Heimat.Hafen.Rijeka

Tag 110 – Eisbrecher

Das Ziel - unerreichbar

Wo auf der Welt kann man an einem Tag Skifahren und ins Meer hüpfen? In Rijeka natürlich!

Denn keine Stunde Autofahrt von der Stadt ins Landesinnere entfernt, liegt das Risnjak Gebirge – und dort zieht es mich dieses Wochenende hin. Also nichts wie die neuen Bluetooth-Kopfhörer über die Mütze gezogen und rein in den Bus! Dichte Nebelschleier hängen über den Bergen und bald schon kollabiert meine Internetverbindung. Dafür wird die Landschaft vor dem Fenster immer weißer: Schnee!

Keine Stunde später erreichen wir Delnice, wo ich umsteigen muss. Der Busfahrer zeigt mir den Kleinbus, mit dem es für mich weitergeht und stellt mir auch gleich dessen Busfahrer vor. „Kao taksi“ lacht meine einzige Mitfahrerin und weiter geht’s. Nach fünfzehn Minuten werde ich in Crni Lug „centar“ herausgelassen (da die 200-Seelen Ortschaft nur eine Straße hat, ist das auch gar nicht so schwer). Ein kurzer Blick auf mein Navi und ich trotte die Straße entlang. Gehwege gibt es in Kroatien nur in Großstädten – und selbst wenn es hier einen gäbe, unter dem Schnee würde ich ihn gar nicht sehen. Brauche ich aber auch nicht, denn schon nach fünf Minuten stehe ich vor unserem Domizil für das Wochenende: Einer Berghütte wie aus dem Bilderbuch!

Noch bevor ich klingeln kann begrüßt mich „Kandza“ (Klaue), ein rauhaardackliges Wollknäul mit einem unersättlichen Bedarf an Streicheleinheiten und dem dazugehörigen, treuherzigen Hundeblick. Dicht auf ihren Pfoten kommt Danijel, der Inhaber und seine gesamte Familie (bis zu den neugierigen Nasen der Enkelkinder). Mit viel „Hallo“ und „Willkommen“ werde ich ins Wohnzimmer bugsiert, auf eine Bank gesetzt und mit Tee, Keksen und selbstgebranntem Heidelbeerschnaps versorgt (40 Promille!). „Warum ich denn nicht angerufen habe? Sie hätten mich doch abgeholt!“, werde ich gefragt, und ob ich irgendetwas brauche. Tatsächlich brauche ich etwas, denn Yvonne, meine Wanderpartnerin, kommt erst später in Delnice an und da fährt kein Bus mehr. Aber natürlich ist auch das kein Problem, denn Danijel will fahren – selbstverständlich!

Die Zeit, bis es soweit ist, verbringe ich damit das urige Wohnzimmer zu bestaunen. Links an der Wand hängt – als wäre es das Normalste der Welt – ein Luchs („Ris“) nach dem der Nationalpark benannt ist, ein Rotwild und ein Bär. Sogar letzterer ist selbstgeschossen, wie mir Danijel – als wär es das Normalste der Welt – erzählt. Übrigens nur einer von vieren. Dagegen fallen sogar die etwa 50 hochglanzpolierten Pokale über der Bar noch vergleichsweise normal aus – alles Trophäen seines Sohnes, einem Rallye-Fahrer.

Auch während der Fahrt nach Delnice und zurück geht uns der Gesprächsstoff nicht aus. Und als Yvonne und ich abends in unser Bettchen fallen, schlafen wir glücklich und zufrieden ein, fest davon überzeugt, den perfekten Ausgangspunkt für unser Wochenende gefunden zu haben.

Wie zur Bestätigung strahlt am nächsten Morgen der Himmel, genauso wie unsere Gesichter beim Anblick des Frühstück-Buffets. Besonders angetan hat es mir der selbstgemachte Brennesselsaft – lecker!

Und doch sind wir nicht zum Faulenzen hier. Dick eingepackt und mit heißem Tee versorgt machen wir uns daher auf den Weg: Erst runter ins Tal zum Eingang des Nationalparks, dann hoch Richtung Gipfel. Der anfangs breite und mit Blättern bedeckte Weg wird erst weiß, dann schmal. Immer tiefer liegt der Schnee, nur von ein paar Fußstapfen durchbrochen. Und doch sind wir für ebendiese Fußstapfen sehr dankbar: Denn zum einen zeigen sie uns, dass wir nicht die einzigen sind, die so verrückt sind im Schnee auf den Risnjak zu steigen. Und zum anderen machen sie das Vorankommen um einiges leichter.

Aber langsam sind wir trotzdem. Und obwohl wir nur eine kurze Pause zum Wippen auf einem Baumstamm einlegen (fragt nicht), wird es immer später und der Weg nicht viel kürzer. Ab und zu hören wir Stimmen vor uns und immer wieder durchbricht ein „Huch!“ die Stille, wenn eine von uns mit dem Fuß abrutscht und wild mit den Armen rudernd das Gleichgewicht wiederherzustellen versucht. Nach etwa drei Stunden holen wir unsere „Vorgänger“ schließlich ein. Wie sie überlegen wir, langsam umzukehren und laufen dann aber doch weiter – den Blick fest auf den Gipfel des Risnjak vor uns geheftet.

Doch keine 15 Minuten später gibt es das erste Mal Gegenverkehr und mit ihm das Eingeständnis: Heute wird das nichts mehr. Schade Marmelade, aber im Dunkeln auf einem schneebedeckten Berg von 1.528 Metern festsitzen klingt dann doch nicht so verlockend.

Und als wollte der Risnjak uns die Entscheidung erleichtern, zieht dichter Nebel auf und hüllt den Wald und die verpasste, sicher atemberaubende Aussicht in eine undurchdringbare Wand aus Grau. Mit müden Füßen geht es also zurück des Weges. Und der Name des Ortes („Crni Lug“ – schwarzer Hain) wird Wirklichkeit.

Um doch noch etwas Neues zu sehen, wenden wir uns auf dem breiten Pfad nach rechts und stapfen durch den dort liegenden Tiefschnee. Dabei entdecken wir auch Tierspuren, die uns ein wenig schneller laufen lassen (auch wenn es, wie Danijel uns später erklärt, eher Luchsspuren als Bärenspuren sind).

Unten angekommen ist die Landschaft in tiefes Blau getaucht. Mit dem letzten Sonnenlicht erreichen wir zuerst die Straße und im Schein der Straßenlaternen schließlich auch die Hütte. Auf nassen Socken tapsen wir auf unser Zimmer und eine heiße Dusche, eine Jogginghose und ein reichhaltiges Abendessen später fühlen wir uns fast wieder wie Menschen. Gut so, denn morgen soll es richtig schneien!

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