Die vergangene Woche begann durch und durch normal. Am Montagmorgen wurde ich von dem leisen Stimmengewirr der Schüler:innen und dem, sich darunter mischenden, Schulgong geweckt. Geräusche, die in den vergangenen Monaten das Vogelgezwitscher oder wahlweise auch die Stimmen meiner Familie ersetzt haben, wenn es um mehr oder weniger sanftes Wecken geht.
Den Vormittag verbrachte ich mit Unterricht und dem Planen eines Projekts, eine Idee, die ein Lehrer hatte und an deren Umsetzung wir jetzt arbeiten. Um was genau es sich handelt, dazu kommen wir, wenn es soweit ist. Beflügelt von der vormittäglichen Produktivität schaffte ich es doch tatsächlich, bereits sämtliche Stunden für die kommende Woche vorzubereiten, ein Umstand, der mich in einem unverhofften Stadium der Entspannung verweilen ließ. Zumindest bis zum nächsten Tag.
Denn dann holte mich die weniger entspannte Realität ein, die da hieß: Feedbacks für Schüler:innen schreiben, neu angekündigte Stunden vorbereiten, Übungen entwerfen,… Zugegeben, ein wenig selbstverschuldet war der Stress schon, hatte ich mich schließlich selbst dazu bereiterklärt, diese Aufgaben zu übernehmen und war zudem noch mit Antonie verabredet.
Der Plan: endlich unseren Beschluss, die „Moravska Zemska Knihovna“, kurz MZK und auf Deutsch „Mährische Landesbibliothek“ zu besuchen, in die Tat umzusetzen. Gesagt getan und so trafen wir uns in der Stadt, von wo aus wir uns auf den Weg in Richtung Universitätsviertel machten. Da dieses Viertel sich am anderen Ende des Zentrums befindet, hatte ich dort bisher noch nicht so viel Zeit verbracht. Ein großer Fehler, denn es handelt sich wohl um eines der schönsten Viertel Brnos. Die Bibliothek selbst wurde dabei fast nebensächlich. Aber nur fast. Denn nach Monaten ohne Bibliothek genoss ich die ganz besondere Atmosphäre und stöberte in den zahlreichen Gängen der deutschen, österreichischen, englischen, amerikanischen und französischen Abteilung.
Fündig geworden verließen wir die Bibliothek und machten bei strahlendem Sonnenschein Halt in einem Café (wenn ich zurück in Deutschland bin, werde ich die erschwinglichen Preise, die mir meinen erhöhten Kaffee- und Kuchenkonsum ermöglichen, definitiv vermissen). Bei einer heißen Schokolade vertieften wir uns in Diskussionen über tschechische Milchprodukte (genauer gesagt schimpfte ich auf Englisch wie ein Rohrspatz, was für belustigte Blicke der anderen Cafébesucher sorgte) und die Frage, welche Sprache das Missverständnis, welches der absurden Ähnlichkeit der Worte „Stuhl“ und „Stůl“ (dt.=Tisch) zugrunde liegen muss, zu verantworten hat. Zu einer Lösung sind wir nicht gekommen.
Der Mittwoch war eine Achterbahn der Motivation (und der Gefühle), die auf, ich würde sagen, mittlerem Niveau startete und sich wie immer, wenn ich dann vor der Klasse stehe, ihrem Höhepunkt näherte, bevor sie durch die nicht ganz so frohe Botschaft des zweitägigen Onlineunterrichts abrupt gen Boden sauste. Grund dafür waren die vermehrten Coronafälle bei den Lehrkräften und natürlich ist es erstmal nur vorübergehend, aber die Sorge, dass wir uns angesichts der rasant steigenden Zahlen tatsächlich auf Schulschließungen einstellen können, scheint plötzlich nicht mehr so fern. Ehrlich gesagt ist das momentan das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Natürlich ist es angesichts der vielen Fälle irgendwo berechtigt, gleichzeitig mache ich mir aber auch Sorgen, was das mit den Schüler:innen und nicht zuletzt auch mit mir macht. Hatte ich gerade eben noch das Gefühl, endlich meinen Platz gefunden zu haben, sehe ich mich jetzt einer neuen Herausforderung gegenüber, auf die ich aufgrund meiner eigenen Onlineunterrichtserfahrung gelinde gesagt absolut keine Lust habe. Ich versuche momentan noch, das Beste zu hoffen, ändern kann ich an den Entscheidungen sowieso nichts und immerhin kann ich mir sicher sein, dass meine Einsatzstelle mich auch im Onlineunterricht bestmöglichst einbinden wird.
Den Donnerstag verbrachte ich dementsprechend größtenteils vor dem Laptop, bevor ich in einem Anfall von akutem Lagerkoller die Tatsache nutzte, in einer Schule zu wohnen und den Schulgang kurzerhand zur Laufstrecke umfunktionierte. Was verdammt langweilig klingt, war auch langweilig, aber im Vergleich zu dem Wind und Regen im Freien dennoch die bessere Wahl.
Auch den Freitag verbrachte ich in meiner Wohnung, wo ich schonmal meinen Rucksack für den bevorstehenden Wochenendtrip packte. Die Stimmung war noch immer leicht gedrückt, bis ich von einem Schüler eingeladen wurde, ihn und seine Mitschüler ins Restaurant zu begleiten. Kurzerhand sagte ich zu und so kam es, dass ich den Nachmittag mit Schülern des Abschlussjahrgangs bei Mangobier (sowas gibt’s tatsächlich und schmeckt besser als es klingt) und Gesprächen, die auf Tschechisch, Deutsch, Englisch und teilweise sogar Französisch geführt wurden, verbrachte.
Gerade rechtzeitig kam ich dann am Bahnhof an, um in meinen Zug in Richtung Norden, genauer gesagt Turnov, zu steigen. Dort wollte ich Rosina besuchen, deren Naturfreiwilligendienst leider schon bald endet.
In Turnov angekommen, schmiedeten wir bei einer Tasse Tee Pläne für die nächsten Tage. Fortbewegungsmittel (unsere Füße) und Ziel (so viel böhmisches Paradies wie möglich) standen fest und so mussten nur noch die passenden Routen gefunden werden. Zu meinem großen Glück kennt sich Rosina bestens in ihrer Arbeitsstelle aus und die Entscheidung war schnell getroffen.
Bevor es am Samstag allerdings losging, stand ein Besuch im Turnover Stadttheater an, in dem ein Stück für Kinder ab drei Jahren aufgeführt wurde. „Wortschatztechnisch dann ungefähr unser Niveau“ dachten wir uns selbstbewusst, mussten uns dann allerdings eingestehen, dass wir tatsächlich recht viele Wörter verstanden, den Zusammenhang und die Geschichte allerdings nicht so ganz herstellen konnten. Es ging um einen König, der dann ein Mädchen heiratete. Wie genau es dazu kam und was der vierte Charakter für eine Rolle spielte, das überstieg dann unsere Sprachkenntnisse.
Beim Verlassen des Theaters wartete dann allerdings eine Überraschung auf uns: strahlender Sonnenschein, der das Winterwunderland perfekt machte. Wir machten uns also schnellstmöglich auf den Weg und liefen los in Richtung Norden. Die gesamte Strecke über kamen wir aus dem Staunen nicht mehr raus, kletterten auf Aussichtspunkte und über Felsen, was aufgrund des Schnees manchmal eine ganz schöne Rutschpartie war und kamen nach fünf Stunden mit den letzten Sonnenstrahlen und in meinem Fall festgefrorenen Hosenbeinen am Bahnhof in Malá Skála an.
Zurück in Turnov verlagerten wir das Abendessen kurzerhand in ein liebevoll eingerichtetes und erschwingliches Bistro, bevor wir hundemüde aber glücklich ins Bett fielen.
Am Sonntag machten wir uns schon etwas früher auf den Weg, diesmal zuerst mit dem Zug in Richtung Süden. Und lasst euch gesagt sein: wer gerne Zug fährt, der sollte nach Tschechien, insbesondere in den Norden kommen. Denn hier werden im Gegensatz zu Deutschland selbst kleinste Strecken erhalten, jeder Zug hat seinen eigenen Schaffner, bei dem man das Ticket kaufen kann, der Zug hupt an jedem (teils ungesicherten) Bahnübergang und die Preise sind so niedrig, dass man nicht anders kann, also zu vergleichen, wie weit man damit in Deutschland kommen würde (Spoiler: nicht weit).
Der Rückweg führte uns vorbei an Burgen, die teils spektakulär auf/an die Felsen gebaut waren, Felsenmeeren und genialen Aussichtspunkten und ich habe mich endgültig und vollkommen in die Landschaft verliebt. Aber seht selbst:
Zurück in Turnov machten wir uns, begeistert von unserem perfekten Timing auf in das bereits erwähnte Bistro, um uns mit einem Stück Torte zu dem genial geglückten Wochenende gratulierten, bei dem wir jede Sekunde perfekt genutzt haben und das Glück, insbesondere was das Wetter angeht, definitiv auf unserer Seite war.
Jetzt sitze ich gerade im Zug zurück nach Brno, habe Prag bereits hinter mir gelassen und werde noch ein bisschen dösen, bis ich nach Hause komme.
P.S.: auch dieser Zug ist natürlich großartig: kostenlose Sitzplatzreservierung in Abteilen, saubere Toiletten, bequeme und geräumige Sitze und funktionierendes Wlan.
P.P.S.: Dieser Beitrag wurde nicht von České Dráhy gesponsert, auch wenn man das vielleicht denken könnte.
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