Zwischen Fernweh und Heimweh

Wenn ich an die letzten Wochen zurückdenke, muss ich mir immer wieder vor Augen halten, was alles passiert ist, was ich und wir alles erlebt haben, was für unwirklich schöne Orte wir sehen durften und wen wir kennengelernt haben. Vor einem Monat durfte ich, nach langem Warten, endlich wieder „mi pololo“ in die Arme schließen. Ich konnte es kaum erwarten, Henrik alles zu zeigen, was mir in den letzten Monaten so wichtig geworden war, ihm die Menschen vorzustellen, die meine Zeit hier geprägt hatten und fühlte irgendwie auch die Verantwortung, „Chile“ von seiner besten Seite zu präsentieren. Dieses Vorhaben war natürlich unsinnig und ziemlich unverhältnismäßig. Erstens kenne ich nicht Chile, sondern einen kleinen Teil Santiagos. Und zweitens ist es nicht mein Einflussbereich, wie andere Menschen, auch die, die mir am nächsten stehen, ein anderes Land wahrnehmen. Was sie davon als Essenz mitnehmen, was von meinem Eindruck wahrscheinlich ziemlich abweichen kann. Trotzdem zeigte das auch, dass ich dieses Land und „meine“ Stadt auch irgendwo so lieb gewonnen hatte, dass ich dies auch meinem Liebsten vermitteln wollte.

Ich würde sagen, unsere Reise hat bei uns beiden großen Eindruck hinterlassen. Nachdem wir einige Tage Santiago erkundeten und auch ich die Stadt noch einmal mit ganz anderen Augen, verteidigender, überraschter, neugieriger, wahrgenommen hatte, machten wir uns auf den Weg nach Valparaíso. Wir suchten unsere Wege durch bunte Seitenstraßen, bewunderten die überbordende Straßenkunst und stolperten mitten in der Nacht eine enge Treppe zu einem versteckten Konzert herunter. Wir liefen, liefen, liefen, Treppen und Hügel hoch, bis wir hungrig die Aussicht auf die glitzernde Bucht genossen. Nachts sieht die Stadt, die sonst auch mal duftet und stinkt, lärmt und klingt, wie ein großer Haufen Diamanten aus. Ich denke, auch die „alternative“ Free Walking Tour servierte uns eher die touristischen, genießbaren Seiten der Stadt, aber das waren wir ja auch. Touristen. Wie es Touristen eben passiert, die groß und blond mit dicken Rucksäcken auf jedem Busbahnhof herumstehen, erfuhren auch wir die unschönere Seite des Reisens. Gleich am ersten Tag wurde mir der Geldbeutel geklaut und im Bus wurde es offensichtlich noch einmal probiert. Ein unschöner Beigeschmack – wobei mir der Geldbeutel von einer Fremden zurückgegeben wurde. Es gibt eben überall Menschen von jeder Sorte.

Bei einem Zwischenstopp entflohen wir dem nebligen La Serena in das sonnig strahlende Valle de Elqui, wo wir nach einem kleinen Bergaufstieg eine majestätische Aussicht genossen. Majestätisch ging es auch in San Pedro weiter. Solche Landschaften hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen: Wabernde Geysire bei Eiseskälte, rotbraune Mondlandschaften und schneebedeckte Vulkane. Oft mussten wir uns gegenseitig an den Arm fassen und lachten halb: „Wo wir gerade sind!“

Der absolute Höhepunkt war definitv die viertägige Jeep-Tour über die Grenze nach Bolivien. Unsere Reisegruppe war sehr sympathisch, genau wie unser Fahrer Roger. Da ich die einzige war, die Spanisch sprach, genoss ich den Vorteil, mich direkt mit ihm unterhalten zu können und seine Witze ungefiltert zu verstehen! Wir fuhren auf wunderschönen Umwegen durch die Hochebene zur größten Salzebene der Welt, dem „Salar de Uyuni“. Eine leuchtend weiße Fläche bis zum Horizont, so dass die Augen fast weh tun und der Verstand es gar nicht richtig erfasst. Die unglaubliche Schönheit wurde nur durch die Höhenkrankheit getrübt, die einem echt zu schaffen macht. Aber vermiesen konnte sie es uns nicht!

Nachdem ich Henrik wieder nach Hause, nach Deutschland, verabschieden musste, erwischte es mich, kurz vor Ende meiner Zeit hier in Chile, doch noch: dieses nagende Gefühl von Heimweh, das einen Schleier über alles legt, was du sonst lieb gewonnen hast im Ausland. Die winterliche Gemütlichkeit wird zu Nerv raubender Kälte, der tropfende Wasserhahn, über den du gelacht hast, treibt dich in den Wahnsinn und die Offenheit der Menschen kommt dir plötzlich oberflächlich vor. Doch schnell änderte sich meine Melancholie wieder in die Dankbarkeit, noch einen Monat vor mir zu haben.Vier Wochen, die im Fluge vergehen werden. Vier Wochen, in denen Santiago tagsüber mit frühlingshafter Wärme lockt. Vier Wochen, um in der Schule Dinge zu Ende zu bringen, die ich mir vorgenommen hatte. Vier Wochen, um noch einmal alle Lieblingsorte und –menschen so tief einzuatmen, dass ein bisschen davon in den Bronchien hängen bleibt und ein bisschen auch im Herzen.

Dieser Artikel hat 1 Kommentar

  1. Danke für die spannenden Nachtichten aus dem fernen Land. Hoffentlich wird Dir der Abschied nicht so schwer. Gute Heimreise und dann aufregenden Start in Maastricht.

Zur Werkzeugleiste springen