Karneval ist für mich vor allem eines: Tradition! Und deswegen sind meine Lieblingsgruppen auch die Traditionsvereine. Zu meinem Glück kommt Dosi (meine Lehrerin) vom Dorf – genauer gesagt aus Viskovo – und dort gibt es die Glockenmänner.
Die Geschichte der Glockenmänner geht auf eine Schlacht zurück. Damals, vor langer Zeit, drohte eine fremdes (ich glaube mongolisches) Heer Kroatien einzunehmen. Und als sie kurz vor Rijeka standen, überlegten die Männ der Stadt sich einen Plan. Sie waren zahlmäßig weit unterlegen – aber wer braucht schon Muskelkraft, wenn er Köpfchen hat? Anstelle eines Kampfes Mann gegen Mann sollte eine Täuschung die Sache erledigen: Die Männer Rijekas versteckten sich im Wald und machten so einen Höllenlärm, dass die feindlichen Truppen annehmen mussten, es warte eine gewaltige Streitmacht auf sie. Als dann auch noch die Nachricht eintraf, ihr Fürst (ich glaube es war sogar der berühmte Dschingis Khan) sei verstorben, drehten sie ab und die Stadt mitsamt ihrer tapferen Einwohner blieb verschont.
In Erinnerung an diese Geschichte machen die Glockenmänner auch heute noch ganz schön Radau. Und zwar – ein Fuchs, wer es bereits erraten hat – mit Glocken. Ganze fünf Kilogramm wiegen die Schellen, die jeden Schritt mit einem satten „Gong“ untermalen. Und am lautesten dröhnen sie, wenn sich die Männer in einem ihrer Kreise zusammenfinden und – Popo an Popo – auf Kollisionskurs gehen.
Wie das aussieht – und sich anhört! – konnte ich heute mit eigenen Augen – und Ohren – erleben. Dafür waren wir bei einer Freundin Dosis zu Gast, bei der es (ganz nach kroatischer Art) erst einmal selbstgebrühten Kaffee und Krapfen gab. Außerdem auf dem Tisch: Ein traditioneller Reiskuchen mit Apfel und Rosinen – mjamjamjam! Natürlich war das nicht alles nur für uns – die Mengen hätten wir niemals allein verdrücken können! Nein, der größte Teil wurde für die Glockenmänner vorbereitet, sodass diese nach ihrem anstregenden Tagesmarsch durch die umliegenden Ortschaften nicht hungrig nach Hause kommen.
Nicht lange, dann hörten wir auch schon das Bimmeln entfernter Glocken und machten uns auf den Weg. Das ganze Dorf kam nach und nach zusammen: Vom Opa bis zu den kleinen Stöpseln; manche verkleidet, andere nur möglichst warm eingepackt. Ein „Arzt“ verabreichte mir in gebrochenem Deutsch eine Corona-Schluckimpfung, dann ging auch schon langsam die Sonne unter und die erste Gruppe kam in Sicht:
Angeführt von einer kleinen Kapelle und dem unverkennbaren Lärm marschierten die Glockenmänner den Weg herauf. Ein Pfiff, dann wurde ein Kreis gebildet, ein weiterer und die gesamte Mannschaft drehte sich mit dem Gesicht nach außen. Ein paar Minuten Glockengeschepper, dann der erlösende Pfiff und die Helme wurden abgenommen. Darunter kamen die verschwitzten Gesichter der Männer zutage, die sich müde aber glücklich auf das Büfett stürzten.
Nur kurze Zeit später das gleiche Spiel noch einmal mit der zweiten Gruppe. Denn natürlich hat auch hier Corona seine Spuren hinterlassen: Normalerweise würden statt der 50 anwesenden rund 250 der Glockenmänner den traditionellen Marsch antreten. Gestört hat mich die kleinere Zahl aber nicht – ich war einfach nur froh, nun doch noch ein wenig einheimische Karneval-Luft zu schnuppern!
Während die Sonne über Ucka zu einem weiteren spektakulären Sonnenuntergang ansetzte, ertönte ein letzter Pfiff, das muntere Geschnatter und der etwas raue, alkoholschwangere Gesang der Männer verstummte, und die selbstgemachten Masken wurden wieder aufgesetzt. Ein geordneter Abzug (mit ein oder zwei unvermeidlichen Nachzüglern), dann zerstreute sich auch die Menge.
Den Rücken an die Heizung gelehnt und ein Gläschen Schnaps in der Hand tauten schließlich auch wir langsam wieder auf. Und mit dem Versprechen, das nächste Jahr wieder zu kommen, ging es auch für mich zurück nach Hause.