3 Flüsse

3 Flüsse

Den Morgen beginne ich mit einem Spaziergang in die Stadt, weil ich mir weder in Samobor noch in Zagreb etwas zum Essen gekauft habe, bin ich an diesem Morgen nicht nur hungrig auf neue Erlebnisse, sondern vor allem auf etwas Leckeres zum Frühstück.
Ich mache mich also auf nach Ozalj, was etwa eine Viertelstunde von meiner Unterkunft liegt. Die Straße, die ich gestern im Dunkeln und im Halbschlaf entlanggelaufen bin, liegt nun im glänzenden Licht der Morgensonne. Um mich herum ist Raureif und vom Fluss Kupa steigen feine Nebelfetzen auf. Der Fluss fließt übrigens weiter nach Süden, nach Karlovac, was ich heute auch noch besuchen möchte.
Im Stadtkern angekommen, finde ich glücklicherweise eine Bäckerei, die sich als die beste Bäckerei meiner bisherigen Reise herausstellt. Für umgerechnet 2€ bekomme ich ein volles Brot und zwei äußert delikate und große Schokoladen und Kirschgebäcke dazu. Mit diesen Leckereien begehe ich mein Frühstücksbuffet auf einer Bank, die auf das Kupa-Tal hinabblickt.
Links von mir deutet sich schon die nächste Etappe meiner kleinen Stadtwanderung an: die Altstadt von Ozalj. Sie thront auf den Felsvorsprüngen über der Stadt und besteht aus einer mittelalterlichen Burg, die an diesem Morgen stolz in der Morgensonne strahlt. Ich laufe die Straße hinauf zur Burg, begleitet von zwei streunenden Hunde, die es auf sich genommen haben meine Begleiter auf dieser Stadttour zu sein.
Oben angekommen betrete ich die menschenleere Burg und werde sogleich von der wunderschönen und sehr gut instand gehaltenen Architektur (nicht selbstverständlich in Kroatien) überrascht. Was mir aber gänzlich den Atem verschlägt, ist der Ausblick auf die Umgebung. Von hier oben kann ich in die scheinbar unendlichen Weiten der Ebene schauen, aber gleichzeitig auch auf das Jade-grüne Wasser der Kupa, was sich an diesem Morgen völlig ruhig durch das Tal fließt. Es ist ein Blick der völligen Stille und Schönheit, wie sie nur ein so friedlicher Morgen bieten kann.
Meine weiteren Exkursionen starten erst nach getaner Arbeit und so kann ich gegen Mittag, nachdem das Online-Seminar vorbei ist, aufbrechen. Ich nehme den Zug nach Karlovac und komme am Hauptbahnhof an. Von dort aus gehe ich zu Fuß weiter in die Richtung des Stadtzentrums und überquere dabei erneut die Kupa, die hier in Karlovac allerdings weniger natürlich und dafür mehr zugemüllt ist. Manchmal ist es wirklich Schade, wie sehr die natürlichen Schätze vom Schmutz in ihrer Schönheit eingeschränkt werde.
Nichtsdestotrotz führe ich meinen Weg fort in die Altstadt. Zwar ist ihre Architektur äußerst schön in ihrem Charakter, allerdings ist sie auch sehr heruntergekommen. Ich finde die Sternenstadt, so heißt die Altstadt, mit oft menschenleeren Straßen wieder und es haben kaum Cafés geöffnet. Das alles wirkt ein wenig ernüchternd auf mich.
Drum beschließe ich, mich aus dem Stadtkern zurückzuziehen und mich zu dem Grüngürtel zu begeben. Dieser Gürtel liegt in einer Sternform, die Form von nachmittelalterlichen Verteidigungsanlagen, um die Stadt. Deshalb sammelt Karlovac bei mir ordentlich Pluspunkte für seine Parkanlagen, die sich weit ausdehnen und mein Verlangen nach Natur befrieden können.
Weil es so schön ist und die sommerlichen 20°C es zulassen, mache ich im Park ein kleines Nickerchen, bevor ich mich aufmache, um zum Kriegsmuseum zu wandern. Eigentlich ist der Tag so schön, dass man sich nicht mit einem so düsteren Thema wie Krieg auseinandersetzen sollte, aber ich habe noch eine Menge Zeit totzuschlagen, bevor mein Zug zurück nach Ozalj fährt. Zudem ist die jüngere Geschichte, insbesondere der Jugoslawien-Krieg aus den 1990er, immer noch sehr präsent in Kroatien.
Daran erinnert werde ich, als ich am Ufer der Korana an der Promenade in Richtung des Museums gehe. An der Seite des Weges stehen Panzersperren, die umfunktioniert wurden und zu Ehren der kroatischen Kampfeinheiten mit Plaketten versehen wurden. Es ist ein Anblick, den ich mittlerweile durchaus gewöhnt bin. Immer wieder finde ich in Städten, egal, ob groß oder klein, Denkmäler, die den Helden gedenken oder an den patriotischen Unabhängigkeitskrieg erinnern.
Auf dem letzten Stückchen der Strecke überquere ich die Mrežnica und betrete das Kriegsmuseum. Bevor ich jedoch überhaupt eintreten kann, werde ich von einer Unmenge an militärischen Waffen(-systemen) begrüßt, die draußen vor dem Museum stehen. Es ist ein Erlebnis, was ein wenig merkwürdig ist aus einer deutschen Perspektive. Zwar bin ich schon den durchaus patriotischen Unterton von kroatischen (Kriegs-)museen gewöhnt, doch eine Waffenausstellung hätte ich nicht wirklich erwartet. Das führt sich fort innerhalb des Museums. Ungefähr ein der Ausstellungsfläche besteht aus Waffen, die im Jugoslawien-Krieg von Kroatien eingesetzt wurden. Ich finde alles vom Maschinengewehr bis hin zum dekorierten Helm.
Das Museum beschäftigt sich ausgiebig mit der Entstehung des kroatischen Staates in den 90er, wobei sehr viel Fokus auf eine demokratische Legitimierung durch die 3 Referenden gelegt wird. Gleichzeitig wird die serbische Seite als Aggressor porträtiert. Nun, ich kann mir an dieser Stelle keine Urteile über die Geschichtsschreibung erlauben, weil ich weder mich in die historischen Tatsachen eingelesen habe, noch die serbische Perspektive kenne. Trotzdem möchte ich ein paar meiner Eindrucke schildern. Die Leserin oder der Leser sei an der Stelle sehr von mir angeraten selber sich über die Geschichte zu belesen und eine eigene Perspektive zu formen.
Mit diesen Dingen aus dem Weg führe ich meinen Gang durch das Museum fort. Neben den militärischen Aspekten geht die Repräsentation auch stark auf die zivilen Opfer des Konfliktes ein. Das ist ein Ansatz, den ich durchaus nachvollziehen kann. Er hilft den Konflikt nicht abstrakt und militärisch zu sehen, sondern eher persönlich, indem Fokus auf die persönlichen Tragödien gelegt wird. Ein Krieg wird nicht mit Zahlen oder Statistiken geführt, sondern mit Menschen. Allerdings fehlen dabei, meiner Meinung nach die Perspektiven von Serben, Bosniaken und Vertriebenen. Die Repräsentation ist drum, nach meiner Einschätzung, eher einseitig, was in mir den Verdacht aufkommen lässt, dass den Zivilopfern nicht gedacht wird, um vor der Schwere des Konfliktes zu warnen, sondern um auf den Preis aufmerksam zu machen, den die Erschaffung des kroatischen Staates hat.
Generell habe ich den Eindruck, dass im Museum tendenziell eher patriotisch-nationalistische Perspektiven gezeigt werden. Das schließe ich beispielsweise daraus, dass draußen vor dem Museum ein Zitat von Franjo Tudjman, dem ersten Präsidenten von Kroatien, geschrieben steht:
Always and everything for Croatia, and our only and eternal Croatia, not for anything.
Diese patriotischen Ausdrücke stehen im starken Kontrast zu Botschaften von Gegnern des Jugoslawien-Krieges, wie beispielsweise Milan Bandić, der an diesem Tag mit den Worten der stellvertretenden Zagreber-Bürgermeisterin beerdigt wurde:
Wir verabschieden uns heute von einem großen Mann. Einem wahren Patrioten und politischen Visionär und einem der größten Bürgermeister von Zagreb, der sein Leben dem Dienst an anderen gewidmet hatVor allem dem kleinen Menschen . Wir verabschieden uns von einem echten Humanisten und einem Befürworter einer Politik ohne Heuchelei und tiefer Ideologien. Einer Politik der Gleichberechtigung und Chancengleichheit für alle.
Bandić hat sich wiederholt gegen den Krieg ausgesprochen und war eine Person, die in allen der ehemaligen Jugoslawienländern, große Beliebtheit genossen hat.
Meinen Museumsgang schließe ich mit dem Innehalten im Erinnerungsraum ab, wo mich zwei essenzielle Symbole verabschieden, die ich immer wieder in kroatischen Museen entdecke: die kroatische Flagge und ein katholischer Rosenkranz.
Es ist schon eine einzigartige Erfahrung kroatische Geschichtsmuseen zu betreten, aber es verdeutlicht mir auch immer wieder, dass es eben Geschichtsschreibung gibt, die nicht völlig eindeutig und unkontrovers ist.
Meinen Rückweg trete ich mit einem weiteren Spaziergang quer durch die Stadt und hin zum Hauptbahnhof an. Von dort aus fahre ich zurück nach Ozalj und falle völlig geschafft ins Bett.

03.03.2021

Ozalj

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