In den letzten vier Wochen ist unfassbar viel passiert – dadurch fliegt die Zeit genau so, wie sie auch unendlich lange erscheint. Heute, am 11. 12. 2018, scheint es mir gar kein schlechter Zeitpunkt zu sein, diesen Rückblick zu schreiben. Vor genau einem Monat bin ich das erste Mal in meiner neuen Unterkunft auf Gorée aufgewacht. Es ist zwar schon meine dritte Wohnung hier im Senegal, aber natürlich doch etwas ganz Besonderes. Nicht nur lebe ich auf einer Insel mit allen Vorzügen und Nachteilen (Zehn Minuten zu Fuß bis zum Strand und autofreie Straßen vs. nervtötend seltene Fährzeiten), ich lebe gleichzeitig auch in einem Internat. Mein (Betreuer-)Zimmer hier ist aber wirklich annehmbar, ich habe ein eigenes Bad und sogar einen kleinen Balkon. Dennoch stand für mich in der ersten Woche meines Lebens hier erstmal ein Großeinkauf an Haushaltswaren an (Spülmittel, Seife, Schaufel und Besen). Inzwischen habe ich sogar Laken und Kissen. Ich putze nun selber das Bad, wasche meine Wäsche per Hand und wenn ich wochenlang nicht fege, dann stört das zwar niemanden außer mir, aber es macht halt auch niemand anderes für mich (ganz im Gegensatz zu meinen vorherigen Wohnungen und auch sonst beinahe überall; jeder Haushalt hier, der es sich irgendwie leisten kann, beschäftigt mindestens eine Haushaltshilfe).
Im Laufe meiner ersten Woche hier stellte sich also eine gewisse Routine ein. Geweckt werde ich um 6:30 Uhr von einer ohrenbetäubenden Sirene über die Lautsprecheranlage. Dann frühstücke ich mit meinen französischen Mitpraktikantinnen. Der Schulunterricht beginnt für die Schülerinnen um 8 Uhr, für mich heißt es aber vormittags meist: Mit Computer und einer Tasse Tee ins sehr gemütliche Lehrerzimmer der Schule, E-Mails beantworten und Arbeitsblätter vorbereiten. Die Deutschkurse sind zum Großteil am Nachmittag nach dem gemeinsamen Mittagessen. Ich bin aber bei Weitem nicht verpflichtet, bei allen präsent zu sein. Nach dem Abendessen, das ich wieder nur mit den Französinnen einnehme, weil alle Lehrer schon zurück nach Dakar gefahren sind, müssen die Schülerinnen noch für 2,5 Stunden zur „Étude“, also vergleichbar mit einer Hausaufgaben- und Lernzeit. Von dieser halte ich mich aber normalerweise fern, ich brauche nämlich chronisch Schlaf :).
Was jetzt hier nach einer wasserdichten Alltags-Routine klingt, war aber in Wahrheit in den letzten Wochen seltenst der Fall. Aufgrund einer Vorgabe des Goethe-Instituts, bin ich auch weiterhin dort beschäftigt und arbeite zwei bis drei Tage die Woche dort. In Wahrheit gab es aber in letzter Zeit so unglaublich viel Arbeit dort – und das heißt auch unglaublich viel Arbeit für mich. Wir steckten während meiner ersten Woche auf Gorée mitten in der Organisation unseres großen Schulradio-Projekts; dazu kamen noch die obligatorische Pinnwand und die Unterrichtsvorbereitung, sodass ich sehr viel Zeit an meinem Computer im Institut zubrachte. Die Planung dieses Großprojekts – „Laboradio“, ein Schulradionetzwerk zwischen zwei deutschen und sechs senegalesischen Schulen – umfasste beileibe nicht nur die inhaltliche Planung des Workshops, sondern auch Bustransfers und Exkursionen, Dreherlaubnisse und Wasserflaschenkäufe. Ich bin immer noch sehr dankbar, dass ich in so einem großen Umfang in die Organisation und Realisierung eingebunden wurde; ich durfte wirklich Verantwortung übernehmen und habe unvorstellbar viel gelernt.
Meine Arbeit dort wurde jedoch jäh vom kulturweit-Zwischenseminar unterbrochen. Schon am Wochenende davor reisten die restlichen Mitglieder unserer „Homezone“, das heißt die anderen kulturweit-Freiwilligen in Westafrika, nach Dakar. Das Seminar selbst fand in einem wunderbaren Badeort ca. eine Stunde von Dakar entfernt in einer Tanzschule statt. Was jetzt vielleicht suspekt klingt, war in Wahrheit ein kleines Paradies: kleine bunt getünchte Bungalows standen auf einem hügeligen Gelände verteilt und wenn man sich auf einen der Felsen stellte, sah man über die einer Dornsavanne ähnelnde Landschaft in der Ferne das Meer glitzern. Diese Woche war für mich eine sehr wohltuende Flucht aus dem Alltag. Wenn die Küche extra für uns rein vegetarisch kocht, Strandspaziergänge und Ausdruckstanz Teil des Seminarprogramms sind, man in der Mittagspause schnell ins Meer springt und abends kopflos und ausgelassen auf der Zimmerparty tanzt, bis einem Füße und Stimme schmerzen – dann klingt das für mich nach einer gelungenen Woche. Besonders hervorheben möchte ich dabei auch unseren Ausflug den wir mit dem Seminar nach Gorée machten. Obwohl für mich natürlich bereits bekannt, war es doch eine Freude für mich, „meine“ Insel präsentieren zu können und dass die ganze Gruppe durch die Passkontrolle gewinkt wird, nur weil ich den Polizisten bereits kenne.
Auch wenn mit dem Zwischenseminar die zweite Woche meines Logbuches noch nichts ganz beendet ist, begann doch nun ein ganz neuer Abschnitt. Ab dem 23. 11. 2018 folgte unser bereits erwähntes Schulradio-Projekt „bei mir“, auf der Insel Gorée. Zehn Tage lang erarbeiteten wir mit über 30 Schülerinnen und Schülern eine bilinguale Radiosendung – und mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden! Während des Workshops hingegen hatten wir es jedoch häufig mit 15-Stunden-Arbeitstagen, unmotivierten Schülern und Verantwortungsdiffusionen (Danke für dieses Wort, Franzi!) zu tun. Ich persönlich habe auch sehr von diesem Workshop profitiert, auch wenn das nur ein kleiner Nebeneffekt ist. Besonders interessant fand ich den Besuch, den wir einem Radiosender in Dakar abstatteten (es funktioniert irgendwie genau gleich und doch ganz anders als beim BR) wie auch die Technikeinheit zu Mikros, Mischpult und Schnittprogramm. Während des Workshops habe ich auch zu senegalesischer Musik getanzt und sehr viele tolle Jugendliche sowie Ecken des Senegals kennengelernt, deren Bekanntschaft ich sonst sicher nicht gemacht hätte.
So ging also auch die dritte Woche zu Ende und ich versuchte die richtige Balance zwischen Nachbereitung und bleierner Erschöpfung durch die vergangenen Tage zu finden. Ich wusste gar nicht, wie ausgeprägte Augenringe ich bekommen kann! Das mit der Ruhe konnte ich aber getrost vergessen, als mich eine Freundin von Gorée (ich nenne sie so, obwohl sie schon über 30 Jahre alt ist und eine kleine Tochter hat) mit zu einer Chorprobe in Dakar schleppte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen Projektchor, bestehend aus verschiedenen Chören Dakars, der extra für die Einweihung des neuen Musée de Civilisation Noir zusammengekommen war. Obwohl ich mehrere Wochen voller Chorproben verpasst hatte, wurde ich dort dennoch mit offenen Armen empfangen und dazu motiviert, beim großen Festakt vier Tage später mitzusingen. Nach den nächsten zwei Proben brauchte ich also nur noch einen kleinen Spickzettel für die sechs Lieder, die wir auf Französisch, Wolof, Poudlard, Serer und Englisch sangen. Der Auftritt am Donnerstag, den 6. 12. 2018 war ein Erlebnis, das ich definitiv nie vergessen werde. Wir sangen, alle gekleidet in traditionelle afrikanische Kleidung, als 300 Mann/Frau starker Chor auf der großen Bühne des Nationaltheaters. Und das vor dem Präsidenten, mit bedeutenden senegalesischen Künstlern und vor dutzenden Fernsehkameras. Besonders gefiel mir aber dennoch die außergewöhnliche Herzlichkeit meiner Mit-Choristen, ich kann es leider nicht ausreichend in Worte fassen.
In dieser Woche fand außerdem (ich sage doch, nix mit Ruhe) eine von Johanna und mir organisierte Weihnachtsaktion in der Bibliothek statt. Nach mehrtägigen Dekorationsmaßnahmen (inklusive Weihnachtsbaum, Lichterketten und Fensterbildern) veranstalteten wir am Mittwochnachmittag eine Märchen-/ Bastel-/ Punsch- und Plätzchenstunde für Kinder. Auch wenn ich bei dieser Gelegenheit mal wieder festgestellt habe, warum ich keine Kinder mag, war es doch ein voller Erfolg. Mehr dazu möchte ich aber eigentlich nochmal in einem gesonderten Artikel schreiben. Ich hoffe, ich verspreche hier gerade nichts, was ich nicht halte…
Nach dieser Woche hieß es am Wochenende: „Endlich mal wieder Action!“. Am Freitagmittag brach ich Richtung Kaolack auf, wo Nora bei einer Gastfamilie wohnt. Mit ihr und Franzi machte ich mich am Samstag auf Richtung Gambia in der Mission, des Visums wegen aus dem Senegal auszureisen und daraufhin wieder einzureisen und „neue“ 90 Tage des Touristenvisums zu erhalten. Dieses Vorhaben vervollständigten wir um den touristischen Faktor, doch einmal die Hauptstadt Gambias, Banjul, zu besuchen. Obwohl unser Tag einer großen Odyssee glich und wir viel Zeit in Sammeltaxis, Passkontrollen und umringt von nervigen Typen verbrachten, war der Tag doch ein voller Erfolg und wir kehrten abends erschöpft mit den Taschen voller Stoffe zurück. Meiner Meinung nach kann das Stoffangebot in Banjul fast mit dem des Marché HLM mithalten! Mit einer nervenaufreibenden, weil staugeprägten Rückfahrt von Kaolack nach Dakar beendete ich diese Woche.
Und nun zurück zu meiner Überschrift. Wie ihr aus den vorhergehenden 1300 Worten entnehmen konntet (Meinen Respekt an dein Durchhaltevermögen an dieser Stelle!), hatte ich sehr viel um die Ohren und habe kaum Zeit in meiner eigentlichen Einsatzstelle, in der Schule auf Gorée verbracht. Eigentlich nahm ich jeden Morgen die erste Fähre nach Dakar und spätabends die letzte zurück. Nun möchte ich aber in den verbleibenden fast-zwei Wochen bis Weihnachten meinen Schwerpunkt wieder hierher verlegen. Die Schülerinnen, die LehrerInnen und besonders auch meine Mitpraktikantinnen sind alle so lieb; auch hier kann ich so viel tun und gemeinsam mit all diesen Akteuren eigene Ideen in Projekte umsetzen. Und darauf freue ich mich schon sehr für meine verbleibende Zeit hier!