Vermissung und Vorfreude

Zunächst ist da die Chaloupe, meine Fähre nach Dakar. Ich hasse sie aus tiefstem Herzen, aber ich werde sie vermissen. Die blumenbehangenen Gassen von Gorée. Der Blick aufs Meer von meinem Fenster aus und der fünfminütige Fußweg zum Strand. Die Abendessen mit Lucie und Lise, wo wir uns über unseren Tag austauschen. Die unglaublich gute Kaffeemaschine im Goethe-Institut. Foodporn-Sandwiches mit Omelette und Frites am Straßenrand. Der omnipräsente Geruch nach frisch gerösteten Erdnüssen. Jeden Tag einmal die Augen schließen und die Sonne auf dem Gesicht genießen.

Mittagspausen auf der Dachterasse des Instituts. Mit Johanna Brainstorming machen. Den Vormittag mit meinem Computer und mehreren Tassen Tee im Lehrerzimmer vertrödeln. Die Möglichkeit, jeden Tag im Meer Baden gehen zu können. Taxis, die so viel kosten, wie es in München die U-Bahn tut. Die Lichter des Hafens bei Nacht. Bunte Kleidung. Unterricht halten. Französisch sprechen.

Meine diversen Freunde an der Fähre, deren Namen ich immer noch nicht weiß. Der Hausmeister Camara und die immer mürrischen Köchinnen. Das leise „Donkö“, wenn sich meine Schülerinnen bei mir bedanken.

 

Und dann ist da die Chaloupe, meine Fähre nach Gorée. Ich hasse sie aus tiefstem Herzen und ich freue mich sehr darauf, wieder jederzeit nach Hause zu können, wenn ich möchte. Meine Menschen wieder zu sehen. Direkt mit meiner Familie und meinen Freunden kommunizieren zu können. Sie in den Arm zu nehmen. Mit einer Tasse Tee auf dem grünen Sofa liegen. Fettarmes Essen. Ins Kino gehen. Siesta-Parks in der Stadt. Meiner Wege gehen zu können, ohne angesprochen zu werden. U-Bahnen im 10-Minuten-Takt. Verlässliches WLAN. Kirschmichl.

Flöte spielen. Im Chor singen. Skifahren. Saubere Luft atmen. Beachtung von Ampelsignalen. Gemäßigte Benutzung der Hupe. Sport machen. Shoppen gehen. Kochen und backen. Mein Kleiderschrank. Zeitung lesen. Sprudelwasser.

Nach Hause kommen.

Schritt für Schritt

Hallo meine Lieben,

einen Blog zu schreiben ist wie Duschen. Man braucht einiges an Überwindung, um einmal damit anzufangen, aber wenn man dann dabei ist, will man gar nicht wieder aufhören. Mein letzter Blogbeitrag ist wirklich schon eine Ewigkeit her und ich habe sogar überlegt, diese überschaubare Anzahl an Textchen, die ich übermütig Blog nenne, komplett einschlafen zu lassen. Aber nun gut, jetzt habe ich mich einmal überwunden, mit dem Schreiben anzufangen, und jetzt bekommt ihr auch einen Text.

Seit Mitte Dezember ist viel Zeit vergangen und ich hatte eine tolle, ereignisreiche Zeit. Dennoch sind die Wochen so unfassbar viel schneller verflogen, als es noch am Anfang der Fall war. Inzwischen hat sich tatsächlich eine Routine eingestellt und nicht jeder Blick aus dem Busfenster ist ein so eindrückliches Erlebnis wie noch zu Anfang.

Dennoch hat mir die zehntägige Reise in die Casamance und nach Kedougou, die ich in den Weihnachtsferien mit meinen französischen Mitpraktikanten gemacht habe, nochmal einen neuen Blick auf das Land eröffnet. Wir haben in diesen Tagen hauptsächlich sehr ländliche Regionen gesehen, teilweise waren es Bergdörfer, die nur zu Fuß zugänglich sind. Die Menschen dort leben ein sehr anderes Leben als die Menschen in der Großstadt Dakar und man fühlt sich so weit entfernt von allem, was politisch in der Hauptstadt des Landes passiert.

Apropos Politik: Im Moment ist die Stadt fest in der Hand des Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahlen Ende Februar 2019. Ich finde es sehr interessant, mit allen möglichen Menschen über Kandidaten, Chancen der Wiederwahl für Macky Sall und Wahlmanipulation zu reden. Wirklich professionelle Informationen zu bekommen ist aber reichlich schwierig (alles auf Wolof oder französisch infiltriert) und die Debatten sind sehr leidenschaftlich. Aus dem, was ich mir in den letzten Wochen an Wissen zusammengesammelt habe, ergibt sich aber ein nicht allzu positives Bild für den jetzigen Präsidenten Sall. Pünktlich vor den Wahlen ist er schwer damit beschäftigt, riesige (von China oder Frankreich finanzierte) Infrastrukturprojekte einzuweihen, so zum Beispiel eine neue Autobahn, die Gambia-Brücke und nicht zuletzt das neue Mega-Museum der schwarzen Zivilisationen (ja, da habe ich bei der Einweihung gesungen!). Auch der Bau von lauter neuen Wohnkolossen, die aber für den Großteil der Bevölkerung vollkommen unbezahlbar sind, ist natürlich reine Kalkulation, um für seine Wahlversprechen einzulösen und für seine Wiederwahl zu werben. Während das ja nur durchschaubar, aber noch legitim ist, ist es doch ein Skandal, dass die Verteilung der Wahlberechtigungen ungewöhnlich langsam vonstattengeht und ganz zufällig genau seine Gegner bis heute vergeblich auf ihre cartes electeurs warten. Auch die Neueinführung eines neuen Wahlsystems (zur Eliminierung eines Großteils der Kandidaten, unter anderem aller Frauen) und die Inhaftierung bzw. Verbannung ins Exil seiner zwei gefährlichsten Konkurrenten, zeigt eine Form der „Demokratie“, die kaum so genannt werden kann.

Die Wahlen werden aber erst nach meiner Abreise stattfinden, die in unglaublich großen Schritten näher rückt. Ich nutze meine verbleibenden zehn Tage aber noch gut, ich habe nämlich noch ein Projekt angestoßen, das alleine aus meiner Feder kommt und an dem ich im Moment jeden Tag arbeite. Ich habe unter dem Motto „Mein Lieblingsort“ ein Schreibatelier an einem Lycée in Dakar veranstaltet, aus den Ergebnissen soll am Mittwoch eine Ausstellung eröffnet werden. Das Ganze wird Illustriert mit Bildern, bereichert durch mündliche Berichte und ist angelegt als große Party (Es wird Musik, eine Schatzsuche, Buttons und Süßigkeiten geben! Kommt vorbei!). Eigentlich wollte ich für die Aktion noch mindestens zwei weitere Schulen in Dakar hinzuziehen, das war aber bisher schwierig wegen der zentralen Semesterprüfungen. Drückt mir die Daumen, dass ich noch alles schaffe, was ich mir vorgenommen habe!

Ach, dieser Text scheint mir zum Rundumschlag zu verkommen… Ich könnte noch über so vieles schreiben (Weihnachten ohne die Familie, Wüste, Surfen, Mitmenschen hier und und und…). Aber jetzt gibt es erst einmal Mittagessen und dann schauen wir weiter.

So, dieser Text ist nicht nur ein Rundumschlag, sondern auch ein Etappenbrief. Es ist nun 17:30 Uhr und ich sitze nach getaner Arbeit im Lehrerzimmer. Ich komme gerade von einer 120-minütigen Deutschstunde mit der Troisième, die sehr erfolgreich aber auch sehr intensiv war. Wir stehen wenige Tage vor einer wichtigen Deutschprüfung am Samstag, auf die ich die Schülerinnen seit mehreren Monaten vorbereite. Die Mädchen sind aber super fit, ich mache mir da überhaupt keine Sorgen. Dieses Lehrerzimmer ist wirklich zu meinem Wohnzimmer geworden – Kern dieses Raumes ist eine große Sitzgruppe aus Sofas und Sesseln, auf dem Tisch in der Mitte befindet sich immer eine Tüte mit Erdnüssen, man trinkt rund um die Uhr Attaya (welcher immer vom rangniedrigsten Lehrer, d.h. dem Kunstlehrer zubereitet wird) und es wird auf einem Französisch-Wolof-Mix über alles diskutiert, über das man diskutieren kann. Am liebsten natürlich über Politik (siehe oben). Heute Abend werde ich noch ein bisschen für mein DELF B2 (Französisch-Diplom) in zwei Wochen üben und nach dem Abendessen noch ein Hörverstehen mit der Première machen.

Ich könnte über so viel schreiben, aber das alles ist mir so zur Normalität geworden, dass es mir kaum beschreibenswert scheint. Wenn also jemand eine Frage hat, kann er sie gerne stellen. Aber wenn ich jetzt beginnt zu schreiben „Wie es hier so ist“ und „Was ich hier so mache“, dann wird das eine mehrbändige Buchreihe (der Pleonasmus war beabsichtigt). Also belasse ich es bei diesem Lebenszeichen und freue mich schon sehr darauf, euch in wenigen Tagen wieder persönlich zu sehen und alles, was ihr wissen wollt, haarklein zu erzählen.

Eure Clara

P.S. Ich werde euch eh noch bis an mein Lebensende damit nerven, dass ein Großteil meiner Sätze mit „Als ich im Senegal war“ beginnen wird 🙂