der Wilde Westen

der Wilde Westen

“Hoch die Hände Wochenende”, würde ich wahrscheinlich jetzt jubeln, wenn ich in einer regulären Arbeitswoche wäre, aber dieser Samstag ist allerdings fast genau so gleich, wie die restlichen Tage meiner Seminarswoche, aber auch nur fast.

Als ich am Morgen aufstehe, will ich natürlich vom guten Wetter profitieren und starte den Tag mit einem kleinen Spaziergang. Mein Ziel ist nämlich den Trgovina Krk, den ich von meinem Zimmer aus erspäht habe. Dort decke ich mich mit einer Vielzahl an lokalen Spezialitäten und vor allem sehr viel Schokolade ein. Auf den etwas entsetzen Blick der Kassiererin, antworte ich nur schmunzelnd, dass ich Mitbringsel für meine Familie kaufe. Ostern steht nämlich vor der Tür. Darüber kann auch sie lachen und schenkt mir sogar noch ein paar Brocken Deutsch, die sie gelernt hat, mit auf den Weg.

Nach ordentlicher Produktivität im Vorbereitungsseminar, das Thema ist dieses Mal Berichterstattung und die jugoslawische Geschichte, schlurfe ich hinauf zu Đosi, um Mittag zu essen. Auf dem Weg begegnet mir Medo, der heute in sehr guter Spiellaune ist und mit mir ein wenig Ball spielen will. Das bedeutet bei ihm, dass er immer abwechselnd den Ball hinterherjagt, um sich anschließend selber zu belohnen, indem er an seinen Lieblingsknochen knabbert.

Beim Mittagessen, das laut Đosi nur auf die Schnelle zubereitet und trotzdem viel zu lecker ist, sprechen wir über alle möglichen Themen. Ich lerne sogar eine neue Vokabel: Cikla. Das bedeutet nämlich Rote Beete, die hier in Kroatien gerne zu allen möglichen Gerichten dazugegeben wird. Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich es einmal essen würde, schmeckt es wirklich gut.

Weil wir uns etwas verspäten, nimmt Đosi mich auf den Weg zu Sonja mit und wir machen am Friedhof halt, wo Đosi eine Kerze für ihren Vater anzündet. Hier in Kroatien ist es durchaus gang und gäbe, dass viele Trauerkerzen gekauft und angezündet werden. In Supermärkten findet man ganze Regal mit den roten Kerzen. In meiner säkular-protestantisch geprägten Heimat ist das eher untypisch.

Auch interessant ist unser Gesprächsthema auf der Autofahrt. Đosi erklärt mir nämlich ein essenzielles Problem der kroatischen Gesellschaft: Korruption. Zwar ist sie nicht so offensichtlich, wie in anderen Ländern, aber sie äußert sich auch in der apolitischen Haltung von jungen Menschen, etwas, was ich regelmäßig in der Schule feststelle.

So vergeht die Zeit für uns wie im Flug. Sonja hingegen ist nicht dieser Meinung. Während Đosi und ich den Morgen über Zuhause waren, hat Sonja Christian empfangen und mit ihm eine kleine Rijekatour gemacht. Die kroatische Pünktlichkeit, die ich mit den Worten “Samo malo.” entschuldigt habe, kommentiert sie nur ironisch.

Zusammen fahren wir mit dem Auto auf einen kleinen Roadtrip. Đosi möchte uns nämlich ein paar von den mehr oder weniger bekannten Schätzen Istriens zeigen. Deshalb verlassen wir Rijeka in westlicher Richtung nach Opatija und fahren durch einen großen Tunnel, der durch den Učka-Berg führt.

Als wir ihn verlassen, finden wir uns sogleich in der Region Istrien wieder. Begrüßt werden wir natürlich mit Baustellen. Immer wieder in regelmäßigen Abständen befinden sich am Straßenrand kleine Winkemänner, die mechanisch eine Warnflagge schwenken. Eigentlich sollen sie die Autos zum langsameren und vorsichtigeren Fahren bewegen. Dass das nicht wirklich funktioniert, merke ich recht schnell. Während Đosi uns erklärt, dass diese Strecke aufgrund der hohen Unfallquote sehr gefährlich ist, beobachte ich, wie der Tachozeiger die 100 begrüßt. Wir befinden uns in einer 40er Zone. Beruhigend ist dabei, zum Glück, dass alle Fahrer mindestens 100 fahren.

Unser erster Stopp ist die historische Hauptstadt Pazin, die sich im Zentrum Istriens befindet. Dort schlendern wir durch die Altstadt, wundern uns über Touristengruppen und hören dem Fluss zu, wie er in die Tiefe stürzt und unter der Erde verschwindet. An dieser Stelle sei einmal angemerkt, dass es im Kroatischen dafür einen Ausdruck gibt. Gemerkt habe ich mir das Wort natürlich nicht, typisch. Deshalb muss ich dieses wunderbare Spektakel mit meinem begrenzten Deutsch beschreiben.
Von Pazin fahren wir in ein Dörflern mit dem Namen Zarečje, wo sich die “Zarečki Krov”- Wasserfälle befinden. Der Weg dorthin gestaltet sich ein wenig stressig, weil Đosi sich nicht den Weg gemerkt hat und wir erst im Dorf ein wenig hin und her irren müssen, ehe wir die Wasserfälle finden. Glücklicherweise hilft uns ein Dorfbewohner auf seinem Tuk-Tuk-Traktor weiter, ein sehr langsames, stinkendes Gefährt.

Am Wasserfall werden wir jedoch mit einer wirklich schönen Szenerie beschenkt, die sich uns bietet. Der Fluss fließt in entspannter, kroatischen Ruhe dahin über die Felsen, bis er an eine kleine Klippe angelangt. Von dort aus fällt er ca. 5m hinab in ein schier endloses jadegrünes Becken. Die Atmosphäre ist wirklich friedlich und lädt zum Innehalten ein.

Auf dem Rückweg zum Auto entdecken wir allerdings, dass dieser Ort nicht ganz unbelastet ist. Graffiti an den Betonwänden fordern die Touristen auf, nach Hause zu gehen. Aufgrund des Massentourismus haben viele kleine Orte mit einem hohen Ansturm an Touristen zu kämpfen, die das normale Leben unmöglich machen.

Unser dritter und letzter Stopp auf unserer kleinen Reise durch den Wilden Westen Istriens, befindet sich in der Nähe von Kotli, wo Đosi zielsicher eine kleine Konoba mitten im Tal ansteuert. Hier essen wir zu Abend, umgeben von den Bergen und den Einheimischen, die sich in dem kleinen Restaurant treffen, um über Gott und die Welt zu diskutieren. Das Abendessen stellt sich als wirklich vorzüglich heraus. Ich bestelle mir Fuži, also Nudeln, mit Hühnerfleisch und dazu eine istrische Limonade. Dazu gibt es Fritule zum Nachtisch. Es ist das perfekte Essen, um einen erfolgreichen Tag abzuschließen.

Auf dem Heimweg fahren wir die Küstenstraße entlang und bewundern den Blick auf Rijeka bei Nacht. Die zahlreichen Bergstraßen ziehen sich wie Lichterketten entlang durch die hügelige Umgebung von Rijeka und in der Bucht spiegeln sich die Lichter der Stadt sowie der einzelnen Fischerboote wider. Bei diesem Anblick kann ich nicht anders, als mein Herz an Rijeka zu verlieren.

 

 

Rijeka

06.03.2021

Dieser Artikel hat 1 Kommentar

  1. „etwas verspäten“ – come on, zwei Stunden sind auch keine „kroatische Pünktlichkeit“ mehr 😉 Aber der letzte Satz besänftigt mich ein wenig.

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