Hey that’s Rude!

Hey that’s Rude!

Mittlerweile bin ich ganz gut geworden beim frühen Aufstehen. Um 5 Uhr klingelt mein Wecker, sehr zum Leid meiner Zimmergenossen, die in der anderen Ecke des Schlafsaals übernachten.

Na ja, man kommt ja nicht umsonst aus Sachsen-Anhalt, dem Land der Frühaufsteher. Motiviert bin ich natürlich trotzdem in hohen Maßen. So mache ich mich zunächst auf den Weg in die Stadt, um etwas Essbares aufzutreiben. Ohne Verpflegung, keine Bewegung.

Nach delikatem Frühstück vom Bäcker am Ufer der Granac, gehe ich wieder in das Hostel zurück, um am Morgen mein Arbeit zu erledigen. Schließlich steht die Arbeit immer noch vor dem Vergnügen. Viel tun, kann ich an diesem Morgen so wie so nicht, weil um halb neun mein Kulturweitseminar beginnt. Dort lerne ich die neuen Mitfreiwilliginnen aus Kroatien, Serbien und Albanien kennen.

Wirkliche Freizeit bekomme ich erst gegen Mittag zugeschrieben. Dort endet nämlich mein offizielles Seminarprogramm und ich kann mich meiner Lieblingsbeschäftigung in Samobor hingeben: Wandern. Dieses Mal möchte ich allerdings nicht an der dicht befahrenen Transitstrecke entlanglaufen und meine Lungen mit dem Abgasen der Autos abtöten.

Stattdessen beschließe ich eine Bergtour zu machen. Ich laufe also gen Nord-Westen aus Samobor hinaus und am Ufer der Granac entlang in die Richtung der tiefen Täler, die sich vor mir auftun. Doch, statt im Tal zu bleiben, wage ich den Aufstieg am Berg, um an Höhe zu gewinnen. Der Weg ist sehr steil und die Sonne strahlt auf den Berghang. So kann ich zum ersten Mal in diesem Jahr im T-Shirt wandern.

Auf meinem Weg begegnen mir neben den brummenden Bienen, den schönen Schmetterlingen auch die ersten Eidechsen des Jahres, die auf den Steinen versuchen ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. Sogar ein Fahrradfahrer rauscht mit Tempo 30 an mir vorbei. Ich weiß nicht, ob das noch mutig oder schon waghalsig ist.

Der Wanderweg, nach kroatischen Verhältnissen einmal wieder optimal gekennzeichnet, führt am Bergkamm durch die Buchenwälder. Ich kann drum die wunderbare Frühlingsatmosphäre genießen und nur gelegentlich die volle Aussicht auf die anderen Täler sehen.

Nach einer Weile gelange ich nach Palačnik, ein kleines Bergdorf, was sich an den Hängen versteckt. Aus dem Tal kann man es überhaupt nicht erkennen. Hier oben befindet sich eine Vielzahl an Datschen und Weingütern. Es ist nämlich für viele Kroaten ein Muss, dass sie über das Wochenende zu Wochenendhäusern fahren.

Die Route ist äußerst szenisch und führt mich direkt durch die Weingüter. Weil ich jedoch unter leichten Zeitdruck stehe, mache ich mich auf dem Rückweg und laufe entlang der Bergstraße zurück in das Tal. Das ist leider leichter gesagt als getan, denn von hier oben ins Tal hinuterzugelangen ist definitiv nicht einfach. Auch, wenn die Zeit drängt, legt der Ausblick alles daran mich zum Innehalten zu bewegen. Die Sicht ist vollkommen ungehindert und ich kann sogar bis nach Slowenien und dessen Alpenlandschaft sehen.

Auf meinem Talabstieg stoße ich aus Versehen noch über einen Berggipfel auf 523 Metern. Der „Mali” Črnec liegt mal eben 400m über Samobor. Wie soll man da nur hinuntergelangen?

Die Antwort verbirgt sich in einem der vielen Serpentinen, die ins Tal hinab führen. Das Problem ist bloß, dass man sich in diesem Labyrinth für einen Weg entscheiden muss. Natürlich entscheide ich mich genau für den falschen Weg und ende schnell in einer Sackgasse neben einem Hund der mich förmlich zerfleischen will.

In meinen aufsteigenden Verzweiflung frage ich einen Opi, der in seinem Vorgarten steht. Auf meine Frage antwortet er nur mit einem Handwink auf den Abgrund und erklärt mir, dass es dort zur Hauptstraße geht. Insgeheim wünsche ich mir, dass ich mir, dass ich den Djed einfach nur wegen seines Nuschelns oder des Akzentes missverstanden habe, aber es stellt sich heraus, dass er tatsächlich Recht hat. Das Wort “steil” beschreibt diese “Straße” nicht einmal annähernd. Im Prinzip handelt es sich eher um einen Felsstieg und ich fange an mich zu fragen, wie zur Hölle ein Auto diesen Weg hochfahren soll.
Nichts desto trotz stehe ich, nach einer kurzen Weile des Schreckens, unten im Tal an der Hauptstraße von Rude und kann mich auf den Heimweg machen. An der Granac laufe ich, dieses Mal flussabwärts, in Richtung von Samobor. Wie immer zieht sich der Rückweg wie Kaugummi. Talbiegung folgt auf Talbiegung. Insgeheim wünsche ich mir in diesem Moment, dass ich diese Gegend im Sommer erleben könnte, wenn alles grün ist und blüht. Für den Moment, muss ich mich allerdings mit der Frühlingslandschaft zufrieden geben. Schlimm ist das nicht wirklich, denn Schneeglöckchen und Primeln blühen in Massen am Wegesrand.

Auf der Hälfte des Rückweges möchte ich eine kurze Pause einlegen, um mich mit einer Banane zu stärken und um meinen Rücken auszuruhen. Prompt hält ein älteres Ehepaar im Auto an und bietet mir eine Fahrt nach Samobor an. Anscheinend muss ich so geschafft aussehen, dass sie Mitleid haben.
Auf der Autofahrt erzählen die beiden mir ihre Lebensgeschichte und ich erfahre, dass der Ehemann pensionierter Musiker ist, der auch in Stuttgart gespielt hat. Es fällt mir sehr schwer diese unglaubliche Offenheit gegenüber Fremden in Worte zu fassen. Dass die beiden mich als Fremden einfach aufnehmen und die Strecke fahren, ohne, dass ich sie gefragt hätte, ist wirklich nicht selbstverständlich.
Das Dorf Rude sammelt bei mir eine Menge Pluspunkte an diesem Tag.

Wieder in Samobor angekommen, verabschiede ich mich von dem lieben Ehepaar und laufe zum Zentralplatz.

Heute ist nämlich der erste Tag des Märzes, was in ganz Kroatien damit gefeiert wird, dass Cafés und Restaurants wieder geöffnet haben. Sowohl Christian als auch Sonja haben diesen Tag heute zelebriert, indem sie ins Café gepilgert sind. Drum will ich es ihnen gleichtun und bestelle mir eine Samoborska Kremšnita und einen Kaffee, während ich die letzten Sonnenstrahlen genieße. Bei einer 12km Wanderung, kann ich mir diese kleine Kalorienbombe wohl genehmigen. ;D

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