Im Kirchenchor

Werte Leser,

manchmal ist es interessant, dass man in neuen Lebenssituationen neue Hobbys  und Interessen entdeckt. Mein neues Hobby ist das Chorsingen. Freude am Singen habe ich schon länger, aber mit Ausnahme vom Kulturweitchor beim Vorbereitungsseminar habe ich das noch nie organisiert getan.

So war es mir sehr recht, als meine Polnischlehrerin anregte, zum Chor zu stoßen, in dem sie auch singt, mit dem Synergieeffekt, das ich dabei meine Aussprache verbessern könne. So begleitete ich sie – zusammen mit einer weiteren Sprachkursteilnehmerin zur Kirche des Heiligen Joseph, wo sich der Chor jede Woche zur Probe. Beim Chor herrschte gerade ein Mangel an Basssängern, sodass ich die Bassstimme verstärken konnte. Meine Lehrerin singt Sopran, meine Kollegin Alt. Natürlich wird auf polnisch gesungen, aber wie bei jedem Chor beginnt man mit dem Einsingen, in diesem Fall in einer anderen Sprache: Solresol. Es handelt sich dabei um eine außergewöhnliche, von Francois Sudre ab 1817 entwickelte Plansprache auf musikalischer Grundlage, die nur aus sieben verschiedenen Silben besteht, die auch als Musiknoten oder Farben dargestellt werden können. Die Grammatik dieser Sprache ist ebenso wie die Lexik sehr umständlich, aber Solresol eigent sich gut zum einsingen, weswegen es häufig bei ebensolchem als Übung verwendet wird. Das klingt folgendermaßen: Do-Sol-Fa-Mi-Re-Do!

Nach dem Einsingen wird es dann schöner. Die alten Kirchenmelodien sind von wunderbarer Einfachheit und Schönheit und die weiche, klangvolle polnische Sprache passt wunderbar dazu. Das führt mich zu einer ästhetischen Überlegung: Sowohl christliche Sakralmusik als auch Volksmusik sind sehr einfach aufgebaut, sodass sich viele Stücke sehr stark ähneln. Warum wirkt die in Durtonarten geschriebene Volksmusik oft so schrecklich billig, während die in Moll- Kirchentonarten komponierte Sakralmusik durch ihre Simplizität erst ihre klare Schönheit erhält, statt billig oder nervig zu wirken? Ich weiß darauf keine Antwort, aber wenn jemand von euch eine kennt, würde ich mich sehr freuen, sie in den Kommentaren zu lesen. Meine Vermutung: Es könnte aus der Polyphonie der Kirchenmusik resultieren, die sie sehr reich klingen lässt, ohne ihre melodische Einfachheit zu stören.

Das einzige Problem bisher ist, dass ich nicht alle Wörter aussprechen kann und man das leider hört. Dass ich meistens nicht verstehe, was ich singe, ist weniger schlimm, die Texte sind sehr ähnlich, hat man einen verstanden, hat man zumindest einen guten Überblick, außerdem sind für mich Lobpreisungen des Herrn und der Muttergottes eher weniger erbaulich als für einen religiösen Menschen.

Ein abschließendes Wort zum Thema Musik: Derweil ich schreibe, dringt durch die dünne Wand, die mich von meinen Nachbarn trennt, Discopolo, die polnische Version des Eurodance und ein ästhetischer Missbrauch dieser wunderschönen Sprache. Mal ist das in Ordnung, aber nach zwölf Stunden wird man doch zum Wutbürger.

Das für den Moment.

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