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Tag 119 – Sklavenschiff

Ich gebe zu, heute habe ich nicht gearbeitet. Zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Aber immerhin, ich habe meinen Kopf arbeiten lassen und mir das Hörbuch „Exit Racism“ von Tupoka Ogette auf Spotify angehört.

Empfohlen wurde uns das Buch von Gianni Javanovic – ihr erinnert euch, unser „Lotse“ beim Thema Sinti und Roma.* Und obwohl ich schon einige gute und nachdenkliche Bücher über Rassismus gelesen habe (zuletzt z.B. „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen“ von Alice Hasters), dieses finde ich besonders ausführlich, reflektiert und anregend**:

Die zentrale Erkenntnis von „Exit Racism“ ist, dass Rassismus in erster Linie kein individuelles Problem darstellt, sondern ein institutionelles, strukturelles. So hilft es auch nicht, dass der Begriff „Rassismus“ heutzutage durchgehend und stark negativ konnotiert ist. Stattdessen wird genau dadurch jegliche Kritik als grober, persönlicher Angriff aufgefasst, und nicht die Person, die sie betrifft, sondern die, die sie äußert, ins Unrecht gerückt.

Nein, es ist zu einfach, Rassismus auf einzelne Menschen oder Gruppen zu beschränken. Wir alle sind Teil des Problems, unsere ganze Welt(anschauung) ist rassistisch. Und das seit sage und schreibe über 300 Jahren! Rassismus ist nichts, dass einfach so aus einem Loch gesprungen kam; Rassismus ist historisch gewachsen:

Tatsächlich lässt sich bereits in der christlichen Religion der Gedanke des Herren und Knechts finden. Erstmals im großen Stil angewandt, wird er dann im Sklavenhandel – ein unmenschliches Geschäft. So unmenschlich, dass auch der Mensch es vor sich selbst rechtfertigen musste. Also wurde ein mentales Konstrukt aufgestellt: Die weiße Bevölkerung machte sich selbst zu Norm, ja zum Ideal, und so zum scheinbar rechtmäßigen Herrscher über jeden und alles andere. Eine Identität durch Abgrenzung (auch „othering“ genannt), die in der Folge pseudowissenschaftlich untermauert wurde. Selbst die Aufklärung, die Sternstunde des humanitären Gedankenguts in Europa, änderte nichts daran. Im Gegenteil: Auch bei Kant und Hegel sind zwar alle Menschen grundsätzlich gleich, aber einige doch gleicher und andere sogar kaum noch Mensch.

Kein Wunder also, dass auch die deutsche Geschichte eng mit dem Rassismus verwoben ist. Denn, was kaum einer weiß: Deutschland war einst das viertgrößte Kolonialreich der Welt (gemessen an seiner Fläche, das fünftgrößte gemessen an der Bevölkerung). Und doch ist auch das keine Geschichte, derer man sich rühmen könnte – sagen wir so: Konzentrationslager haben in Deutschland eine lange Tradition…

All dem zum Trotz werden die tiefen Wurzeln des Rassismus im Geschichtsunterricht und unserem täglichen Leben kaum erwähnt: Sei es die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama, der Umgang mit Beutekunst aus Zeiten des deutschen Kolonialreichs (das Humboldt-Forum lässt grüßen), oder die kritische Einordnung von Kant und Hegel – der Diskurs über Rassismus und insbesondere das Eingeständnis historischer Verantwortung bleiben bis heute ein heißes Eisen.

Und dabei ist genau das der Schlüssel: Nur wenn wir uns klarmachen, dass auch wir (ein wenn auch unvermeidbarer) Teil des Systems sind, können wir Rassismus begegnen. Der Anfang kann dabei ganz klein sein. Zum Beispiel, indem wir Mikroaggressionen im Alltag – also all das, was vom „normalen“ Verhalten abweicht – wahrnehmen, ansprechen und in Zukunft vermeiden. Denn ganz egal, ob bewusst oder unbewusst und ganz egal, wie etwas eigentlich gemeint ist: Die Wirkung definiert, was rassistisch ist und was nicht.

Es liegt daher auch nicht an uns, zu beurteilen und uns angegriffen oder gekränkt zu fühlen. Wir sind nicht „schuld“ daran, dass die Welt ist wie sie ist –  weder als Einzelne*r, noch als Deutsche*r. Aber (und da darf man gerne an den Ärzte-Song denken): Es wäre unsere Schuld, wenn sie so bleibt. Um das jedoch zu verhindern, sollten wir beginnen zuzuhören und endlich von der Geschichte zu lernen. Rassismus ist kein Tabu-Thema (auch nicht in Deutschland), sondern vielmehr eine Herausforderung an uns, Gängiges zu hinterfragen und Überfälliges in Angriff zu nehmen.

 

*Übrigens auch ein Thema, das in den letzten Tagen wieder Wellen geschlagen hat (siehe Talkshow „Die letzte Instanz“).

**Ausführlich auch in dem Sinne, dass online eine Reihe an weiterführenden Materialen zu finden sind: https://www.exitracism.de/materialien.html – check it out!

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