz von der Uni lösen. Doch was sind schon drei Stunden am Tag. Deswegen folgt ein Bericht, was sonst noch so anstand.
Letzten Sonntag zum Beispiel bin ich mit Alice zusammen sechs Kilometer zu einem neuen Markt spaziert UND zurück. Wobei spazieren mit Alice bedeutet, im Stechschritt zu laufen! Mit den Geschichten von Alice im Ohr und vor Augen kamen in mir die ersten Urlaubsgefühle auf.
Am Montag war ich zum ersten Mal seit mehreren Wochen wieder im morgendlichen Sonnenschein joggen – und nicht am Abend, oder auf dem Laufband im Uni-Fitnessstudio.
Dienstag bin ich durch einen für mich neuen Bezirk, direkt neben der Uni spaziert und las dann zwei Stunden in einem Park. Dieser „Ausflug“ war traumhaft schön. Ich saß in der warmen Nachmittagssonne auf einer Bank mit Blick auf einen kleinen Hafen und fühlte mich wie ein local. Und das, obwohl ich den Tag über nur schrecklich-schönen Deutsch-Pop in den Ohren hatte und auf Deutsch den Reisebericht eines englisch-amerikanischen Autors las. Vielleicht fühlte ich mich aber auch gerade deshalb so gut. Ich las und beobachtete Kinder dabei, wie sie von ihren Eltern abgehalten wurden ins Wasser zu hüpfen. Ich unterhielt mich mit einem älteren Herrn über die tolle Atmosphäre im Park und die ersten Brände in der Umgebung aufgrund der aufkommenden Wärme. Ich teilte mir die Bank mit einer telefonierenden Frau und umherfliegenden Vögeln und freute mich meines Lebens.
Mittwoch war ich wieder joggen und am Nachmittag setzte ich mich, um in Ruhe einen Brief zu schreiben in ein kleines Café bei uns in der Nähe. Dieses liegt an sich direkt an der Straße, aber ein Level weiter oben. Somit saß ich draußen, mal wieder im Sonnenschein und konnte ganz entspannt die Autos vor meinen Augen vergessen. Mir wurde heute übrigens bescheinigt, dass ich gut gebräunt aussehe– wahrscheinlich eine Folge des ständigen Sonne-Jagens.
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Donnerstag war ich schon recht früh und erstaunlich konzentriert in der Bibliothek. Am Nachmittag traf ich zum vierten Mal Vicky. Um sie in der Nähe von ihrem neuen Büro abzuholen, fuhr ich mit dem Zug über die Harbour Bridge und die sich mir bietende Aussicht war phänomenal. Aber das war erst der Anfang. Von der North Sydney Station spazierten wir zum Milsons Point, von wo aus sich ein toller Blick auf Sydneys Zentrum und das Opera House bot, inklusive Abendstimmung. Tatsächlich ist in North Sydney auch richtig was los. Es wirkte für mich so, als ob die beiden Teile der Stadt, also Nord und Süd, parallel zu einander existieren. Ist es nicht gerade aufgrund der Arbeit und sonstigen Verpflichtungen notwendig, fahren wohl wenige Menschen von einer Seite zur anderen übers Wasser. Nach unserer kleinen Aussichtspause schlenderten wir weiter über die Brücke und zum Opera House. Währenddessen ging langsam die Sonne unter und färbte den Himmel rosarot.
Auf dem Weg unterhielten wir uns unter anderem über die australische Leistungsgesellschaft. Arbeit wird von Australiern in der Regel sehr groß geschrieben! Viele arbeiten bis an ihr Limit und bekommen Valium verschrieben, damit der Stress und die Angst am und wegen des Arbeitsplatzes sie nicht erschlägt. Abgesehen davon, ist Drogenkonsum, wohl insbesondere Koks, auch keine Seltenheit. Das war auch schon öfter Thema bei Gesprächen in der Uni und in der WG. Alice regt sich auch oft darüber auf, dass bei ihr auf der Arbeit ständig davon ausgegangen wird, dass alle immer und mit Freude Überstunden machen. Hält man dagegen, plagt einen, oder in diesem Fall Alice, ein schlechtes Gewissen, denn irgendwer muss dafür sorgen, dass alles erledigt ist und dem entsprechend noch länger bleiben. Das steht im krassen Kontrast zu der Vorstellung von ständig entspannt am Strand liegenden Menschen.
Bei der Sydney Opera House Bar ließen wir uns nieder und mussten aufpassen, dass unsere Chips nicht von Möwen stibitzt wurden. Von der Opera aus bot sich ein sehr schöner Blick auf die leuchtenden Fenster der Hochhäuser in Wassernähe und als wir uns nach einer Weile weiter in Richtung China Town machten, leuchtete die ganze Stadt. Wie ich erfuhr, sind im Stadtzentrum donnerstags die Geschäfte bis 9pm geöffnet, wodurch noch viele Menschen unterwegs waren. Nach insgesamt ca. sieben Kilometern erreichten wir unser Ziel, ein kleines chinesisches Lokal. Dort stieß auch Clive, Vickys Freund, zu uns. Lustiger Weise befindet sich das kleine Restaurant, das mehr an einen Imbiss erinnerte, direkt neben der Bibliothek. Und es war wunderbar dekoriert, mit griechischen Trauben aus Plastik, die an der Decke hingen und einem Wandteppich mit Hirsch-Motiv. Gemeinsam bestellten wir unglaublich viel essen, unter anderem einen Tofu-Teller, der mich an das kleine koreanische Restaurant erinnerte, bei dem ich in Irkutsk wöchentlich Mittag aß. Dazu gab es unter anderem frittierte Auberginen und Auberginen Dumplinge – so fettig, aber soo lecker! Als ich letztendlich Zuhause ankam, lag ich erst einmal eine Weile mit meinem liebsten Lavendel-Kirschkernkissen auf dem Bauch im Wohnzimmer rum.
Freitag war ich vormittags beim freien PoleDanceTraining, um dann in der TownHall meine RaceBib für den Halbmarothon abzuholen. Ich war sehr überrascht, wie klein die Expo letztendlich war. Der Sydney Marathon ist berühmt, aber von der Größe her anscheinend nichts im Gegensatz zu Berlin. Und dabei gibt es vier verschiedene Läufe, die im Rahmen des Events stattfinden: 1) Halbmarathon 2) Marathon 3) BridgeRun 10K 4) FamiliyFunRun 3,5K. Dafür ging das mit der Startnummer richtig schnell und unkompliziert. Am Abend schloss ich den ersten komplett fertigen Entwurf für die Abgabe ab, so dass Alice Samstagfrüh kontrolllesen konnte. Ein tolles Gefühl!
In Sydney, vielleicht auch in ganz Australien und vielleicht auch weltweit, mal abgesehen von Berlin, wird das Oktoberfest ganz groß geschrieben. Dem entsprechend gibt es ein Event in der Uni, eine kleine Meile, ausgerichtet von einem Biergarten-Restaurant und die deutsche Woche bei Aldi. Wie Vicky mir erzählte, kann man in dieser Woche nicht nur besonderes Bier, sondern auch Tiefkühlbrezeln und Apfelsaftschorle kaufen. Wer sich noch darüber wundert, dass es hier Aldi gibt, dem sei ein kurzer Moment des Staunens gegönnt. Ich habe mich dort vor allem, über die große Auswahl bekannter Zahnpasta-Tuben gefreut. Nachdem wir uns also am Donnerstag über deutsche Produkte und vor allem über Brezeln unterhalten hatten, folgte ich Vickys Empfehlung und machte mich am Samstagmorgen zur deutschen Bäckerei. An dieser laufe ich fast täglich auf dem Weg zur Uni vorbei, ohne je etwas gekauft zu haben, nachdem ich feststellen musste, dass sie keine Müslibrötchen haben. In den Fialen von Luneburger arbeiten vor allem deutsche Mädchen, wobei der Chef wohl auch deutscher sein soll. Mit einem halben Kürbiskernbrot, einer Brezel für mich und einem Pfannkuchen für Alice, der dort ganz falsch als Berliner deklariert worden war, kam ich wieder Zuhause an. Da Toni arbeiten musste, fand unser WG-Toast/ PeanutButter/ Avocado- Frühstück somit nur zu zweit statt.
Danach machten Alice und ich uns zu einer Demo für ein neues Gesetz, was Abtreibung in NSW legalisieren soll. NSW ist wohl einer der wenigen Regionen Australiens, wo Abtreibung noch verboten ist. Trust the women, support the bill! Dieser schöne Spruch, ziert jetzt unseren Kühlschrank. Zusammen mit Postkarten aus Deutschland und Griechenland, Flyern zum Stadtgeschehen, Fotos und den Bildern die Pauline und Marlene mit zum Geburtstag gemalt haben. Nach der Demo ging es mit einer Freundin von Alice spontan noch zu einem Slow-Fashion-Market. Dort wurde Schmuck und Kleidung aus Australien verkauft. Als ich mit meiner Runde durch war und auf die Mädels wartete, wurde ich kurzerhand für einen Podcast Interviewt. Ich weiß ja nicht, ob der junge Mann mit meinen gestammelten Antworten zum Thema nachhaltige Kleidung wirklich etwas anfangen kann. Aber ich konnte immerhin auf diese Art und Weise Werbung für das neue Gesetz und für Adidas machen. Ob Adidas das verdient hat, ist eine andere Frage. In einer stadtbekannten Patisserie gab es meinen obligatorischen Mandelmilch-Chai-Latte und dann trennten wir uns von Hellen. Und während Alice mit dem Zug direkt nach Hause fuhr, stieg ich schon etwas früher aus und ging noch zu einer Kunst Messe: Sydney Contemporary. Alice war schon am Freitag dort, von der Arbeit spendiert, aufgrund des schlechten Klimas, da alle überarbeitet – und hatte sie mir ans Herz gelegt. Es gab wirklich viel zu sehen und nach 90 Minuten war ich überfüllt mit kunterbunten Eindrücken, von verspielt bis verstörend.
Zum phänomenalen Abschluss des Tages gingen wir am späten Abend mit Alices Eltern essen. Da Toni und ich mit am Start waren, hatte Alice sich für den immer sehr gut ausgebuchten veganen Mexikaner fast direkt vor unserer Haustür entschieden. Eine Top-Wahl und auch eine sehr angenehme Runde. Toni und Alice sind wirklich gute Freundinnen und ich fühle mich sehr wohl mit den beiden. Der Gedanke, dass ich schon in ein paar Wochen wieder ausziehe, stimmt mich daher immer wieder traurig. Welchen Schluss ziehe ich am besten daraus: Jeden Moment genießen!
Selbstverständlich endet eine Woche erst am Sonntag. Und dieser Sonntag ging früh los. Gestern lag ich schnurstracks nach dem Essen um 10pm im Bett. Denn heute klingelte schon um 5am mein Wecker. Natürlich war ich die Nacht über so aufgeregt, dass ich jede Stunde wach wurde, wobei das vielleicht auch am Vollmond lag. Mental gut vorbereitet, aß ich in der Frühe einen Apfel und ein paar Stücken vom selbst zubereiteten Energieriegel, zerschnitt noch schnell eine Strumpfhosen, um meine Arme auf dem Weg vor der Kälte zu schützen und lief zur Bahnstation. Dort waren auch schon viele andere Läufer und Läuferinnen und wieder auf der anderen Seite der Stadt startete um 6am der Sydney Half Marathon. Ich hängte mich optimistisch an einen Pacer, der laut Schild 1 Stunde 50 Minuten laufen wollte und das klappte super, über die Harbour Bridge und Kurven schlagend ins Stadtzentrum. Nach neun Kilometern, beschloss ich mich abzuseilen und langsamer zu laufen, nur um dann festzustellen, dass das vorgegebene Tempo für die angestrebte Zeit sowieso viel zu schnell gewesen war. So konnte ich die letzten elf Kilometer im 5.30er Tempo, also 5,30min pro Kilometer weiter laufen und schaffte es tatsächlich mit einer Zeit von 1h50min ins Ziel. Inzwischen war die Sonne hoch am Himmel und meine Laune dank der Endorphine grandios. Auch, wenn beim Berlin Marathon definitiv mehr Menschen und mehr Musik zur Unterstützung dabei waren, hatte ich meinen Spaß. Und dank des AdidasRunners Shirt, haben mir und habe ich immer mal wieder sonst sehr fremden Laufenden freundlich zugelächelt.
Inzwischen bin ich seit einer Weile geduscht und gestärkt wieder Zuhause. Gleich gehen Toni und ich auf den veganen Markt, wo ich mir ein Cap (Kopfbedeckung) kaufen möchte, dass mir dort schon vor einem Monat ins Auge gesprungen ist. Dazu dann evtl. später mehr.
Heute Abend kommen Cleo und ihr Freund nach Sydney! Cleo ist in der gleichen Ausreise wie ich ins Freiwillige Soziale Jahr gestartet. Da es für sie nach Lettland ging, sahen wir uns auf dem Zwischenseminar wieder und dann besuchte ich sie auch noch während meines FSJ-Urlaubs. Seit dem sind wir gute Freundinnen geblieben, nur dass wir uns bedingt durch verschiedene Wohnstädte selten sehen. Warum dann nicht also in Sydney. Cleo und Lerato werden zwei nächste bei uns bzw. in meinem Bett übernachten. Ich ziehe solange auf die Couch im Wohnzimmer. Morgen machen wir zusammen die Stadt unsicher, wobei genau Pläne noch nicht stehen. Es geht also aufregend weiter.
So, und jetzt ist dieser Eintrag auch schon wieder unendlich lang geworden… dann ist es ja auch nicht so schlimm, wenn es bis zum nächsten wieder zwei Wochen dauert, oder? Nichtsdestotrotz versuche ich mein Bestes zu geben.