Es geschehen noch Zeichen und Wunder!
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle bereits mit dem (bis jetzt) auf sieben Teile angelegtem Bericht über meine zehntägige Osterreise nach Chile beginnen. Aber, wie meine Mutter immer so schön sagte: es geschehen noch Zeichen und Wunder. In diesem Fall während und nach meinem erstem katholischen Gottesdienst auf lateinamerikanischem Boden.
Bei besagtem Gottesdienst handelt es sich um den Eröffnungsgottesdienst des Schuljahres an meiner Grundschule. Das ist, fast genau einen Monat nach Wiederbeginn des Schuljahres, zwar ein bisschen spät dran, aber eben uruguayische Zeit. Für alle, die es nicht mehr wissen: bei meiner Einsatzstelle handelt es sich um eine kirchliche Grundschule, die deswegen auch Religionsunterricht und Schulgottesdienste anbietet, denn normalerweise gibt es das in Uruguay und auch in Argentinien nicht (dazu habe ich hier schon mal geschrieben). Katholische Pfarrer sind ja nun dem Klischee zufolge für überaus spannende, abwechslungsreiche und kindgerechte Gottesdienste berüchtigt, zumindest war es das der Dorfpfarrer in meinem kleinen bayerischen Kaff. Ihm fiel niemals etwas Besseres ein, als jedes Jahr als Dankandacht zur Erstkommunion die gleiche, langweilige, hundert Jahre alte Andacht aus dem Messbüchlein vorzulesen, mit entsprechender Reaktion der Kinder. Mit nicht allzu höheren Erwartungen ging ich also auch in diesen Gottesdienst, und siehe da, einmal mehr: ein Vorurteil. Eine so gute Messe habe ich seit der Firmung meines Bruders durch die Hand unseres blutjungen Weihbischofs nicht mehr erlebt.
Der Pfarrer machte gleich zu Beginn einen überaus freundlichen, ja gar gut gelaunten Eindruck, wie er mit einem breiten Lächeln durch die Reihen wanderte und sich einfach freute, dass die Kinder da waren. Einer, der weiß, wie man damit umgeht, wenn die Messbesucher aus Kindergartenkindern und Grundschülern bestehen. Nahe an den Menschen zu sein, das ist ganz im Stil des gegenwärtigen Papstes Franziskus, und genauso wie er war auch der Pfarrer von Nueva Helvecia nur in eine schlichte, weiße Albe ohne Obergewand und eine beige Stola gekleidet. So begann er den Gottesdienst nicht mit dem üblichen Kreuzzeichen, sondern mit: „Oh, ich habe doch glatt etwas vergessen!“. Ja, was hat er denn vergessen? Er frägt in die Runde, lässt einige Kinder raten, und sagt dann zum Schluss einfach nur: „Frohe Ostern!“
Und genau in dem Stil ging es weiter. Nix ablesen, nein. Den üblichen von der Katholischen Kirche vorgeschriebenen Messrahmen überlas er so schnell wie möglich, sodass die danebenstehende Ordensschwester schon Angst bekam, die Messe würde nicht mehr feierlich genug zelebriert werden. Stattdessen: immer wieder kleine Scherze, Fragen in die Runde, eine wirkliche aktive Einbeziehung der Kinder, um sich ihre Aufmerksamkeit zu sichern, mehr noch: um sie für das Thema, Ostern, zu begeistern! Eine Messe wirklich im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Jesusworts: „Lasst die Kinder zu mir kommen!“
Und dann die Predigt. Der Pfarrer tritt vor, das Mikro in der Hand, und witzelt: „Wir machen jetzt eine Art kleine Prüfung. Wenn ihr sie besteht, wird das Schuljahr gut!“ Und tritt in einen kurzen, aber intensiven Dialog mit den Kindern: „Weißt du überhaupt, was Ostern bedeutet? Was geschah denn am Karfreitag – oh, ich hab’s schon wieder vergessen, wer kann es mir sagen?“ Mehr ein Unterhalter oder noch mehr: ein guter Lehrer, als ein Priester, der seine Messe von der Kanzel herab am Gläubigen vorbei zelebriert. Und natürlich dürfen sich die Kinder während des Hochgebets hinsetzen, weil sie nicht so lange stehen können. Doch das Beste kam zum Schluss. Am Ende der Messe fragt der Dorfpfarrer von Nueva Helvecia: „Und, wie geht’s euch jetzt nach dem Gottesdienst?“ – „Bien…“, war die Antwort, „gut“, aber nicht mit sehr viel Begeisterung. „Und wie ging’s euch gestern nach dem Fußballspiel?“ – „¡¡¡BIEN!!!“. Man muss wissen, dass am Vortag Uruguay gegen Perú gespielt hatte und 1:0 gewann. Dazu eine bedauernde Grimasse des Pfarrers: „Oh, wie Schade… das ist leider eben so!“ Großes Kino.
Das eigentliche Wunder erlebte ich dann, als ich heimkam. Ich fand meine Gastmutter im Gartenstuhl sitzend vor, ein Buch lesend: die Bibel. Sehr verwunderlich, habe ich sie doch bisher nur ein einziges Mal in einem Gottesdienst gesehen (und zwar in diesem) und das auch nur, weil ich da was vorgelesen habe. Ich hatte sie also eher als praktische Atheistin eingeschätzt, als jemanden, der Glaubensdinge nicht so wichtig findet. Und nun liest sie auf einmal die Bibel, direkt, nachdem ich vom Gottesdienst heimkomme! So kann man sich in den Menschen täuschen.
Nachtrag
Wie ich erst später erfuhr, ist Padre Giuancarlos, wie der Pfarrer von Nueva Helvecia heißt, Italiener (wie der Name schon andeutet) und nur auf Zeit. Auch Pfarrer machen anscheinend Auslandsjahre. Dieser jedenfalls war zuvor in Ecuador, dann eben einige Jahre hier in Uruguay und kehrt nun wieder nach Italien zurück. Ich durfte jetzt also noch seine Abschiedsmesse im Colegio Mater Ter Admirabilis miterleben. Ohne jetzt ausführlich berichten wollen: er hat seine eigene Steilvorlage von Ende März wohl sogar noch getoppt. Ich konnte ihn zwei nur zwei Mal „in Aktion“ erleben, aber diese beiden Male haben mich überzeugt: Nueva Helvecia verliert mit Padre Giuancarlos einen charismatischen, engagierten, einfühlsamen und auch witzigen Pfarrer, mit dem der Messbesuch nicht zur lästigen Pflicht, sondern zur Freude gerät. Die Katholische Kirche braucht mehr Menschen wie diesen Mann!