„Nein danke, ich bin Pazifist!“ wäre wahrscheinlich die richtige Antwort gewesen. Im Nachhinein kann ich gar nicht mehr genau sagen, was ich eigentlich darauf geantwortet hatte.
Alle Schüler um mich herum lachten. Ich war irritiert von der Frage und auch von der Reaktion der Klasse. Es war mein erster Tag an der Schule. Eigentlich sollten die Schüler nur ganz harmlose Fragen an mich richten. So etwas wie „Was machst du normalerweise am Wochenende?“ „Welche Hobbys hast du?“ „Schmeckt dir das chinesische Essen?“ Alles ganz übliche Fragen, eben bis auf die Frage nach dem Panzer fahren!
Die Wochen zogen ins Land, ich vergaß die seltsame Frage und hatte eine tolle Zeit hier in Ningbo. Aber ein Aufsatz über die Freizeitbeschäftigungen des Schülers, der schon mit mir Panzer fahren wollte, beunruhigte mich doch etwas. In ihm hieß es: „Am liebsten spiele ich World of Tanks, weil ich gerne Panzerfahrer werden möchte. Ich interessiere mich für die deutschen Panzer im 2. Weltkrieg: z.B. Tiger und Hetzer. Es macht Spaß!“
Das habe ich dann, schockiert wie ich war, auch gleich seiner Lehrerin erzählt, die mir entgegnete, dass es nicht unüblich sei, mit Panzermodellen zu spielen.
Ich persönlich finde das sowohl bei kleineren Kindern als auch erst recht bei diesem Elftklässler sehr befremdlich. Aber ich hielt mich an das Sprichwort „andere Länder, andere Sitten“ und schwieg.
Letzte Woche jedoch passierte etwas, was mich dann doch endgültig aus meiner tollen Zeit riss, und mich dann doch zum Handeln zwang: Zum Ende eines jeden Schuljahres schreiben die Schüler meiner Schule eine Schülerzeitung. Ich hatte mir überlegt, in diesem Jahr den Schülern Musik aus Deutschland vorzustellen, damit sie darüber dann in der Schülerzeitung berichten könnten. Natürlich sollten sie auch etwas über chinesische Musik schreiben.
Der oben schon mehrfach erwähnte Schüler kam dann ganz stolz nach der Unterrichtsstunde zu mir und berichtete fröhlich, dass er noch ein anderes Lied aus Deutschland kennen würde. Er würde daher gerne über dieses Lied schreiben. Ich fand es natürlich sofort super, dass er sich selbst so sehr einbringen wollte. Ich hatte den Schülern vorher schließlich erklärt, dass eigene Ideen immer willkommen seien. So bat ich ihn, mir den Titel einmal aufzuschreiben, damit ich auch im Bilde war. Der Titel und auch die Band kamen mir überhaupt nicht bekannt vor (aber man kann ja auch nicht alles kennen). Also schnell an den PC und nach Text und Melodie gegoogelt. Die Melodie klang zunächst ziemlich düster und auch den Text hatte ich nach mehrmaligem Durchlesen immer noch nicht verstanden (um ehrlich zu sein: überhaupt nicht verstanden). Diese veraltete Sprache und diese düsteren Zeilen – einfach merkwürdig. Weil ich vielleicht manchmal etwas misstrauisch bin, habe ich „Nazi“ zu meiner Suche hinzugefügt und war überraschend „erfolgreich“. Der Schüler war an einen Musikstil geraten, der in der rechtsextremen Szene recht beliebt zu sein scheint. Über die Band ließ sich nicht allzu viel herausfinden, da sie relativ unbekannt ist. Die Gäste, die mit auf dem Album musizieren durften, sind wohl in der rechtsextremen Szene sehr bekannt und werden von mehreren Netzwerken, die sich gegen Rechts aussprechen, als rechtsextrem eingestuft. Runen im Bandlogo, die häufig im Nationalsozialismus und noch heute von Rechtsextremen bzw. rechtsextremen Marken verwendet werden, gaben Aufschluss über eine mögliche Sympathie zum Nationalsozialismus. In anderen Stellungnahmen las ich etwas über eine fehlende Abgrenzung von rechtsextremen Gedanken und von Grenzen, die verschwimmen, auch von „dunkelgrau“.
Was tut man, wenn ein Schüler, der Spaß an deutschen Panzern des 2. Weltkrieges bekundet, einen Artikel über eines seiner Lieblingslieder halten möchte, das zufällig von einer Band geschrieben wurde, die sich nicht eindeutig von rechtsextremen Gedanken abgrenzen lässt?
Natürlich „Nein!“ sagen. Aber ganz so einfach ist das bei unserer Schülerzeitung nicht. Ich hatte schließlich mehrere Schüler zu Chefredakteuren ernannt und er ist ausgerechnet der Chefredakteur für Musik. Er darf also mitbestimmen, was unter der Rubrik Musik veröffentlicht wird und ich möchte nur ungern die Rolle des Zensors einnehmen.
Am darauffolgenden Wochenende war ich angespannt wegen des Themas und versuchte mich über die Band und den Musikstil zu informieren, Meinungen einzuholen und zu überlegen, wie man die Problematik am besten mit ihm besprechen könnte. Man muss ja auch bedenken, dass der Schüler noch keine großen Berührungspunkte mit der Deutschen Geschichte oder mit der kritischen Auseinandersetzung damit gehabt hatte. Mit dem Niveau des DSD 1 Diploms B1 ist das natürlich auch nur schwer möglich. Im Vordergrund des Gespräches sollte stehen, dass der Schüler nicht das Gefühl haben soll, etwas Schlimmes getan zu haben. Er konnte es nicht besser wissen. Mir ist auch nur zufällig aufgefallen, dass die Musik zweifelhaft ist. Außerdem war da noch die Frage, woher der Schüler eigentlich diese Musik kennt.
Das Gespräch verlief dann wesentlich entspannter als erwartet. Mit vielen Bildern und einer chinesischen Lehrerin, die an kniffligen Stellen übersetzt hat, habe ich mit dem Schüler über das Thema gesprochen. Ein kleiner, wenn auch viel zu schneller Ritt durch die Geschichte half dabei, dass der Schüler meine Bedenken verstand. Ohne mein Zutun schlug er vor, das Lied von seiner Festplatte zu löschen.
Sein nächster Aufsatz ist schon in Planung. Es soll eine Abhandlung über die Reeperbahn nachts um halb Eins werden. Der Schüler macht es also weiterhin spannend und die nächsten Wochen werden zeigen, ob wir uns darauf einigen können, dass er auch etwas über die negativen Seiten von Prostitution schreibt oder ob es bei der Aussage „die machen es ja nur wegen des Geldes“ bleibt. Es bleibt also aufregend.
Immerhin konnten wir uns auf den letzten Satz seiner Geschichte einigen: „In Hamburg sagt man Tschüss!“
Dieser eine Schüler:
steht natürlich weder stellvertretend für alle Schüler, noch für alle in China lebenden Menschen. Er ist eigentlich auch sehr nett. Er konnte dies wirklich nicht besser wissen und interessiert sich eben für Dinge, die mir sehr fremd erscheinen.