Gänsehautmomente (Woche 4)

Ahoj zu meinem vierten Beitrag, der gleichzeitig auch einen kleinen Meilenstein darstellt.

Vor genau einem Monat hat meine Reise begonnen und sie ist zum Glück noch lange nicht zu Ende. Die letzten Wochen haben sich wie eine Ewigkeit und gleichzeitig wie ein kurzer Augenblick angefühlt. Wie eine Ewigkeit, weil ich bereits in den vergangenen vier Wochen so viel Neues erlebt habe, dass es für ein ganzes Jahr reichen könnte, wäre da nicht der Hunger auf mehr. Mehr Abenteuer, mehr neue Erfahrungen, mehr Gänsehautmomente. Auf der anderen Seite ist die Zeit wie im Flug vergangen und wenn das so weitergeht, wird mein Freiwilligendienst schneller vorbei sein als mir lieb ist. Ich kann jetzt schon voller Gewissheit sagen, ein Jahr zu bleiben war die richtige Entscheidung.

Ich habe in der letzten Zeit stetig dazugelernt. Egal ob es um Tschechisch, Unterrichten, Kochen (daran, schlechte Milch zu erkennen, arbeite ich noch), Haushalt oder mich selbst geht. Als meine Vorfreiwillige meinte, der größte Haken an dem Freiwilligendienst werde wahrscheinlich sein, dass ich mich intensiv mit mir selbst auseinandersetzen muss, hatte sie Recht. Dadurch, dass ich immer wieder neuen Situationen ausgesetzt bin, merke ich, wo meine Stärken und Schwächen und wo meine Grenzen liegen. Und dieser Lernprozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Nun habe ich aber genug über die letzten Wochen philosophiert und es wird Zeit, ein wenig von der letzten Woche zu berichten, in der auch wieder jede Menge passiert ist.

Angefangen hat die Woche am Montag nach ein paar Schulstunden mit einem Besuch bei der Ausländerpolizei, um mich offiziell in Tschechien anzumelden. Ein kleiner Tipp an alle zukünftigen Freiwilligen: nehmt euch eine Begleitperson mit, die Tschechisch spricht. Denn die Annahme, bei einer Behörde für Ausländer:innen sollten die Beamt:innen Englisch sprechen können, erwies sich zumindest in meinem Fall als falsch. Nachdem ich dann aber erfolgreich angemeldet war, bekam ich noch eine kleine Stadtführung von dem Lehrer, der mich begleitete, bei dem es vor allem um die besten Restaurants und Cafés der Stadt ging. Ich weiß jetzt, wo es gutes vietnamesisches, indisches, mexikanisches und Essen im Allgemeinen gibt.

Außerdem bin ich seit Montag stolze Besitzerin eines Bügeleisens. Die Motivation, zu bügeln hat zwar mit dem Kauf schlagartig nachgelassen, der Besuch in einem noch immer kommunistisch angehauchten Haushaltswarengeschäft war aber dennoch ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte.

Ich finde, das ist ein ganz besonders schönes Bügeleisen

Auf dem Rückweg von meinem Sprachkurs war dann auch ich von den WhatsApp-Problemen betroffen. Dabei ist mir wieder einmal klar geworden, wie abhängig ich gerade in einem anderen Land von meinem Handy bin. Es dient mir als Kontakt nach Hause, Übersetzer, Straßenkarte, Nachschlagewerk, Kamera,… Kurzum, ohne mein Handy wäre ich vermutlich ziemlich verloren, auch wenn ich bisher immer von mir behauptete, wunderbar ohne mein Handy auszukommen.

Am Dienstag funktionierte WhatsApp dann glücklicherweise wieder, sodass ich die letzten Vorbereitungen für mein abendliches Abenteuer (was für eine schöne Alliteration…) treffen konnte: Rollschuhlaufen. Wer sich jetzt fragt, warum das ein Abenteuer ist, muss wissen, dass ich weder Rollschuhlaufen noch Inlineskaten kann und auch beim Schlittschuhlaufen mehr schlecht als recht meine Runden drehe. Wie ich dann zum Rollschuhlaufen komme? Ich wurde von meinem Klassenkameraden im Sprachkurs zum Training der Rollerderbymannschaft Brno eingeladen. Und ich muss sagen, ich hatte wirklich Spaß. Mein Nacken ist zwar immer noch steif von meiner einzigen(!) Bruchlandung, aber ich bin fest entschlossen auch zum nächsten Training zu gehen. Während ich mich erstmal damit beschäftigt habe, mich fortzubewegen, geht es beim Rollerderby eigentlich darum, dass eine Person der eigenen Mannschaft die andere Mannschaft überholt. Dabei ist Körperkontakt nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig (eine genauere Erklärung gibt es, wenn ich die Regeln verstanden habe).

Dem Mittwoch hat dieser Beitrag im Wesentlichen seinen Titel zu verdanken. Denn er war voller Gänsehautmomente. Angefangen damit, dass ich im Unterricht ein Lied als Lückentext behandelte und die Klasse anschließend fragte, ob wir das Lied noch singen würden. Ich war ganz ergriffen von so viel Begeisterung und noch dazu Gesangstalent, dass ich beinahe ein paar Tränen verdrückt habe.

Auf dem Rückweg von der Schule, es regnete und auch sonst waren die Umstände eigentlich überaus ungemütlich, stand ich dann wie schon so oft in den letzten Wochen an der Ampel und auf einmal überkam mich ein ganz eigenartiges Gefühl von Zugehörigkeit. Zu den Menschen, die wie ich möglichst schnell ins Trockene wollten, der Umgebung, die mir inzwischen fast so vertraut ist wie meine eigenen vier Wände und der Situation im Allgemeinen. Ich fühlte mich angekommen und das Gefühl ist auch seither nicht mehr verschwunden.

Nach so viel Euphorie und Glücksgefühlen standen dann am Donnerstag zahlreiche lästige Arbeiten wie Einkaufen, Putzen und natürlich Bügeln an. Ich habe gelernt, dass man besser nicht mit knurrendem Magen Einkaufen geht, denn dann hat man zwar hinterher einen vollen Einkaufskorb aber der ist nicht zwangsläufig mit benötigten Lebensmitteln gefüllt. Ich werde also in Zukunft erst etwas essen und dann einkaufen gehen.

Am Freitag war, wie sich das für einen Freitag in der Schule gehört, die Luft raus. Nicht nur bei mir, sondern auch bei den Schüler:innen. Dennoch hatte ich ein paar wirklich gute Stunden, was nicht zuletzt daran lag, dass ich tatsächlich so etwas wie Stolz empfand, als eine der eher schüchternen Klassen in einer Diskussion richtig auftaute. Ich merke, wie ich langsam eine Beziehung zu den Schüler:innen aufbaue, was wirklich ein tolles Gefühl ist. Außerdem endete eine Übungsstunde mit drei Schüler:innen in einem kollektiven Lachflash, an dessen Ende wir nicht mehr wussten, warum wir überhaupt lachen mussten und der einen weiteren Gänsehautmoment darstellte.

Am Samstag ging es mit einer Freiwilligen aus dem Geopark, die bereits am Freitagabend ankam auf eine Tour durch die Stadt, die von gutem Essen (wir haben ein paar Tipps von dem Lehrer ausprobiert) und intensiven Gesprächen über Dialekte, die oft einfach treffendere Begriffe haben als Hochdeutsch geprägt war. Am Abend gab es dann badisch/bayrische Apfelküchle mit Vanillesauce, da wir knappe zwei Liter Milch verwerten mussten und weitere Gespräche über die Vorteile von Dialekten. Hierbei sei gesagt, dass wir beide zu Hause im Vergleich zu unserem Umfeld eher hochdeutsch sprechen. Unsere Mitfreiwilligen haben uns aber zu verstehen gegeben, dass es zwischen unserem und tatsächlichem Hochdeutsch deutliche Unterschiede gibt. Auch meine Schüler:innen verzweifeln immer mal wieder an meiner Ausdrucksweise. So habe ich beispielsweise für Verwirrung gesorgt, als ich meinte, ich laufe regelmäßig zur Schule. Gemeint war natürlich „gehen“, die Schüler:innen hielten mich aber zunächst für eine Sportfanatikerin, die überall hinrennt.

Der Orloj, eine Uhr, die keiner lesen kann, aus der aber jeden Tag um Punkt 11 eine Murmel gerollt kommt.

Vom alten Rathaus aus hat man einen großartigen Blick über die Stadt.

Hinter diesem Durchgang verbirgt sich einer meiner Lieblingsorte in der Stadt – ein öffentlicher Garten.

Sogar Schafe gibt es dort.

Seeehr leckere Apfelküchle mit Vanillesauce.

Den Sonntag verbrachten wir in einem Technikmuseum in Brno, in dem wir zwar den Altersdurchschnitt deutlich anhoben (es war ein Erlebnismuseum), aber dennoch großen Spaß hatten. Besonders interessant war die Ausstellung zum Thema Behinderungen, die einem allzu deutlich vor Augen führte, dass unsere Welt noch lange nicht barrierefrei ist. Anschließend statteten wir der Brünner Messe noch einen Besuch ab, die wie so vieles hier für ihren funktionalistischen Stil bekannt ist. Außer ein paar Tauben waren wir aber die einzigen auf dem riesigen Gelände, was eine durchaus besondere Atmosphäre war.

Das verlassene Messegelände.

Die genauso verlassene Halle.

 

Abends wärmte ich mir dann die Vanillesauce mit übriggebliebener Milch auf, wofür mich ein Freund, mit dem ich davor noch telefoniert hatte und der noch kochen musste, zu diesem Zeitpunkt noch beneidete. Wie ich allerdings im Laufe des Abends feststellen durfte, war die Milch wohl in den letzten 24h schlecht geworden und sorgte bei mir für die bereits erwähnten Bauchschmerzen.

Nach diesem nicht ganz so glücklichen Ende der Woche freue ich mich umso mehr auf die bevorstehenden Tage und sage Měj se hezky!