Munidalito

6. Juli 2010
von Lukas Arenz

Vom Goldjungen und dem Zauberfloh

Um die Avenida 9 de Julio in Buenos Aires zu überqueren braucht man normalerweise zehn Minuten und vier Ampelphasen. Mit 20 Fahrstreifen gilt sie als die breiteste Straße der Welt.

Man kann es auch schneller schaffen. Wenn irgendwo auf der Welt ein Spiel der argentinischen Nationalmannschaft angepfiffen wird, dann wird Buenos Aires zur Geisterstadt. 12 Millionen sitzen dann vor den Bildschirmen und feuern in allen Ecken und Winkeln der Metropole ihre Elf an.

Wer dieser Tage durch die Straßen der argentinischen Hauptstadt schlendert, der muss schon schalldichte Ohrenschützer tragen und Tomaten auf den Augen haben, um nicht auch von dieser unverdeckten WM-Euphorie gepackt zu werden, die bei jedem Sieg der „Gauchos“ in einem blau-weißen Fahnenmeer vor dem Obelisken, dem Wahrzeichen von Buenos Aires, ihren überschäumenden Höhepunkt findet. Die Stadt zeigt sich solidarisch zum Nationalteam und jedes Schaufenster ist mit Fahnen, Schleifen und Girlanden geschmückt. Auch die Straßenhändler, die normalerweise billigen Schmuck und bunte Tücher verkaufen, haben ihr Sortiment komplett auf Fanartikel in biancoceleste umgestellt.

„Olé, olé, olá ,ooooooooh…Argentinaaaaaaa, es un sentimiento, no puedo paraaaaaar!“

(Ole, Ole, Ola, Argentinien,  ein Gefühl, wie es mich begeistert!)

Dieser Fangesang erklärt eigentlich schon alles.  Die Begeisterung für den Fußball nimmt in Argentinien ungeahnt große Dimensionen an. Wo sonst auf der Welt wird ein  ehemaliger Fußballclubpräsident zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt.

Das verwundert nicht. Das südamerikanische Land hat schließlich einen Fußballgott!

Sein Name: Diego Armando Maradona oder auch D10S (Dios = span. Gott; 10 war die Rückennummer Maradonas).

Der inzwischen 49-jährige „Pibe de Oro“ (Goldjunge) feiert gerade ein regelgerechtes Come-Back. Vor allem wegen der sehr knappen Qualifizierung Argentiniens für Südafrika wurde er anfangs stark kritisiert. Einen seiner Tadler fertigte er später skandalös-spektakulär mit den Worten: „La Tenés Adentro (LTA)“ (Du hast ihn drin) ab.  LTA ist seitdem ein Modeschimpfwort.

Doch von Sieg zu Sieg im Fußballturnier, steigt Maradonas Kurs. Wortwörtlich. Mehr im Spaß schlug die Tageszeitung „Clarín“ vor, mit dem Druck von 1000 Peso-Scheinen mit Maradonas Antlitz zu beginnen. „Diego sabe.“ Allwissend. Unantastbar.

Genauso wie sein jüngster Schützling. Lionel „La Pulga“ (Der Zauberfloh) Messi. Das jüngst 23 Jahre alt gewordene Balltalent wird hier als Maradonas Nachfolger gefeiert. Und die Stimmen der Spielkommentatoren überschlagen sich ein jedes Mal, wenn „La Pulga“ mit dem Ball in Richtung Strafraum stürmt. Noch immer fehlt ihm ein WM-Tor.  Doch die Menschenmasse beim Public Viewing auf der Plaza San Martín würde vor Begeisterung außer Rand und Band geraten, wenn der Publikumsliebling Messi ausgerechnet gegen Deutschland, die „Gauchos“ in das Halbfinale ballern würde. Messi soll Deutschlands Alptraum werden. Denn es gibt noch eine Rechnung zu begleichen. Das Elfmeterschießen bei der WM 2006 in Deutschland ist nicht in Vergessenheit geraten. Facebook-Gruppen wie „Deutschland, dieses Mal rettet dich nicht einmal ein Spickzettel“ und „Argentinien wurde 2006 gegen Deutschland betrogen!“ gewinnen täglich an Mitgliedern.

Ja, es ist nicht leicht dieser Tage als Deutscher durch Argentinien zu wandeln. Was man sich da nicht alles anhören muss: Man solle sich warm anziehen. Diesmal werde kein Zettel aus dem Strumpf gezaubert werden können und die deutsche Nationalmannschaft bestehe ja eh nur aus Polen, Brasilianern und Türken. Mesut Özil habe sogar einen falschen Pass.

Absurdes Zeug, was vor allem Eines beweist. Argentinien hat Angst vor Deutschland. Und zwar gewaltige. Das gestehen sich nur die wenigsten ein, aber es ist offensichtlich. Es darf nicht sein, dass die Deutschen den Argentiniern schon wieder die schöne Stimmung kaputt machen. Schon gar nicht, weil Südafrika 2010 Maradonas WM ist.

Argentinien hat keinen Grund sich zu verstecken. Seit Jahren war das Team nicht mehr so stark wie heute. In Spieler wie „Carlitos“ Tevez, „La Pulga“ Messi, „Bayernkiller” Milito und  “San Martín” Palermo werden große Hoffnungen gelegt. Zu Recht. Sie spielen alle in Spitzenvereinen. Großteils international. Doch auch Deutschland steht nicht schlecht da. Der deutsche Fußball wurde in Argentinien bisher mit den gängigen Klischees gegenüber einer Industrienation gleichgezogen: modern, geordnet, kontrolliert und etwas langweilig. Dadurch berechenbar. Jetzt gibt es da eine neue Mannschaft. Blutjung. Mit Talenten. Und sie zaubern. Die  Begegnung wird mit Sicherheit eines der spannendsten Spiele des Turniers.

Schauen wir, ob am Samstag die Sonne in einem biancoceleste gefärbten Himmel über dem Río de la Plata lacht. Ob das Land explodiert. Oder ob es weint, weil ihm einmal mehr „die Beine abgehackt“ (Maradona 1994) wurden.

Nachtrag:

Es wurden ihnen die Beine abgehackt. Und wie.

Public Viewing - Plaza San Martín

Deutschland - Australien


Argentinien - Griechenland

Auch England feiert mit!

Edelfans

Nach Deutschland vs. Argentinien wohlgemerkt. Buena onda!

Hoch soll er leben!

Yannick und Boris

In Santiago de Chile. Public Viewing vor dem Präsidentenpalast "La Moneda"

Chiles größter Fan

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