Das Wort „Teranga“ stammt aus dem Wolof, der Verkehrssprache des Senegals und lässt sich mit Gastfreundschaft übersetzen. Die Omnipräsenz dieses Begriffes begreift der Senegalreisende bereits am Flughafen, wo auf überdimensionierten Plakaten im „Pays de la Teranga“ willkommen geheißen wird. Auch in der Stadt Dakar scheint es sehr wichtig zu sein, dieses Konzept immer wieder zu betonen. Ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass es für die Senegalesen eine leere Formel zu sein scheint. Im Zusammentreffen mit unfreundlichen Taxifahrern oder fliegenden Händlern, die einem „Toubab“, also einer weißen Person, den dreifachen Preis abknöpfen wollen, bekamen wir nicht allzu viel Herzensgüte entgegengebracht. Auch wenn ich das auf keinen Fall erwarte, hielt ich es dennoch für einen Etikettenschwindel. Auch besonders nachdem bei einer guten Freundin, die ich hier gefunden habe, eingebrochen und wertvolle Technik gestohlen wurde, begann ich sogar an meiner Sicherheit zu zweifeln – und das muss bei meiner Ich-bin-eine-alte-ausgeglichene-und-zuversichtliche-Eiche-Gesinnung schon etwas heißen.
Während der vergangenen zwei Wochenenden habe ich jedoch meine Meinung geändert und möchte gerne davon berichten, was ich Tolles erleben durfte. Macht’s euch bequem und legt die Füße hoch zur Storytime mit Clara!
Letztes Wochenende waren wir zu dritt bei einem kleinen Musik-Festival am Fuße des großen Monuments de la Rénaissance Africaine. Da es meine erste Nacht im neuen Heim auf der Insel Gorée sein sollte, verabschiedete ich mich gegen Mitternacht, um die letzte Chaloupe, also die Fähre, nicht zu verpassen. Auf dem Festival war zufällig auch ein Typ, dessen Bekanntschaft ich auf Gorée gemacht habe. Diesem war es, als ich ging, sehr wichtig, mich bin hinunter zur Straße zu bringen, mir ein Taxi zu suchen und einen Nicht-Touristen-Preis auszuhandeln. Nachdem ich also dankbar abgefahren war, rief er mich noch einmal auf dem Handy an, verlangte nach dem Taxifahrer und bläute ihm ein, explizit bis in den Hafen hinein zu fahren und mich nicht vorher schon raus zu lassen. Außerdem bat er mich, dass ich doch bitte Bescheid sagen solle, wenn ich bei der Fähre angekommen sei. Ich war und bin immer noch perplex von so viel Aufmerksamkeit und Sorge. Die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende: Mein instruierter Taxifahrer kam auf der Hälfte der Fahrt in eine Polizeikontrolle und konnte nicht alle Papiere vorweisen. Während die Polizisten sehr nett zu mir waren, war für meinen armen Taxifahrer die Nacht (und hoffentlich nicht auch sein ganzes Geschäft) gelaufen. Im Eifer des Gefechts winkte er jedoch ein anderes Taxi heran, sagte dem Fahrer meinen Zielort und wollte kein Geld für unsere Fahrt bis zu diesem Punkt haben. Ich stieg also nur einmal um und erreichte unproblematisch mein Ziel.
Die nächste Geschichte beschreibt bei weitem nicht so eine Odyssee, im Gegenteil. An der Bushaltestellt fiel mir Geld aus der Hosentasche. Daraufhin wiesen mich mehrere Anwesende engagiert darauf mich hin – ich hätte es wohl sonst nicht gemerkt. Auch wenn es nur die kleinen Dinge sind, ich habe mich sehr gefreut. Von dieser Bushaltestelle ging es für mich weiter auf unseren heißgeliebte Stoffmarkt HLM, wo wir Powershopping an den vielen kleinen Ständen betrieben. Als ich an einem Laden stehen blieb, um mir die Stoffe anzuschauen, machten sich gerade im Laden mehrere Personen bereit zum Mittagessen – jeder mit einem Löffel aus einer riesigen Schale. Also wurde ich kurzerhand mit eingeladen zum Essen und kam in den Genuss von Mafé (Reis mit Fisch und Erdnusssauce). Ohne dass ich ihnen etwas dafür gab oder auch nur etwas bei ihnen kaufen musste, wollten sie mich einfach nur teilhaben lassen.
Wer an Freundlichkeit hier wohl kaum zu überbieten ist, ist der Wächter Diedhou in meiner Schule. Egal zu welcher nachtschlafenden Zeit ich zurückkehre – er wartet immer auf mich und schließt hinter mir das Tor ab.
Am Sonntagmorgen war wohl eines meiner Highlights der letzten Wochen. Ich traf mich mit Lise, einer französischen Mitpraktikantin von mir, um mit ihr in die Messe in der Kirche von Gorée zu gehen. Dort trafen wir Franҫoise, eine sehr nette Frau, die mit ihrer kleinen Tochter Henriette auch auf der Insel wohnt. Sie verpflichtete uns kurzerhand, im Chor mitzusingen. Dass sie mir kaum eine größere Freude hätte bescheren können, wusste sie wohl nicht. Ich glaube ich hatte noch nie so viel Spaß, wie in einem so motivierten und klangvollen Chor mir komplett unbekannt Lieder auf Wolof oder Serer ohne Noten mitzuschmettern. (Ich habe mich gleich nach dem Termin der Chorproben erkundigt – drei Mal die Woche…!) Franҫoise nahm uns danach noch mit zu sich und lud uns zum Frühstück ein – einfach so.
Die letzte Begebenheit, von der ich nun noch berichten will, ereignete sich am Sonntagnachmittag. Wir saßen tiefenentspannt am Strand von Yoff und ließen uns von der Sonne braten, als der Sonnenschirmvermieter mit einem Tablett voller Attaya-Gläser kam und jedem von uns anbot (pappsüßer Minztee in Espresso-Größe).
Einerseits könnt ihr jetzt vermutlich mein (sehr ereignisreiches) letztes Wochenende nachvollziehen. Andererseits – auch wenn es ausgelutscht klingt – sind es diese kleinen Gesten, die spontanen Einladungen (mit Essen kriegt man mich sowieso immer) oder die Hilfsbereitschaft, die ich sehr zu schätzen gelernt habe. Ich halte die Gastfreundschaft hier immer noch nicht für ausgeprägter als in anderen Ländern. Dafür freue ich mich umso mehr, über jede grundnette und selbstlose Tat.