Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht! Es fühlt sich an als sei es gestern gewesen, dass ich den Beitrag über meinen ersten Monat hier in Brno verfasst habe.
Seither ist wieder unglaublich viel passiert. Ich habe mich immer mehr in die Stadt verliebt, habe viele andere Gegenden entdeckt und ständig etwas Neues gelernt. Zum Beispiel, das Mähren eine der regenärmsten Regionen Tschechiens ist, einer Tatsache, der ich die wenigen Regentage hier zu verdanken habe, wie ein Singlehaushalt so funktioniert oder wie lange sich bestimmte Dinge halten. An dieser Stelle ein kurzer Überblick: Zahnpasta (viel länger als gedacht), Duschgel (viel kürzer als gedacht), Zwiebeln (leider nicht so lange wie nötig), Mich (naja, wer meine letzten Beiträge gelesen hat, weiß Bescheid), Taschentücher (wo sind die bitte alle hin?),… Ich könnte noch ewig so weitermachen, aber um es kurz zu machen, „Learning by doing“ ist die beste und vielleicht einzige Möglichkeit, um herauszufinden, wie man das erste Mal alleine lebt, ohne im Chaos zu versinken.
Chaos ist ein gutes Stichwort, denn obwohl meine Wohnung meistens recht ordentlich ist, herrscht in meinem Kopf doch bisweilen ein ganz schönes Chaos. Gerade seit der Abreise meiner Familie sind immer wieder Fragen aufgetaucht: Warum machst du das eigentlich? Warum gehst du weg von den Menschen, die dir am wichtigsten sind, weg von der vertrauten Umgebung? Was wenn sich die Coronasituation hier noch weite verschlimmert und ich mutterseelenallein im Lockdown lande? Die Antworten darauf sind nicht immer leicht zu finden und das Gedankenkarussell lässt sich manchmal kaum bremsen, hat es einmal Fahrt aufgenommen. Mir war klar, dass es auch solche Phasen geben wird, aber sie überrumpeln einen dann doch immer wieder aufs Neue. Im Sinne von „fair berichten“ möchte ich sie aber auch nicht unter den Teppich kehren, denn sie gehören zu einem Auslandsaufenthalt einfach dazu. Und vor allem: sie gehen auch wieder vorbei. Beschleunigen kann man das meiner Meinung nach am besten, in dem man sich vor Augen führt, was man hier schon alles erleben durfte, wie weit man schon gekommen ist und vor allem, dass es anderen Freiwilligen genauso geht. In solchen Situationen bin ich immer wieder dankbar für die Freiwilligencommunity, in der man sich offen mit anderen Freiwilligen austauschen kann, in der Tipps gegeben werden und in der man auch einfach mal eine Pause von seiner Rolle als Freiwillige:r hat.
Denn mit der Dauer des Aufenthalts kommt auch das Nachdenken und kritische Hinterfragen der eigenen Rolle. Bin ich den Menschen hier wirklich eine Hilfe? Wer profitiert eigentlich von dem Freiwilligendienst? Die Einsatzstelle oder ich? Wie schaffe ich es, nicht als besserwisserische Deutsche aufzutreten, die aus einem Land kommt, in dem Dinge oft anders, nach der Meinung vieler, „besser“ gemacht werden? Den für sich besten Umgang mit diesen Fragen muss jede:r selbst finden. Ich möchte den Menschen hier auf Augenhöhe begegnen, egal in welcher Situation und ihnen zeigen, dass ich aufrichtig an ihrer Kultur, Persönlichkeit und Meinung interessiert bin, auch wenn letztere vielleicht nicht immer der eigenen entspricht. Den genau das bedeutet „über den Tellerrand schauen“ für mich: Bereit sein, Neues zu lernen, sich auf Andere einzulassen, Herausforderungen anzunehmen, Blickwinkel und Meinungen zu ändern und zu überdenken aber gegebenenfalls auch auf das was bereits auf dem „eigenen Teller“ liegt, zurückzugreifen und sich wenn nötig eine Zeit lang in seine Komfortzone zurückzuziehen.
Vor kurzem habe ich mit einer Freundin darüber geredet, wie uns unser jeweiliger Freiwilligendienst wohl verändern wird und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir das vermutlich vor allem merken, wenn wir wieder zurück in Deutschland sind. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich die Veränderung auf keinen Fall missen möchte und bin gespannt, welche Herausforderungen in den kommenden Monaten auf mich warten.
Trotz all dieser Ereignisse und Überlegungen, die sich in meinem Kopf abspielten und immer noch abspielen, ist natürlich auch in der Realität viel passiert.
Der Dienstag verlief nach der Verabschiedung von meiner Familie recht ereignislos, wohingegen der Mittwoch dann durchaus als ereignisreich bezeichnet werden kann. Ich bekam nämlich wie bereits angekündigt, Besuch. Und zwar von Pablo, einem Mitfreiwilligen aus Liberec. Aber der Reihe nach. Um von meinem Sprachkurs rechtzeitig zum Hauptbahnhof zu kommen, wollte ich zur Abwechslung mal die Straßenbahn nehmen. Blöd nur, wenn man sonst immer läuft und dementsprechend wenig Ahnung vom Brünner Straßenbahnnetz hat. Ich habe mich also mit Hilfe von Google Maps und ortskundigen Passanten bis zu einer Straßenbahnhaltestelle durchgeschlagen, an der mir weitere Passanten, sowie ein Fahrplan versicherten, dass die nächste Bahn zum Hauptbahnhof fährt. Von dieser Aufgabe wusste der Straßenbahnfahrer aber scheinbar nichts, denn nach zwei Haltestellen und mehreren Kreuzungen an denen wir definitiv nicht in Richtung Hauptbahnhof fuhren, war ich mir eigentlich nur bei einer Sache ziemlich sicher: diese Bahn bringt mich nicht dorthin wo ich hinwill. Also – raus aus der Bahn – den nächstbesten Passanten fragen – seinen irritierten Gesichtsausdruck als Bestätigung für meine Annahme, weit entfernt vom Hauptbahnhof zu sein, deuten und seinen Handbewegungen folgend über die Straße sprinten und in die dortige Straßenbahn hüpfen, hoffend dieses Mal auf dem richtigen Weg zu sein. Dem war dann auch so und ich kam schließlich rechtzeitig am Hauptbahnhof an, um Pablo abzufangen, der bereits dabei war, sich an den Straßenbahnhaltestellen zu verirren. Einander einmal entdeckt und unfallfrei die Schienen überquert war das Hallo groß und wir machten uns auf den Weg zu meiner Wohnung.
Wem sich jetzt die Frage stellt, warum wir unter der Woche Zeit für Besuche haben, der sei beruhigt, denn der Besuch war quasi rein beruflich. Wir wollten gemeinsam am Onlineseminar für „Jungend debattiert international“ teilnehmen, welches am Donnerstag und Freitag stattfand.
Der Donnerstagmorgen begann allerdings nicht gemütlich vor dem Laptop, sondern mit der schlechten Nachricht, dass das Wlan ausgefallen sei und wir machten uns dementsprechend erstmal auf den Weg in ein Café, von wo aus wir an der ersten Hälfte des Seminares teilnahmen. Was das Seminar selbst angeht, kann ich sagen, dass meine Erwartungen mehr als übertroffen wurden. Auch wenn die meisten anderen Teilnehmer:innen erwachsene Lehrkräfte waren, war die Atmosphäre entspannt, lustig und interessiert und die Probedebatten bisweilen durchaus hitzig. Insgesamt habe ich super viel über das Debattieren an sich, aber auch über Unterrichtsmethoden, um Schüler:innen das Debattieren näherzubringen gelernt. Dementsprechend haben meine Schüler:innen jetzt gar keine andere Wahl, als in den nächsten Stunden zu debattieren und ich freue mich schon, wenn es hier mit „Jugend debattiert“ endlich losgeht.
Vorher stehen aber noch die DSD-Prüfungen an, die gleichermaßen an den Nerven von Schüler:innen als auch Lehrkräften zerren und zunehmend den Deutschunterricht in den Abschlussklassen bestimmen.
Am Freitagabend machten wir uns dann auf den Weg ins Kino, denn eine Mitfreiwillige aus dem Goetheinstiut hatte uns Karten für das deutsche Filmfest organisiert. Der Film „Curveball“ in dem es um den Auslöser des Irakkriegs geht, ist absolut empfehlenswert und lies uns ein wenig schockiert über unser fehlendes Wissen und die Auswirkungen, die eine einzige Lüge oder eine einzige Person haben kann, zurück.
Am Samstagmorgen stand dann das nächste kleine Abenteuer an. Wir machten uns auf den Weg nach Olomouc, eine Stadt nahe Brno, die uns immer wieder als sehr sehenswert empfohlen worden war. Nach einem Wochenende dort, kann ich diese Empfehlung nur weitergeben, denn Olomouc steckt voller Sehenswürdigkeiten und Überraschungen. Aber seht selbst:
Für die Nacht hatten wir uns in einem kleinen Hostel im Stadtzentrum einquartiert, wo wir in der Küche Pablos neues Lieblingsabendessen, ein Vesper zubereiteten. Für alle, die wie viele meiner Mitfreiwilligen nicht wissen, was ein Vesper ist, hier eine kurze Erklärung: Als Vesper bezeichnet man im Süddeutschen die sogenannte „Brotzeit“, das „Abendbrot“ oder auch einfach die Tätigkeit, Brot zu essen. Dabei zählt eigentlich jede kalte Mahlzeit, die ein Stück Brot oder ein Brötchen involviert als Vesper. Das kann ein Käsebrot sein oder auch ein ganzes Sandwich und ist meiner Meinung nach eine super Alternative zum Kochen.
Am Sonntag ging es dann ausgeschlafen in Richtung Café, um dort zu frühstücken und anschließend nach einem kleinen Abstecher in den Supermarkt, zum Bahnhof aufzubrechen. Dort trennten sich unsere Wege und während Pablo in den Zug nach Prag stieg, nahm ich den Bus zurück nach Brno, wo ich den restlichen Sonntag mit Vokabellisten und Unterrichtsvorbereitung verbrachte.
Die kommende Woche werde ich vermutlich etwas ruhiger angehen, denn die Aufregungen der letzten Monate fordern ihren Tribut und mein Kopf und Körper schreien förmlich nach etwas Ruhe. Diesem Wunsch komme ich nur allzu gerne nach und freue mich schon auf eine hoffentlich ruhige neunte Woche hier in Brno.
Bis dahin,
Ahoj!
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